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In Ferguson standen sich Demonstranten und Polizisten gegenüber – bis mehrere Schüsse abgegeben wurden und alle in Deckung gingen. Laut Exekutive hatte ein Mann das Feuer auf Beamte eröffnet.

Foto: Reuters / Rick Wilking

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Ein Demonstrant mit einer US-Flagge am Sonntag in Ferguson.

Foto: Huy Mach/St. Louis Post-Dispatch via AP

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Eine angesengte US-Flagge nahe dem Platz, wo Brown vor einem Jahr zu Tode kam.

Foto: Reuters/Wilking

Das Video, das Tony Rice ins Internet gestellt hat, zeigt einen jungen Mann, der reglos auf dem Straßenasphalt liegt, rote Hose, weiße Turnschuhe, die Hände auf dem Rücken gefesselt, die nächtliche Szene von Polizeischeinwerfern erhellt. Er blutet so stark, dass Rice, schwarzer Aktivist aus Ferguson, die umstehenden Beamten mit einer Stimme, die von Satz zu Satz immer verzweifelter klingt, um Hilfe anfleht. "Hey, er blutet. So helfen Sie ihm doch, Mann. Bitte helfen Sie ihm. Er verblutet, Mann. Sie sehen es doch."

Vorausgegangen war ein Tag friedlicher Kundgebungen, um Michael Browns zu gedenken, des vor zwölf Monaten von dem Streifenpolizisten Darren Wilson erschossenen schwarzen Teenagers. Die meisten waren längst nach Hause gegangen, als an der West Florissant Avenue Schüsse fielen, am Rande jener Magistrale, die immer wieder zum Schauplatz lautstarker Proteste wird.

Feuergefecht auf offener Straße

Nach Angaben des Polizeichefs von St. Louis sollen sich rivalisierende Banden vor den Läden der Straße ein Feuergefecht geliefert haben. Vier Beamte in Zivil sollen die Verfolgung eines Fliehenden aufgenommen haben, erst in einem Geländewagen, dann zu Fuß. Dem Polizeichef zufolge erwiderten sie das Feuer, als er auf sie schoss.

In kritischem Zustand wird der Verwundete ins nächste Krankenhaus eingeliefert, und nachdem ihn Familienangehörige identifiziert haben, darf auch sein Name veröffentlicht werden: Tyrone Harris junior. Sein 18-jähriger Sohn, so der Vater, Tyrone Harris senior, sei mit Michael Brown eng befreundet gewesen. Was die Polizisten über den Tathergang zu Protokoll geben, kommentiert er mit einem skeptischen Satz. "Ich glaube, es war alles ein bisschen anders, als es jetzt dargestellt wird."

Änderungen in Ferguson

Noch kann niemand seriös einschätzen, was die Schüsse auslösen, ob ihnen eine Welle heftiger Randale folgt, wie es nach Browns Tod der Fall gewesen war. Am Montag wurde der Ausnahmezustand für den gesamten Bezirk St. Louis ausgerufen.

Robert O. White jedenfalls, Pfarrer der Peace of Mind Church of Happiness, einer kleinen Kirche in Ferguson, redet tapfer an gegen ein solches Szenario der Eskalation. "Wir lassen nicht zu, dass zwanzig Minuten Gewalt alles kassieren, was 365 Tage lang an harter Arbeit geleistet wurde", sagt der Geistliche auf CNN. Ferguson befinde sich auf dem richtigen Weg, die Zeichen des Wandels seien unübersehbar. Man werde verhindern, dass eine winzige Minderheit dies alles rückgängig mache.

Tatsächlich ist einiges geschehen, damit die Institutionen der 20.000-Einwohner-Stadt im Ballungsraum um St. Louis genauer widerspiegeln, dass es sich um einen Ort mit einer Zweidrittelmehrheit schwarzer Bewohner handelt. Im sechsköpfigen Gemeinderat sind seit einer Kommunalwahl im April drei Afroamerikaner vertreten, während es zuvor nur einer war. Auch der neue City-Manager, der hauptberufliche Organisator, der für den nebenberuflich tätigen Bürgermeister de facto die Amtsgeschäfte erledigt, hat dunkle Haut. Der alte war schon deshalb ins Gerede gekommen, weil er die Polizeitruppe angewiesen hatte, die prekäre Kassenlage durch inflationär verteilte Parkstrafzettel zu entspannen. Neuerdings tragen die Ordnungshüter Kameras vor der Brust, sodass lückenlos aufgezeichnet werden kann, was sie im Dienst tun.

Nur ändert das alles nichts an dem Gefühl, von den Autoritäten nicht ernst genommen zu werden, wie es unter den Jüngeren viele empfinden. Da Wilson von einer Geschworenenjury entlastet wurde, bevor es überhaupt zu einem Gerichtsverfahren kam, liegt noch immer wie ein riesiger Schatten über der Stadt. Zu denen, die sich damit nicht abfinden wollen, gehört Lenard Smith alias Bud Cuzz, Gründer einer Protestgruppe namens Lost Voices, der die Stimmung seiner Generation in einem Satz bündelt. "Sie haben uns keine Gerechtigkeit gegeben, also bekommen sie auch keinen Frieden." (Frank Herrmann aus Washington, 10.8.2015)