Lehrerin und Mediatorin Hemma Kurmanowytsch unterstützt ihre Schüler dabei, Mobbingopfern zu helfen.

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Wien – Isabella* berichtet von ihrem neuesten Mobbingfall. "Sie sagen, sie sind Freunde, gehen gemeinsam ins Kino, und dann würgt einer den anderen, und alle lachen." Die Schülerin ist Mobbing-Peer. Sie besucht die siebente Klasse am Gymnasium Pichelmayergasse im zehnten Bezirk in Wien und kümmert sich um Schüler zwischen zehn und 14 Jahren, die schikaniert werden.

Insgesamt gibt es am Gymnasium 28 Peers für 28 Unterstufenklassen. Ausgebildet werden sie vom Wiener Stadtschulrat. Der Bedarf an Mediatoren, die sich um Mobbingfälle kümmern, besteht in Österreich besonders. Wie eine jüngst veröffentlichte OECD-Studie gezeigt hat, fühlte sich 2010 jeder Fünfte der elf- bis 15-jährigen männlichen Schüler ein bis zweimal in zwei Monaten in der Schule schikaniert. Österreich ist damit Spitzenreiter.

Am Gymnasium Pichelmayergasse berät Hemma Kurmanowytsch die Peers. Die Lehrerin für Deutsch und Geschichte ist auch Mediatorin. Einmal pro Woche bespricht sie mit den Peers eine Unterrichtsstunde lang aktuelle Fälle.

Zahn ausgeschlagen

An diesem Nachmittag erzählt Schülerin Isabella von fünf Burschen, die von sich selbst sagen, dass sie Freunde sind, einander aber beschimpfen. Auch Gewalt war schon im Spiel: Ein Bursch hat einen Zahn verloren und einem anderen den Finger in der Tür eingeklemmt. "Sie sagen, das war ein Unfall, aber ich glaube ihnen das nicht", sagt Isabella.

Kurmanowytsch rät ihrer Schülerin, einzeln mit den fünf Burschen und auch mit der Klassenlehrerin zu sprechen. Noch ist unklar, ob es ein einzelnes Opfer in der Gruppe gibt oder ob sich alle gegenseitig mobben. "Versucht nicht zu verstehen, woher der Konflikt kommt, das werdet ihr nicht herausfinden", sagt die Lehrerin. Die Peers sollen mit den Burschen festlegen, was in Zukunft passieren soll und welche Handlungen nicht mehr erwünscht sind.

"Sie leben im Handy"

Ähnlich ist Kurmanowytsch bei einer anderen Mediation vorgegangen. Vier Mädchen hatten sich gegenseitig per Whatsapp Beleidigungen geschickt. "Das geht so weit, dass sie um drei in der Früh wach werden, weil das Handy piepst. Dann lesen sie die Nachricht und können nicht mehr schlafen." Gemeinsam mit der Lehrerin haben sich die Mädchen darauf geeinigt, einander eine Woche lang keine Nachrichten zu schicken. "Die erste Reaktion war: Es war so entspannend!", erzählt Kurmanowytsch.

Cybermobbing ist am Gymnasium Pichelmayergasse eines der Hauptprobleme. "Sie wachsen mit dem Handy auf. Sie leben nicht mit dem Handy, sondern im Handy drinnen", sagt Kurmanowytsch. So übertragen sich die Konflikte aus dem realen Leben ins Web. Sie und die anderen Lehrer müssten sich über Whatsapp und Facebook informieren, um zu verstehen, was die Jugendlichen dort machen, sagt die Schülerberaterin. "Ich würde mir aber auch wünschen, dass sich die Eltern informieren. Ich glaube, dass sie sich relativ wenig darum kümmern, was ihre Kinder im Internet machen."

Mobbing als Modewort

Obwohl sie sich darum bemühe, das Bewusstsein für Mobbing an ihrer Schule zu schärfen, warnt Kurmanowytsch davor, das Wort überzustrapazieren. "Mittlerweile ist Mobbing ein bisschen ein Modewort geworden für: Jemand ist gemein zu mir." Der Unterschied laut der gängigen Definition: Mobbing passiert über einen längeren Zeitraum. Vom Täter wird eine intensive negative Handlung gesetzt, mit der er bewusst jemandem schaden will.

Am Gymnasium Pichelmayergasse wird auch deutlich, was viele Experten als Grund für die vielen Mobbingfälle in Österreich sehen: Das Unterstützungspersonal für die Lehrer fehlt. Der zuständige Schulpsychologe ist im ersten Semester viermal an der Schule gewesen. Elternverein und Schule zahlen eine zusätzliche Psychologin, die aber auch nur alle zwei Wochen für eine oder zwei Stunden kommt. "Bei uns läuft viel zwischen Tür und Angel, in Akutfällen fällt mein Unterricht aus", erzählt Kurmanowytsch. Sie wünscht sich mehr Ressourcen und auch mehr Wertschätzung "von oben". (Lisa Kogelnik, 18.6.2015)