Interessenkonflikte durch Regelwerke und Transparenz vermeiden: für Christiane Druml und Robin Rumler eine gute Strategie.

Foto: Katsey

Christiane Druml: "Die öffentliche Hand stellt viel zu wenig Geld für die medizinische Forschung zur Verfügung."

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Robin Rumler: "Bei Krebs und neuropsychiatrischen Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson oder multipler Sklerose wird sich in nächster Zeit sicher einiges bewegen."

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STANDARD: Medizinische Forschung ohne Industrie ist kaum vorstellbar. Die zentrale Frage dabei ist: Wer steuert wen?

Robin Rumler: Es findet sicherlich eine gegenseitige Beeinflussung statt. Wir arbeiten gemeinsam zukunftsorientiert und sehen es als Erfolg, dass wir eine immer höhere Lebenserwartung und auch Lebensqualität erreichen. Natürlich gibt es in der medizinischen Forschung einen Zug in bestimmte Richtungen. Das bedingt zum Beispiel die immer älter werdende Bevölkerung. Da tritt auch die Gesellschaft mit ihren Forderungen an die Industrie heran und vice versa.

Christiane Druml: An der Medizinischen Universität Wien gibt es viel akademische Forschung, die die Richtung selbst vorgibt. Gleichzeitig sind auch die Regeln für alle viel strenger geworden. Ein Mehr an Transparenz hat dazu geführt, dass man jetzt besser weiß, welche klinischen Prüfungen an einem anderen Ort der Welt durchgeführt werden. Das ist schon eine gute Sache und hat in den letzten Jahren zu einer hohen Akzeptanz geführt.

STANDARD: Die WHO hat eine Liste mit 17 von der Forschung vernachlässigten Krankheiten veröffentlicht. Mehr als eine Milliarde Menschen in den ärmsten Gegenden der Welt ist von ihnen betroffen. Wird nur dort geforscht, wo Geld ist?

Druml: Das glaubt man manchmal schon, und ich sehe das auch als ein großes Problem. Für viele dieser Themen springt dann die öffentliche Hand in die Bresche. Die "European Developing Countries Clinical Trials Partnership" (EDCTP) ist zum Beispiel eine großartige Initiative. Seit 2003 arbeiten hier Länder der EU mit Ländern in Afrika zusammen. Im Mittelpunkt steht dabei die Forschung an "Poverty Related Diseases" wie Malaria, HIV und Tuberkulose. Afrikanische und europäische Forscher kooperieren, um gezielt neue Therapien zu entwickeln. Damit schafft man in Afrika auch eine neue Infrastruktur und investiert in die Ausbildung der Menschen.

Rumler: Die Industrie unterstützt diese Länder auch mit enormen Lieferungen an Medikamenten und Impfstoffen.

STANDARD: Nach welchen Kriterien entscheiden die Pharmafirmen, in welchen Gebieten sie forschen?

Rumler: Die Unternehmen forschen dort, wo sie ihre Erfahrungen und Spezialgebiete haben. Früher wurde die Forschung breiter angelegt, aber jetzt gibt es zunehmend Schwerpunkte.

STANDARD: Wesentlich ist aber doch auch, dass Firmen ihren Stakeholdern verpflichtet sind. Sie müssen Gewinne bringen und daher strategisch vorgehen.

Rumler: Das stimmt. Die Entwicklung eines neuen Medikaments dauert viele Jahre und kostet bis zu 1,5 Milliarden Dollar. Die Unternehmen gehen hier ein großes Risiko ein.

STANDARD: Wo erwarten Sie in nächster Zeit einschneidende neue Erkenntnisse?

Rumler: Unser Streben richtet sich klar in Richtung einer "personalisierten Medizin". Dank des genetischen Codes können wir Medikamente und Therapien für Patienten entwickeln, die genau auf das einzelne Individuum abgestimmt sind. Wir haben bereits erste sehr gute Erfahrungen in der Onkologie. Die Immuntherapie ist in aller Munde, und bei den Impfungen ist auch sehr viel in Entwicklung. Ich glaube, dass uns in Zukunft "Big Data"- also die Verfügbarkeit großer Datenpools – in der Forschung sehr helfen wird. Auch Biobanken versprechen, sehr interessant zu werden.

STANDARD: Ganz konkret: Bei welchen Krankheiten erwarten Sie demnächst echte Fortschritte?

Rumler: Bei Krebs und neuropsychiatrischen Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson oder multipler Sklerose wird sich in nächster Zeit sicher einiges bewegen, ebenso im Bereich der Infektionskrankheiten, bei Diabetes sowie bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Druml: Wenn Erkrankungen wie Diabetes in Regionen wie in Subsahara-Afrika auftreten, die bereits unter einer sehr großen Krankheitslast leiden, dann erfolgt auch von dort ein dringender Hilferuf nach mehr Forschung und leistbaren Medikamenten.

STANDARD: Neu am Markt sind sehr effektive, aber extrem teure Medikamente. Wie sehen Sie die ethische Verantwortung der Industrie zwischen Gewinnstreben und leistbarer Medizin?

Rumler: Wir müssen sehr froh sein, dass wir diese neuen Therapien haben. Ihre Entwicklung ist extrem teuer. Aber auch die Alternativen sind sehr kostspielig. Wenn ich heute an Hepatitis C erkranke, werde ich im Laufe meines Lebens viele Behandlungen brauchen, eventuell sogar eine Lebertransplantation um 160.000 Euro. Jetzt haben wir eine Behandlung, die zwar teuer ist, aber nur ein Drittel einer Transplantation kostet. Das müssen wir transparent darlegen, um auch verstanden zu werden.

STANDARD: Dann müssten Sie aber auch sehr transparent über die Höhe der Gewinne und Interessen der Stakeholder reden.

Rumler: Absolut. Dazu sind wir jederzeit bereit.

STANDARD: Wie zufrieden sind Sie als Vizerektorin der Medizinischen Universität mit den vorhandenen Mitteln für die Forschung?

Druml: Die öffentliche Hand stellt viel zu wenig Geld für die medizinische Forschung zur Verfügung. Da es jetzt noch eine weitere Medizinuniversität in Linz gibt, werden die schon knappen Mittel noch weiter aufgeteilt. Das führt zwangsläufig zu einer Reduktion der universitären Forschung im Vergleich zu jener, die von der Industrie gesponsert wird.

Rumler: Wir investieren 14,4 Prozent unserer Umsätze in klinische Forschung und Entwicklung. Weil wir in Österreich eine hervorragende Academia haben, investieren wir hier rund 425 Millionen Euro im Jahr. Wir sehen das auch als eine große Unterstützung für unser Land.

STANDARD: Es gab Fälle, bei denen negative Studienergebnisse unter Verschluss gehalten wurden und Patienten in der Folge zu Schaden kamen. Wie wird Transparenz gesichert?

Druml: Ich halte sie für sehr wichtig. Es gibt seit einiger Zeit Register wie zum Beispiel clinicaltrials.gov, wo alle klinischen Prüfungen registriert werden, damit keine Daten mehr unter den Tisch fallen können. Ich finde auch, dass unabhängige Stellen Einsicht in alle Daten haben sollten. Es ist sicher etwas besser geworden, aber es gibt in vieler Hinsicht noch Raum für Verbesserungen.

Rumler: Auch ich begrüße die Bestrebungen für mehr Transparenz. Seit 2014 müssen die Studien nun auch teilweise rückwirkend veröffentlicht werden. Für die Industrie ist es einmal mehr eine Chance, aufzuzeigen, was das kostet. Keine Frage: Wir haben in der Forschung auch Fehlschläge. Auch das muss man aus meiner Sicht ganz klar kommunizieren.

STANDARD: Kann es sein, dass die Industrie durch die Transparenz risikoscheuer wird?

Rumler: Nein, im Gegenteil. Es wird ungebrochen massiv geforscht. Ich hätte überhaupt nichts dagegen, wenn unabhängige Stellen diese Studien prüfen würden.

STANDARD: Ein weiterer Schritt zu mehr Transparenz wäre die Offenlegung aller Rohdaten.

Rumler: Dazu stehe ich kritisch, weil das auch Missverständnisse verursachen kann. Ich muss Daten auch lesen können. Ich halte die Forderung derzeit für nicht ausgegoren. Natürlich ist es auch so, dass die Unternehmen in Konkurrenz zueinanderstehen und sich daher nicht komplett in die Karten schauen lassen wollen.

STANDARD: Ab 2016 wollen die Mitgliedsfirmen der Pharmig alle Zahlungen an Ärzte offenlegen. Inwiefern betrifft das auch Forschungsprojekte?

Rumler: Dieser sogenannte "Disclosure Code" betrifft in erster Linie die Zahlungen an Ärzte für Fortbildungen, Kongresse oder Reisen. Diese werden im ersten Halbjahr 2016 von den Unternehmen auf deren Websites veröffentlicht. Wenn ein Arzt 500 Euro für einen Vortrag bekommt, muss er das nicht verstecken. Er erbringt eine Leistung, für die er ein Honorar erhält. Ziel ist eine klare Transparentmachung aller Zahlungen, je individueller, desto besser.

STANDARD: Das klingt nach einer kulturellen Revolution.

Rumler: Es ist derzeit eine riesige Diskussion. Ich habe dazu jede Woche mindestens ein Gespräch mit einer medizinischen Fachgesellschaft. Aber wir haben das mit der Ärztekammer verhandelt und auch gemeinsam der Öffentlichkeit präsentiert.

Druml: Die Medizinische Universität Wien hat ja schon sehr viele Initiativen in Bezug auf Transparenz gestartet. Wir haben Antikorruptionsrichtlinien, und jeder Mitarbeiter muss seine Nebenbeschäftigungen melden. Bei jedem Vortrag müssen heute alle Interessenkonflikte offengelegt werden. Wir haben seit 2001 "Good Scientific Practice"-Richtlinien mit einer Fülle von Compliance-Regeln, weil wir natürlich selber an einem korrekten Auftreten unsere Mitarbeiter interessiert sind. Gerade Universitätsärzte sind gefragte Opinion-Leader. Da muss sich die Öffentlichkeit darauf verlassen können, dass ihre Empfehlungen frei von Interessenkonflikten sind.

STANDARD: In der Vergangenheit gab es sehr brisante Fälle von Interessenkonflikten. Können Sie ausschließen, dass an der Med-Uni Wien jemand an einem Projekt forscht, an dem er als Unternehmer beteiligt ist?

Druml: Ausschließen kann ich gar nichts. Er kann auch gerne seine Aktien dort haben oder beteiligt sein, aber er muss es offenlegen. Wenn jemand eine klinische Prüfung an einem neuen Medikament von einer Firma macht, bei der er als Berater tätig ist, muss das den Patienten auch mitgeteilt werden. Das kann ja die Entscheidung beeinflussen.

STANDARD: Vor einiger Zeit haben Fälle von Wissenschaftsbetrug die Forschungsszene aufgewühlt. Wie kann man sie verhindern?

Druml: Die Menschheit ist nie ganz gefeit vor diesen Dingen. Die Universitäten haben natürlich die Pflicht, alle Verdachtsfälle von Plagiaten oder Doppelpublikationen zu überprüfen. Die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) ist seit 2008 zuständig, Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens zu untersuchen.

STANDARD: Ein Problem ist auch das "Ghostwriting" – also Publikationen, an denen die Autoren gar nicht mitgearbeitet haben oder die gleich von Firmen selbst geschrieben wurden.

Rumler: Das Wichtigste für uns ist "Good Clinical Practice" – von der Durchführung der Studie bis zur Publikation. Mir persönlich ist im Umfeld kein rezenter Fall von Ghostwriting bekannt. Wenn das der Fall wäre, dann würde ich das klar als Verbrechen titulieren.

STANDARD: Die Wissenschaft ist nach wie vor in Männerhand. Der Frauenanteil an der Med-Uni Wien liegt bei 44 Prozent, jener der Professorinnen bei 18 Prozent. Was ist zu tun?

Druml: Die Universität und auch das Ministerium schauen darauf, dass die Karrieren von Frauen gefördert werden. Quoten tragen auch dazu bei, dass Frauen vermehrt in Gremien mitarbeiten und mitbestimmen können. Das führt aber wiederum dazu, dass diese Frauen weniger Zeit für ihre wissenschaftliche Arbeit haben. Man kann nur alle Arbeitgeber – in der Wissenschaft und Industrie – dazu auffordern, den Frauen optimale Bedingungen zu schaffen, damit sie Familie mit einer wissenschaftlichen Karriere vereinbaren können.

STANDARD: Wie sieht der Frauenanteil in der Führungsetage Ihrer Firma aus?

Rumler: Wir haben zehn Personen im Management, vier Frauen und sechs Männer.

Druml: Und wie ist das im Aufsichtsrat? Das sieht es ja bei börsennotierten Pharmafirmen meistens ganz furchtbar aus.

Rumler: Ganz oben ist es schon sehr männerlastig. Aber in Österreich haben wir doch etliche Frauen in der Geschäftsleitung.

STANDARD: Eine wichtige ethische Frage ist medizinische Forschung an Kindern, Demenzkranken oder Komapatienten, die sich selbst nicht artikulieren können. Wo stehen wir hier?

Druml: Die Bioethikkommission hat bereits im Jahr 2013 einhellig festgestellt, dass aus Gründen der Gerechtigkeit auch sogenannte "nicht einwilligungsfähige Patientengruppen" vermehrt in Studien einbezogen werden müssen. Bis jetzt ist es aber leider noch zu keiner Umsetzung durch den Gesetzgeber gekommen.

Rumler: Seit 2006 muss ein Medikament, das an Kindern angewendet wird, auch an Kindern getestet sein. Das ist eine große Herausforderung. Wir haben vor zwei Jahren gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium das Kinderforschungsnetzwerk Okids ins Leben gerufen. Hier koordinieren wir die Forschung von fünf Zentren in Österreich, wo unter strengsten Auflagen Daten für eine gute Kindermedizin generiert werden.

STANDARD: Eine abschließende Frage: Wie kann Forschung die Welt gerechter machen?

Rumler: Je mehr Daten, je mehr Wissen und je mehr Know-how wir haben, umso optimaler können sie allen Bevölkerungsgruppen zu einem längeren und besseren Leben verhelfen. Das muss für alle Menschen gelten.

Druml: Gerechter kann die Welt durch Forschung werden, wenn nicht nur ökonomische Gesichtspunkte berücksichtigt werden, sondern die Frage im Mittelpunkt steht, was die Menschen am dringendsten brauchen. (Andrea Fried, Cure, 3.9.2015)