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Valerie Fritsch (26) ist eine von 14 Lesenden beim Bachmannpreis B I L D U N T E R S C H R I F T: (1. bis 5. Juli). Aus Österreich nehmen weiters Anna Baar, Michaela Falkner, Teresa Präauer und Peter Truschner am Preislesen teil.


Foto: APA / Jasmin Schuller

STANDARD: Zwischen dieser und unserer letzten Begegnung liegen gut zwei Monate, das Erscheinen Ihres Romans "Winters Garten" und, mit Verlaub, Ihr Aufstieg von einer steirischen Lokalgröße zur medial omnipräsenten deutschsprachigen Autorin. Haben Sie mit so viel Erfolg gerechnet?

Valerie Fritsch: Zumindest habe ich darauf gehofft, aber natürlich habe ich keine Idee gehabt, was es genau impliziert. Was dann genau für Dinge passieren, dafür hatte ich zu wenig Ahnung vom Betrieb, aber es macht glücklich, bringt Spaß und Freude.

STANDARD: Welche Dinge sind denn passiert?

Fritsch: Mitunter eigenartige.

STANDARD: Nämlich?

Fritsch: Zum Beispiel Begegnungen mit Autogrammjägern, die ausschauen wie Hardcore-Proleten und mit einem zwanzig Zentimeter dicken Stapel Zeitungen und Bildern kommen, um sich jedes Blatt unterschreiben zu lassen. Sie fangen dich vor der Lesung ab, zu der sie dann nicht bleiben, weil sie ja nur wegen der hübschen Pressefotos da sind (lacht).

STANDARD: Zehrt dieser Trubel nicht auch sehr an Ihren Kräften?

Fritsch: Doch. Aber ich habe mir das immer gewünscht, und jetzt ist es eingetreten, also darf ich mich nicht beklagen.

STANDARD: Ihr Roman wurde von der Kritik mit selten einhelliger Begeisterung aufgenommen. Hat so viel Zuspruch nicht auch etwas Befremdliches?

Fritsch: Ich fand es unheimlich schön, dass einige Kritiker sich tatsächlich von diesem Buch überrascht gezeigt haben, und von einer solchen Form des Überraschtwerdens durch Literatur habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Sie schienen mir befremdet zu sein, aber es war die schönste Form von Befremdlichkeit. Leute auf zauberhafte Weise zu verstören ist mein Leib und Leben, und wenn das durch Literatur gelingt, dann ist das ganz wunderbar.

STANDARD: Und wie geht es für die Leser weiter, nachdem sie durch die Lektüre verstört wurden?

Fritsch: Hoffentlich gut. Die Literatur kann ja nicht die Verantwortung für ihre Folgen übernehmen, aber ich finde es schön, wenn Bücher die Welt auf eine Art und Weise verändern, die irgendwie produktiv ist. Meinetwegen auch sehr konkret. Nehmen Sie zum Beispiel Fifty Shades of Grey: Auch wenn das keine große Literatur ist, hat sie unmittelbaren Einfluss auf die Welt. Allein die Vorstellung, dass Baumarktleiter ihre Mitarbeiter darin schulen, wie sie diskret mit dem enormen Anstieg der Nachfrage nach Kabelbindern umgehen sollen, führt zu einem Bild, das in sich schon wieder hochliterarisch und poetisch ist. Und wenn aufgrund dieses Buches jetzt mehr Leute Spaß beim Sex haben, finde ich das großartig.

STANDARD: Ist das jetzt ein Plädoyer für die Umwidmung von Kabelbindern?

Fritsch: Ich habe keine Ahnung von Kabelbindern, aber ich befürworte alles, was die Experimentierfreudigkeit von Menschen fördert, auf allen Gebieten.

STANDARD: Sie werden Anfang Juli am diesjährigen Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt teilnehmen. Gibt es für Sie da jetzt überhaupt noch etwas zu gewinnen?

Fritsch: Ja, den Preis zum Beispiel.

STANDARD: Wie gehen Sie mit dem Druck um, als Favoritin zu gelten?

Fritsch: Ich würde mich nicht als Favoritin sehen. In diese Rolle möchte ich mich gar nicht drängen lassen.

STANDARD: Weil es in Klagenfurt zumeist ein Fehler wäre, auf den besten Text zu wetten?

Fritsch: Nein, natürlich möchte man dort etwas gewinnen. Ich denke, man fährt nicht mit der Absicht hin, völlig leer auszugehen. Im Übrigen widerspräche das per se meiner Natur. Aber ich sehe das mit heiterer Gelassenheit. Ich betrachte es als Glücksspiel oder Experiment.

STANDARD: Liegt die Möglichkeit des Scheiterns nicht ohnedies in der Natur des Experiments?

Fritsch: Das kommt drauf an, wie man das Wort Experiment definiert. Wenn man es als Spiel mit offenem Ausgang begreift und jeden Ausgang als den Beginn eines neuen Spiels, dann kann man nur gewinnen.

STANDARD: Sie haben sich sehr früh konsequent für das literarische Schreiben als Profession entschieden. Wie kam das?

Fritsch: Ich habe immer schon gewusst, dass Schreiben etwas ist, das ich wirklich kann. Mit achtzehn hätte ich vielleicht gesagt "Schreiben" und "Lieben", aber das kommt mir heute doch etwas pathetisch vor. Auf jeden Fall habe ich irgendwann verstanden, dass ich aufs Ganze gehen, es zumindest versucht haben muss, ehe ich dann doch Immobilienmaklerin oder Ähnliches geworden wäre.

STANDARD: Haben Ihre Eltern dieses Ansinnen unterstützt?

Fritsch: Meine Mutter hat mich mit tausenden Kinderbüchern versorgt und zur Welt der Buchstaben hingeführt, die Liebe zu den Worten sozusagen vorbereitet, alles, was dann kam, konnte sie später nicht mehr aufhalten. Ich habe unendlich viel gelesen, mehrere Bücher pro Woche, meine ganze Kindheit war durchs Lesen getaktet. Diese Liebe zu Kinderbüchern dauert bis heute an. Immer wenn ich mich nicht wohlfühle, lese ich in meinen alten Kinderbüchern. Aber auch wenn es mir besonders gut geht – dann lese ich anderen etwas vor. Erwin Mosers Katzenkönig Mauzenberger zum Beispiel, das ist großartig.

STANDARD: Lesen Sie sich Ihre eigenen Texte auch vor?

Fritsch: Ja, mir und anderen. Das Lautlesen gehört für mich zum Schreiben untrennbar dazu. Wenn ich schreibe, habe ich ja nie das Gefühl zu schreiben, sondern zu komponieren. Und wenn es rhythmisch nicht richtig klingt, dann ist etwas falsch am Satz. Natürlich wandelt man bei dieser Art von Literatur ständig auf dem Eis, weil man bei einer Sprache, die so laut- und bildreich ist wie die meine, stets Gefahr läuft, in Kitschverdacht zu geraten. Das muss schon sitzen und unterfüttert sein, sonst funktioniert es nicht.

STANDARD: Bislang sind Sie nicht ausgerutscht.

Fritsch: Ich gebe mir alle Mühe. (Josef Bichler, 25.6.2015)