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Syrische Flüchtlinge nutzen ihre Smartphones an der ungarischen Grenze, um ihren Standort herauszufinden. Für Asylwerber hat das Gerät oft überlebenswichtige Funktionen.

Foto: Getty Images/Christian Science Monitor

Man solle das "auffällig große" Smartphone in der Hand des dunkelhäutigen Flüchtlings beachten, schreibt eine Facebook-Nutzerin unter ein Foto, das sie nach einem "kritischen Lokalaugenschein" in Traiskirchen gemacht hatte. Unter dem Bild: dutzende empörte Kommentare über den vermeintlichen Reichtum der Flüchtlinge. Das Foto wird tausende Male weiterverbreitet, darunter auch von FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache (der den Eintrag später wieder entfernt). Nur wenige Wochen zuvor: Der oberösterreichische Landesrat Manfred Haimbuchner (FPÖ) lässt Nutzer an einer "Bildersuche" teilnehmen. Mit der Frage "Wer findet das neue iPhone?" publiziert er ein Bild von Flüchtlingen in Linz.

Flüchtlinge und ihr Smartphone

In den sogenannten "asylkritischen", sprich fremdenfeindlichen Kreisen ist das Handy zum Beweis für Reichtum und "Sozialschmarotzertum" geworden. Der Asylwerber schlechthin lasse sich Kost und Logis vom österreichischen Steuerzahler bezahlen, habe selbst aber genug Geld für neueste Elektrogeräte, so die Botschaft. Bei den Recherchen erzählt ein A1-Mitarbeiter, der anonym bleiben will, er sei sogar schon mehrfach mit dem Gerücht konfrontiert gewesen, der Staat weise A1 an, alle Flüchtlinge bei ihrer Ankunft mit neuen Smartphones auszustatten.

Das stimmt natürlich nicht. Genauso wenig liefern Smartphones ein Indiz dafür, ob Menschen verfolgt werden und daher Anspruch auf Asyl haben. Tatsächlich ist es mit Blick auf die IT-Branche, die Strapazen der Flucht und die Gegebenheiten nach der Ankunft sogar sinnvoll, dass Flüchtlinge viel Geld für ein Smartphone ausgeben. Zahlen gibt es nicht, doch Caritas und Innenministerium bestätigen aus eigenen Erfahrungen, dass viele Flüchtlinge bereits mit einem eigenen Smartphone in Österreich ankommen.

Goldgräber in Nahost

Ein Grund dafür liegt in einer Entwicklung, die vor etwas mehr als fünf Jahren einsetzte: Der Arabische Frühling hat noch nicht begonnen, gegen Syriens Diktator Bashar al-Assad regt sich noch kein Widerstand, und die Terrormiliz "Islamischer Staat" existiert noch nicht unter diesem Namen. Während Smartphones in Europa und den USA schon stark verbreitet sind, gelten die Geräte im Nahen Osten als Mangelware. Es wartet also ein potenziell milliardenschwerer Markt, in den Firmen nun enorm investieren.

Telekomkonzerne bauen Netzwerke für mobile Kommunikation aus, was Einwohner in dünnbesiedelten Gebieten den ersten Internetzugang verschafft. Nach den Kriegen im Irak und in Afghanistan helfen europäische, asiatische, aber vor allem US-amerikanische Firmen, die Infrastruktur wiederaufzubauen – was auch die Spione von der NSA freut, die dank ihrer engen Bande zu diesen Firmen ganze Mobilfunknetze in Krisenregionen überwachen können.

Spezialanfertigungen

Doch die Elektronikhersteller haben ein Problem: Topgeräte wie neue iPhones sind für die meisten Einwohner dieser Staaten kaum erschwinglich. Deshalb beginnen Unternehmen wie Samsung, HTC oder LG, den Markt mit modifizierten Geräten zu beackern. Sie bauen Smartphones, die optisch zwar den "westlichen" Premiummodellen gleichen, unter der Oberfläche aber weniger Leistung oder eine schlechtere Kamera besitzen. Die eingesparten Produktionskosten ermöglichen einen niedrigeren Preis, die Geräte verkaufen sich glänzend – übrigens auch in Schwellenländern wie China oder Brasilien.

Das Resultat: Schon 2009 gibt es in Syrien 11,7 Millionen Handys bei damals rund 20 Millionen Einwohnern (mittlerweile ist mehr als die Hälfte der syrischen Bevölkerung auf der Flucht).

Einen anderen Weg wählt Apple: Der Smartphone-Gigant bietet US-Kunden einen Preisabschlag, wenn sie beim Kauf eines neuen iPhones ihr altes Gerät eintauschen. Die gebrauchten Smartphones werden repariert, darauf befindliche Daten gelöscht – und in den Nahen Osten verschifft.

Verkaufsschlager

Die gebrauchten oder speziell angefertigten Geräte werden zum Verkaufsschlager. Aus Sicht von Analysten ist das kein Wunder: Für viele Menschen im Nahen Osten ersetzt das Smartphone sämtliche andere Endgeräte. Vor allem junge Leute sparen daher, um sich ein Smartphone leisten zu können. Während junge Österreicher neben dem smarten Handy noch einen Laptop, einen Fernseher sowie möglicherweise eine Videospielkonsole oder sogar ein Tablet besitzen, erledigen Syrer, Ägypter oder Iraker alles mit ihrem Smartphone. Netzwerkhersteller Cisco sagte 2013 voraus, dass spätestens 2016 rund 47 Prozent aller Internetnutzer im Nahen Osten ausschließlich über ihr Mobiltelefon ("Mobile Only") ins Netz einsteigen würden. Den Rest der Zuwächse machen Internetcafés und Unternehmen aus.

Doch im Arabischen Frühling, der 2011 beginnt, bekommen Smartphones plötzlich eine andere Aufgabe: jene, Leben zu retten.

Die Nachrichten im staatlichen Fernsehen: zensiert. Das Festnetztelefon: überwacht. Als sich die Bevölkerung in Syrien, Ägypten und anderen Ländern gegen ihre Diktaturen erhob, blieb oftmals nur das Smartphone als sicheres Kommunikationsmittel. Doch das Gerät taugte nicht nur dazu, Freunde vor Polizeigewalt oder Kontrollen zu warnen. Vielmehr entwickelte sich das Gerät endgültig zur Druckerpresse des 21. Jahrhunderts, mit der sich Protestbewegungen vernetzen und ihre Botschaft verbreiten konnten.

Außerdem war das Smartphone dank integrierter Kamera und Internetzugang in der Lage, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren. Ohne Smartphones hätte es etwa kaum Fotos und Videos aus dem syrischen Bürgerkrieg gegeben. Aufgenommen haben die Dokumente oft genau jene Menschen, die später vor den brutalen Machthabern gen Europa fliehen mussten. In Gebieten, in denen der "Islamische Staat" sein Terrorregime aufbaute, konnten sich Menschen per Smartphone gegenseitig vor Vorstößen der brutalen Miliz warnen – und so das Leben ihrer Freunde und Verwandten retten. Kein Wunder, dass ein Smartphone oft mit hart erspartem Geld erworben wurde.

Smartphone als Übersetzer

Kommt es zur Flucht, bleibt das Smartphone überlebenswichtig. So kommunizieren Flüchtende mit sogenannten Schleppern über das Gerät, um etwa Treffpunkte auszumachen. Apps wie der Google Translator können helfen, sich mit Einheimischen oder Behörden zu verständigen. Familien trennen sich: Der Preis für die Flucht beträgt oft mehr als zehntausend Euro, weshalb die ganze Familie für einen Flüchtenden zusammenlegen muss. Die Flucht ist riskant, die im Kriegsgebiet zurückgelassenen Verwandten sind aber ebenso in Gefahr. Daher ist die Bereitschaft hoch, auch zu diesem Zeitpunkt in ein Smartphone zu investieren – um mindestens einmal pro Woche zu erfahren, ob die andere Seite noch lebt. Mit Anwendungen wie WhatsApp oder Skype kann etwa kostengünstig auch über Ländergrenzen hinweg kommuniziert werden.

Wütende Kundenanrufe

Doch selbst wenn sie heil in Österreich angelangt sind, ist es für Flüchtlinge oft schwierig, den Kontakt zu ihren Familien zu halten. Denn ein Internetzugang ist nicht Teil der Grundversorgung von Asylwerbern, wie es aus dem Innenministerium heißt. Große Mobilfunker wie "3" hatten daher kostenloses Internet für Flüchtlinge bereitgestellt, wurden daraufhin jedoch heftig kritisiert. Aus Mobilfunkerkreisen hört man von zornigen Kunden, die sich über die "Bevorzugung" von Asylwerbern beschweren.

Flüchtlingen bleibt also nichts übrig, als auch in Österreich ihr "Taschengeld" zu sparen, um mit Wertkarten oder in Internetcafés Kontakt zu Verwandten im Kriegsgebiet aufzunehmen. Dafür nehmen sie oft stundenlange Wartezeiten in Kauf: Wie unter anderem das Magazin "Datum" in einer Reportage aus Traiskirchen berichtete, stehen oft dutzende Personen vor einem Handyshop im niederösterreichischen Ort an. Die Mär vom "reichen Flüchtling" und seinem teuren Smartphone hält sich dennoch hartnäckig – ohne von Fakten unterlegt zu werden.

Die IT-Branche selbst profitierte hingegen schon lange von den Talenten von Flüchtlingen und deren Kindern: Der langjährige Intel-Präsident Andrew Grove floh 1956 aus dem kommunistischen Ungarn; Google-Mitgründer Sergey Brin war sechs Jahre alt, als seine Eltern 1979 aus der Sowjetunion in die USA immigrierten.

In der Geschichte des iPhones spielt ein Flüchtling übrigens eine (Neben-)Rolle: Abdulfattah Jandali, leiblicher Vater des verstorbenen Apple-Gründers Steve Jobs, stammt aus Syrien. Weil er politisch verfolgt worden war, wanderte er in den 1950er-Jahren in die USA aus, wo er an der Universität Jobs' leibliche Mutter kennenlernte. (Fabian Schmid, 9.8.2015)