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84 Prozent der isländischen Väter gehen in Karenz, im Jahr 2009 waren sogar 96 Prozent.

Foto: AP/Paul White

Juli 2015: Während in Österreich das Familienministerium mit einer neuen Kampagne gegen Geschlechterstereotype ankämpft, ist ein Lokalaugenschein in Island eine erfrischende Inspirationsquelle in Sachen Gender-Mainstreaming: Auffallend viele junge Männer oder Frauen schieben ihre Kinderwägen durch Reykjavíks Fußgängerzone, die größeren Kids sausen auf Skateboards den "Laugavegur" hinunter zum alten Hafen. Auch in den kleinen Gemeinden auf dem Land ist überall die große Kinder- bzw. Familienfreundlichkeit in Island spürbar: Gratisschwimmflügerln in jedem Freibad, Hochstühle an jeder Tankstelle sind eine Selbstverständlichkeit.

Was aber genau meint Familienpolitik in Island? Die Ehe ist hier längst keine Institution mehr, Island hat die im OECD-Schnitt höchste Geburtenrate unverheirateter Mütter – diese ist mit beinahe 70 Prozent weit höher als in Europa oder den USA. Gleichzeitig gehen aber 80 Prozent der Frauen zwischen 15 und 64 Jahren einer bezahlten Beschäftigung nach: Island hält damit die Spitzenposition in der OECD. Von den wenigen, die heiraten, lassen sich relativ viele wieder scheiden (Island liegt in der Statistik hierbei weit, aber nicht ganz vorne). Das führt aber nicht etwa zu Stigmatisierung und unglücklichen Kindern sonder Zahl: Zusammenbleiben wegen der Kinder ist hier nicht üblich, gelebt wird die "extended family".

Better Life Index

Mit diesem Modell zählen die Isländer laut "OECD Better Life Index" zu den glücklichsten und gesündesten Menschen überhaupt. Der Index misst insgesamt elf Aspekte, die für das Wohl des Menschen zentral sind, darunter Gesundheit, Bildung, lokale Umweltfaktoren, persönliche Sicherheit und allgemeine Zufriedenheit, aber auch traditionelle Messgrößen wie das Einkommen.

Island nimmt hierbei nicht nur die Spitzenposition in puncto Erwerbsarbeit von Frauen ein, es liegt auch über dem Durchschnitt bei sozialen Beziehungen, subjektivem Wohlbefinden, Gesundheit, Sicherheit, Bildung und Zivilengagement – bei Männern und Frauen. Wie gelingt das und welche Rolle spielt diesbezüglich die Familienpolitik?

Nur ein Karenzmodell

84 Prozent der isländischen Väter gehen in Karenz. Das ist mehr als selbst in den skandinavischen Musterländern, die hierorts gern als Beispiel angeführt werden. Drei Faktoren dürften dabei eine Rolle spielen: Die sogenannte "Geburtskarenz" – auch die genderneutrale Wortwahl ist wichtig – ist erstens gut bezahlt, zweitens mittellang im internationalen Vergleich und bietet drittens spezifische Anreize für Männer.

Die Geburtskarenz kann auf drei Jahre nach der Geburt des Kindes aufgeteilt werden, gezahlt werden 80 Prozent des Durchschnittseinkommens vor der Geburt (bis maximal 2.180 Euro monatlich). Jeweils drei Monate sind für den Vater, drei Monate für die Mutter vorgesehen, drei individuell aufteilbar. Verzichtet der Vater auf seine Zeit, geht diese der Familie insgesamt verloren. Es gibt nur dieses eine Karenzmodell, also keine Wahlmöglichkeit wie etwa in Österreich. Die Gemeinden zahlen 95 Prozent der Kindergartenkosten, mehr als 90 Prozent der Kinder unter fünf Jahren sind in Kinderbetreuungseinrichtungen.

Aufgabe traditioneller Rollenbilder

Die Berufstätigkeit ihrer Mütter scheint den isländischen Kindern nicht zu schaden, deren Pisa-Leistungsstandard ist hoch. Dabei schneiden die Mädchen in Island im Durchschnitt um 22 Punkte besser ab als die Buben.

Auch bei der Lebenserwartung schlagen die Frauen in Island die Männer, wenn sie auch mit 84 Jahren nur noch wenig älter als diese (82 Jahre) werden. Insgesamt ist die Lebenserwartung in Island eine der höchsten der Welt. Dazu trägt auch die hohe Lebenszufriedenheit insgesamt (7,5) im Vergleich zum OECD-Durchschnitt (6,6) bei. 96 Prozent aller Isländer geben an, dass sie jemanden kennen, der ihnen im Notfall Beistand leisten würde – das ist der höchste Wert im OECD-Raum. Auch hier gibt es kaum einen Unterschied zwischen Männern und Frauen. In Österreich glauben dies im Vergleich 89 Prozent.

Das Aufgeben traditioneller Rollenbilder, so scheint es, führt nicht zur Auflösung von verlässlichen sozialen Netzen und hoher Lebenszufriedenheit. Wo ein politischer Wille, da auch ein Weg: Vielleicht ist es hilfreich, dass der Frauenanteil im isländischen Parlament 40 Prozent beträgt. (Tanja Paar, 6.8.2015)