Severin Zotter auf der mühevollen Reise quer durch die USA. Bei einer Fahrzeit von rund acht Tagen und acht Stunden schlief er insgesamt nur etwas mehr als acht Stunden.

Foto: www.severinzotter.at

Tag eins: Noch liegen über 4.000 Kilometer Fahrtstrecke vor dem Grazer.

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Tag neun: Zotter am Ziel seines Traums.

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Der Steirer Severin Zotter hat vor wenigen Tagen als Rookie das Race Across America gewonnen. Kurz nach seiner Rückkehr nach Österreich sprach er mit dem STANDARD über die 4.837,5-Kilometer-Tortur quer durch die USA, für die er nicht einmal neun Tage benötigte. Der Extremradfahrer über seinen wilden Ritt von der West- zur Ostküste, über "schirche" Momente unterwegs, über sein Sozialprojekt zur Unterstützung syrischer Flüchtlingskinder im Libanon und seinen Job als Streetworker.

STANDARD: 4.837,5 Kilometer in 8 Tagen, 8 Stunden und 17 Minuten. Spüren Sie noch die Strapazen der langen Reise?

Zotter: Körperlich spüre ich sie fast nicht mehr. Kleine Wehwehchen habe ich allerdings schon noch. Die Finger fühlen sich taub an und ich kann sie nicht wirklich gut bewegen.

STANDARD: Wie war Ihr Empfang als Race-Across-America-Sieger in Österreich?

Zotter: Ich wurde zunächst am Wiener Flughafen von der Familie und in Graz von rund 30 Fahrradboten-Kollegen und Freunden mit Transparenten und Sekt empfangen. Sie haben mich mit einem Fahrradkorso nach Hause begleitet. Am Abend gab es dann eine große Überraschungsparty.

STANDARD: Haben Sie nach dem Rennen mehrere Tage durchgeschlafen?

Zotter: Direkt danach habe ich nur drei Stunden geschlafen. Der Schlafrhythmus war natürlich gestört. Am nächsten Tag habe ich am Abend sieben Stunden und in der darauffolgenden Früh nochmal acht Stunden geschlafen. Also nicht ungewöhnlich viel.

STANDARD: Wie viele Stunden Schlaf haben Sie sich während dem Rennen gegönnt?

Zotter: Ich habe sechs Schlafpausen in der Größenordnung von rund einer Stunde gemacht. Dazu kamen noch einige Powernaps mit rund zehn Minuten. In Summe waren es acht Stunden und zwei Minuten. Normalerweise bin ich ein Vielschläfer, brauche neun Stunden pro Tag. Ich kann es mir selbst nicht erklären, wie das funktioniert.

STANDARD: Wie trainiert man auf eine derartige Extrembelastung hin?

Zotter: Direkt mit Radtraining, den Schlafentzug kann man nicht wirklich trainieren. Ich achte normaler Weise darauf, dass ich mich immer wieder gut erhole um nicht krank zu werden. Als langfristiges Training dienen vor allem Vorbereitungsrennen. Ich fahre seit zwölf Jahren 24-Stunden-Rennen und seit vier Jahren 1000-Kilometer-Rennen. Meiner Erfahrung nach wird das Problem mit dem Schlafentzug von Rennen zu Rennen besser. Der Körper lernt, mit solchen Ausnahmesituationen umzugehen.

STANDARD: Unterwegs denkt man sicher öfter daran aufzugeben.

Zotter: Das Aufgeben ist sicher ein großes Thema. Ich habe schon vorher viel darüber nachgedacht. Im Rennen selbst habe ich eigentlich nur am zweiten Tag daran gedacht. Es war extrem heiß, die ersten Bergetappen standen bevor und mir ist es nicht gut gegangen. In dem Moment habe ich daran gezweifelt, dass ich es schaffen werde. Als mich Christoph Strasser überholt hat, war ich mir nicht sicher, ob ich nicht zu schnell begonnen hatte. Danach aber bin ich immer besser in einen Flow gekommen und aufgeben war dann kein Thema mehr. Irgendwie unglaublich.

STANDARD: Wie lenkt man sich ab?

Zotter: Kommen Negativgedanken auf, versuche ich auf die Gegenwart zu fokussieren. Zum einen sage ich mir, jetzt fahre ich den Hügel rauf oder jetzt freue ich mich auf die nächste Abfahrt. Zum anderen kommt viel Motivation von meinem Team, das mich mit Musik über die Autoanlage oder die vielen Mails und Facebook-Nachrichten, die ich während dem Rennen erhalten habe, aus den Tiefs rausholt.

STANDARD: Was waren die schlimmsten Erfahrungen unterwegs?

Zotter: Der Schlafentzug. In der siebten Nacht musste ich im Pacecar schlafen, weil es mit dem Camper ein Problem gab. Diese Nacht war gar nicht gut. Nach dem Aufstehen war ich extrem verwirrt. Mein Teamchef musste mich an diesem Morgen während der Fahrt über eine Stunde lang aufbauen, bis ich mich wieder halbwegs ausgekannt habe. Das war eine sehr schirche Erfahrung. Und das zweite Mal passierte in einer Tiefphase in der achten Nacht in den Appalachen, als es ständig bergauf und bergab ging, alles gleich ausschaute und ich dachte, ich fahre im Kreis. Ich musste alle fünf Minuten stehen bleiben, weil ich mich nicht mehr auskannte. Da war ich wirklich verwirrt. Mein Team hat mich aber auch da durch getragen. Interessanter Weise hat es ohne Musik funktioniert, ich konnte in der ruhigen Nacht mehr Bezug zur Umgebung schaffen.

STANDARD: Befindet man sich unterwegs in einer Art Trance?

Zotter: Wenn man in einem Flow kommt und guter Stimmung ist, dann befindet man sich wahrscheinlich in einer Art Trance. Wenn es nicht so läuft, ist es ähnlich, nur anders rum. Dann schweift man in den Gedanken ab, ist knapp vor dem Einschlafen und verliert das Ziel vor den Augen komplett. Dann wird es gefährlich.

STANDARD: Hatten Sie unterwegs Probleme mit dem Sitzfleisch, mit dem Magen oder den Muskeln?

Zotter: Ich hatte nach zwei Tagen Sitzprobleme wegen zweier schmerzender Punkte, die hat aber mein Arzt recht gut versorgt. Am zweiten Tag sind mir auch die Füße angeschwollen, das ging aber in der Folge auch wieder zurück. Mit der Verdauung hatte ich keine Probleme. Ich habe mich rein flüssig ernährt, keinen Bissen fester Nahrung zu mir genommen, habe allerdings schon vor dem Rennen umgestellt um meine Verdauung daran zu gewöhnen. Die Energiezufuhr war immer im grünen Bereich.

STANDARD: Statt Pizza, Schnitzel und Schweinsbraten gab es Astronautennahrung?

Zotter: Ja genau. Diese Flüssignahrung wird auch im medizinischen Bereich eingesetzt, als Ergänzungsnahrung. In den USA kann man sie in jedem größeren Supermarkt kaufen. Da ist alles drin, was man grundsätzlich braucht zum Leben. Ergänzend gab es Elektrolytgetränke, die auch Kohlenhydrate enthalten.

STANDARD: Haben Sie einige Kilo auf dem Weg quer durch die USA verloren?

Zotter: Nein. Zwischendurch habe ich sogar zwei, drei Kilo zugenommen, weil der Körper in der Wüste Wasser einlagert, wenn man viel trinkt.

STANDARD: Mussten Sie die Bereitschaft, sich zu quälen, erlernen oder kommt das mit der Zeit ganz von selbst?

Zotter: Seit ich dieses Rennen mitverfolge und seit ich Langstreckenrennen fahre, sind für mich nicht die Qualen im Vordergrund gestanden, sondern die Faszination an dieser Sportart. Die Freude am Fahren stand größtenteils im Vordergrund. Mir ist allerdings auch bewusst, dass es für jemanden ganz anders ausschauen kann, wenn er sich nicht so gut fühlt, wie ich es tat. Man muss allerdings schon eine gewisse Konsequenz haben beim Fahren. Ich setze mir ein Ziel, überlege, wo meine Grenzen liegen und dann gibt es keine Kompromisse mehr. Manchmal denkt man, dass man das Rennen nie und nimmer fertig fahren wird und wenig später ist es das schönste Erlebnis, das man sich nur vorstellen kann.

STANDARD: Otto Normalverbraucher möchten meinen, dass 4.837,5 Kilometer in etwas mehr als acht Tagen ohne Doping nicht möglich sind.

Zotter: Doping ist für mich kein Thema, ich komme aus einer ganz anderen Welt. Ich bin Sozialarbeiter, sehe in meiner Arbeit täglich Leute, die sich Sachen unkontrolliert reinhauen. Ich wüsste nicht, warum ich das auch machen sollte. Ich investiere viel um meinen Traum realisieren zu können. Ich kriege aber kein Geld dafür und daher gibt es auch keinen Grund irgendjemanden zu betrügen. Außerdem würde ich mich vor allem selbst betrügen. Mich zipft es unglaublich an, dass alles was mit Radsport zu tun hat, in einem Atemzug mit Doping genannt wird. Aber ich finde schon, dass manche kolportierten Leistungsdaten im Profiradsport unrealistisch wirken. Im Ultraradsport schafft man einigermaßen hohe Leistungswerte nur an den ersten zwei Tagen, danach ist die Leistung im Keller und der mentale Aspekt gewinnt an Bedeutung.

STANDARD: War es schwierig, Sponsoren zu finden?

Zotter: Ja, aber ich bin am Ende gut ausgestiegen, auch wenn ein gewisser Teil des Budgets aus der Privatkasse kommt. Ich werde versuchen, durch Vorträge noch etwas reinzubekommen.

STANDARD: Für ein Zwölf-Mann-Team kommt sicher einiges zusammen.

Zotter: Allerdings. Man muss die Flüge, Unterkünfte und Autos zahlen. Da kommt schon was zusammen auch wenn keiner der Betreuer oder Fotografen, die Weltklasse waren, etwas bezahlt bekam.

STANDARD: Radfahren bezeichnen Sie auf Ihrer Website als eine Lebenseinstellung. Können Sie das noch etwas genauer erläutern?

Zotter: Radfahren ist nicht nur Sport, es gibt viele schöne Facetten. Ich bin seit 15 Jahren, nach wie vor wenn ich Zeit habe, als Fahrradbote unterwegs. Ich bin begeisterter urbaner Radfahrer, hatte die meiste Zeit meines Lebens kein Auto. Das Rad ist für mich das Alltagsverkehrsmittel. Beim Rennradfahren kann man in relativ kurzer Zeit viele Kilometer zurücklegen, das Mountainbiken im Wald schätze ich als Ausgleich, um den Kopf frei zu kriegen. In der Stadt mag ich das Fixiefahren. Und dann wären da noch Radfahren zu Transportzwecken oder das Rad-Touring. Vor zwei Jahren war ich mit meiner Freundin vier Monate in Asien, Australien und Neuseeland unterwegs.

STANDARD: Hat Sie auch Ihr Sozialprojekt zur Unterstützung syrischer Flüchtlingskinder im Libanon zusätzlich motiviert?

Zotter: Das hat mich immer wieder sehr motiviert. Auch weil ich immer wieder über den steigenden Spendenstand informiert wurde. Das ist eine tolle Sache und mir hat auch schon in der Vorbereitung sehr getaugt, wie man das kombinieren kann. Ich weiß, wie privilegiert ich bin, ein solches Rennen fahren zu dürfen und es freut mich, wenn ich etwas für Menschen beitragen kann, denen es wirklich extrem schlecht geht. Ich habe mir unterwegs oft gedacht, dass es mir zwar gerade nicht besonders gut geht, aber es Menschen gibt, die ganz andere Sachen durchmachen. Die können es sich nicht aussuchen und einfach vom Rad steigen.

STANDARD: Was denken Sie zum aktuellen Eiertanz in Österreich betreffend Aufnahme von Flüchtlingen?

Zotter: Ich finde es eine Katastrophe, wie auf dem Rücken von Minderheiten solche politischen Diskussionen ausgetragen werden. Ich hoffe, dass ich in diesem Kontext auch mit meinem Projekt etwas dazu beitragen kann, dass solche Problematiken zum Positiven gewendet werden können. Es geht auch darum, gesellschaftlich Verantwortung zu übernehmen. Aus meiner Sicht als Sozialarbeiter ist es Wahnsinn, was da passiert.

STANDARD: Sie arbeiten seit 2009 bei der Caritas in Graz als Streetworker im Drogenbereich. Klingt nach einem harten, aber wichtigen Job. Kann man etwas bewegen?

Zotter: In meinem Job als Streetworker geht es darum, Schaden zu mindern. Ich bin so weit desillusioniert, dass ich sage, jemanden zu retten, ist nicht meine Aufgabe. Aber man kann vielleicht einen Rahmen schaffen, wo Leute ankommen können, wo man an Perspektiven arbeiten kann oder einfach nur Stabilität im Leben bieten kann. Damit ist schon vielen geholfen. Ich merke immer wieder, dass auch junge Leute zu uns kommen, die ganz wenig Perspektive haben. Wenn es einen guten Background gibt, mit guter Bildung und gutem Elternhaus, dann gibt es noch Chancen. Aber es gibt auch viele Menschen, die aus schlechten sozialen Milieus kommen. Und dann denke ich mir oft, was hätten sie schaffen können, wenn es anders für sie gelaufen wäre. Es stimmt mich bedenklich, dass es für viele Menschen keine Chancengleichheit gibt. (Thomas Hirner, 1.7.2015)