2015 ist Bilanzjahr: Acht Millenniumsziele hatten die Vereinten Nationen im Jahr 2000 aufgestellt. Heuer läuft das Programm aus. Experten sind sich einig: Es ist eine durchwachsene Bilanz. Zwar konnte die weltweite Armut tatsächlich halbiert werden, das liegt aber vor allem am wirtschaftlichen Aufschwung von Ländern wie Indien und China. Die Kinder- und Müttersterblichkeit ging zurück, dennoch verpasst man das ambitionierte Ziel einer Reduktion um drei Viertel. Autor und Praktiker Friedbert Ottacher sieht die traditionelle Entwicklungshilfe am Wendepunkt. Ein zentrales Credo sei mittlerweile, dass Wohlstand nur durch wirtschaftliche Entwicklung generiert werden könne. Dass in Österreich Entwicklungshilfe ständig gekürzt wird, trage nicht zum Ansehen des Landes bei.

STANDARD: Sie sagen, dass die traditionelle Entwicklungshilfe, wie wir sie kennen, an einem Wendepunkt steht.

Ottacher: Früher war die Entwicklungszusammenarbeit klar aufgeteilt. Da gab es die Geberländer, die multilateralen Organisationen wie UN oder Weltbank und die diversen Hilfswerke – und die Entwicklungsländer als Empfänger. Mittlerweile sind die Schwellenländer selbst Geber. Ein zentrales Credo ist, dass Wohlstand nur durch wirtschaftliche Entwicklung generiert werden kann. Deswegen werden verstärkt auch Unternehmen ins Boot geholt. Stiftungen spielen eine große Rolle: Der größte aktuelle Geber der WHO ist zum Beispiel die Bill-&-Melinda-Gates-Stiftung mit drei Milliarden Dollar (rund 2,74 Milliarden Euro, Anm.) im Jahr. Stiftungen als Akteure sehe ich nicht unkritisch, weil sie auch die Politik beeinflussen, ohne demokratisch legitimiert zu sein.

STANDARD: Gegen drei Dollarmilliarden der Gates-Stiftung ist das österreichische Entwicklungshilfebudget mit 0,26 Prozent des Bruttonationaleinkommens – oder 863 Millionen Euro – verschwindend gering. In den vergangenen Jahren wurde auch eher gekürzt als aufgestockt.

Ottacher: In Österreich haben wir einen Kürzungspfad, diese Kürzungen sind mit dem Finanzrahmengesetz vorgegeben. 2015 hat man Kürzungen durch Auflösung von Rücklagen verhindert, 2016 ist noch offen. Aus meiner Sicht sollte Außenminister Kurz das Budget der ADA (Österreichische Entwicklungszusammenarbeit, Anm.) verdoppeln und den Katastrophenfonds aufstocken. Dann wären es immer noch erst 0,28 Prozent des Bruttonationaleinkommens, aber es wäre operatives Geld da. Nur zehn Prozent der 0,26 Prozent gehen in Österreich wirklich in konkrete Entwicklungsprojekte.

STANDARD: Der Rest ist Strukturerhaltung und Bilanzkosmetik?

Ottacher: Es wird in Österreich sehr viel einberechnet wie Stipendienplätze, Asylkosten oder Gelder, die in multilaterale Töpfe gehen.

STANDARD: Bundeskanzler Faymann sprach auch schon davon, Spendengelder einzurechnen.

Ottacher: Österreich war immer schon sehr kreativ dabei, den Prozentsatz der Entwicklungshilfe größer erscheinen zu lassen, als er tatsächlich ist. Das hat seinem Ruf nicht unbedingt genutzt. Das Einrechnen der Spendengelder lässt die OECD aber sicher nicht zu. Die Entwicklungszusammenarbeit ist leider kein Herzensthema der Politik in Österreich.

STANDARD: Auf einer UN-Konferenz in Addis Abeba in der kommenden Woche soll nun die Finanzierung für die Entwicklungshilfe der nächsten 15 Jahre aufgestellt werden. Was ist hier zu erwarten?

Ottacher: Addis Abeba ist die erste von drei großen Konferenzen zur Neuordnung der Entwicklungszusammenarbeit in diesem Jahr. Die Finanzierung ist natürlich ein heikles Thema. Ein großer Wurf wie eine eigene Entwicklungsabgabe wird vermutlich nicht zustande kommen. Es muss aber fixe Finanzierungszusagen in einer gewissen Dimension geben. Hinter den Kulissen wird mit harten Bandagen gekämpft, weil mittlerweile auch die Schwellenländer ihre eigenen Vorstellungen haben, genauso wie die Europäer oder die US-Amerikaner.

STANDARD: Seit Dezember 2005 gibt es den europäischen Konsens in Form einer Erklärung, dass die Entwicklungspolitik der EU und ihrer Mitgliedsstaaten optimal aufeinander abgestimmt werden soll. Funktioniert das?

Ottacher: Natürlich brauche ich nicht 17 Gebervertreter in einem Land. Harmonisierung bedeutet aber immer auch, Machteinfluss aufzugeben. Das macht bisher niemand gern. Ich sage mal: Hier ist noch viel Luft nach oben.

STANDARD: Die Sambierin Dambisa Moyo hat 2009 in ihrem vielbeachteten Buch "Dead Aid" zur Einstellung der Entwicklungszusammenarbeit aufgerufen.

Ottacher: Moyo hat als schwarze Intellektuelle und erfolgreiche Bankerin viel Aufmerksamkeit erregt. Das Buch selbst hat aber meiner Meinung nach nicht viel Substanz. Es ist neoliberal und propagiert das chinesische Modell als Vorbild. Moyo geht auch davon aus, dass die Märkte einen Aufschwung alleine schaffen würden, und verbittet sich Einmischung. Wenn man aber innerhalb von fünf Jahren – wie sie vorschlägt – die Entwicklungshilfe beendet, dann würde das einen massiven Flurschaden verursachen.

STANDARD: China baut Infrastruktur wie Straßen und Bahnlinien und formuliert wirtschaftliche Interessen offener als westliche Geber, verzichtet aber auf die klassische Entwicklungshilfe. Daher ist China immer stärker präsent.

Ottacher: Ein altes Systemproblem der EZA ist, dass sie sozusagen als Nachfolgeprodukt des Kolonialismus wahrgenommen wird. China hat das Problem nicht. Die Europäer kommen mit ihren hohen Standards, und wenn ein Regierungschef die Wahl hat, entscheidet er sich für China, weil er nicht so viele Fragen beantworten muss.

STANDARD: Fördert die EZA die Korruption vor Ort?

Ottacher: Das ist das Totschlagargument der Gegner der EZA. Früher war es tatsächlich so, dass Korruption als notwendiges Übel angesehen wurde. Mittlerweile hat aber jede Organisation schon im eigenen Interesse Kontrollmechanismen und Methoden der Überprüfung. Die EZA ist sogar so etwas wie eine Vorreiterin in der Bekämpfung der systemischen Korruption. (Manuela Honsig-Erlenburg, 9.7.2015)