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Schilder weisen im Ort Khurvaleti auf den Grenzverlauf zwischen Georgien und Südossetien hin. Zwei Kilometer von dort entfernt wurden die Tafeln verrückt.

Foto: Reuters / David Mdzinarishvili

Eine Stunde von Tiflis entfernt liegt das georgische Dorf Ergneti verschlafen an der administrativen Grenze zur abtrünnigen Provinz Südossetien. Entlang der Hauptstraße sind kaum Menschen zu sehen. Zur Mittagszeit spielt die Sonne, die durch die Äste der großen, alten Obstbäume fällt, Schattenspiele. Ein verrosteter Wolga-Pkw blockiert den Weg ins Zentrum. Vier Männer mittleren Alters unterhalten sich auf einer Bank. Der Georgienkrieg von 2008 ist als Thema immer noch allgegenwärtig.

Denn der Alltag hat sich seither massiv verändert: 200 Häuser umfasste Ergneti noch zu Beginn des Jahres 2008. Während des Krieges, der im August nur fünf Tage dauerte, wurden 150 davon zerstört. Das Schulhaus sei zum Glück erhalten geblieben, sagen sie – aber Schüler gebe es kaum noch.

Leben an der Trennlinie

Schon vor 2008 war das Leben in Ergneti beschwerlich, erzählen die Männer weiter, aber man lebte ganz gut vom Handel mit Agrarprodukten – bis Russland 2006 ein Handelsembargo verhängte. Bald habe Russland den Strom abgestellt, später auch das Gas. Und dann kam der "richtige" Krieg, als Georgiens Präsident Michail Saakaschwili versuchte, das abtrünnige Südossetien zurückzuerobern.

Bis zum Waffenstillstand am 12. August wurden im ganzen Land etwa 850 Menschen getötet. Südossetien – wie auch Abchasien – erklärte sich unabhängig, Moskau erkannte dies an. Seither leben die Bewohner Ergnetis de facto an einer Landesgrenze. Nika Kasradse erinnert sich an die Zeit, als er in der damals noch autonomen georgischen Provinz Südossetien zur Schule ging. 2008 brachen plötzlich viele Kontakte ab, georgische Familien wurden zu Flüchtlingen. Bis heute hat Nika zu einzelnen Familienmitgliedern keinen Kontakt mehr.

Verhaftungen an der Grenze

Heute gehören Zwischenfälle zum Alltag. Nicht selten werden Bauern bei der Apfelernte festgenommen, weil sie die Grenzlinie überschritten haben. Immer wieder riskieren Georgier Verhaftungen, um Familiengräber auf der anderen Seite zu besuchen. Vor allem im Mai während der Pimpernussernte – eine georgische Delikatesse, die auf den Hügeln jenseits der Trennlinie wächst – steigen die Grenzübertretungen und damit die Festnahmen massiv an.

150 Menschen wurden allein im Jahr 2014 von südossetischen Behörden verhaftet. Nach wenigen Tagen werden sie in der Regel entlassen, die Freilassung erfolgt meistens unter Vermittlung der 2008 entsandten EU-Beobachtungsmission EUMM (European Union Monitoring Mission).

Die Angst blieb zurück

Umso besorgter verfolgen die Menschen das, was Tiflis als neue, schleichende Grenzverschiebungen auf georgischem Territorium sieht. Die Angst vor einem Wiederaufflammen der Gewalt ist groß. Am 10. Juli 2015 standen plötzlich die Grenzschilder in den Siedlungen Ortschossani und Zitelubani um 300 Meter beziehungsweise 1200 Meter weiter südlich auf georgischem Gebiet.

Damit sahen sich nicht nur georgische Bauern in den Grenzdörfern um Ackerland beraubt. Die Grenze rückte quasi über Nacht näher an die Ölpipeline heran, die von Aserbaidschans Hauptstadt Baku zum georgischen Schwarzmeerhafen Supsa führt.

Lösungen nur auf lokaler Ebene

Auch der EUMM sind die Aktivitäten nicht entgangen. Das monatliche Treffen des Komitees für Konfliktvorbeugung und die Schaffung von neuen Reaktionsmechanismen (IPRM), an dem neben der georgischen und der südossetischen auch die russische Seite teilnimmt, befasste sich in einem außerordentlichen Termin in Ergneti mit dem Thema. Lösungen gibt es nur auf lokaler Ebene.

Kestutis Jankauskas, Chef der EUMM-Mission, weist im Gespräch mit dem STANDARD darauf hin, dass das grundlegende politische Problem auf diplomatischer Ebene unter Beteiligung der internationalen Gemeinschaft gelöst werden müsse. Die Bewohner von Ergneti hoffen, dass sich Georgien und Russland irgendwann einigen, obwohl die aktuellen Ereignisse in der Ukraine ihnen keine großen Hoffnungen machen.

Europa "keine Alternative"

Vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht leidet die Bevölkerung unter der Eiszeit mit Russland, bedauert Nika Kasradse. Russlands Handelsembargo sei zwar aufgehoben worden, dafür seien neue Steuern und Abgaben eingeführt worden, sodass die einfachen Bauern es nicht leichter hätten.

Die Annäherung an die EU sehen die Bewohner von Ergneti skeptisch. Die europäischen Werte seien den Georgiern fremd, heißt es auf Nachfrage. (Tatjana Montik aus Ergneti, 7.8.2015)