Ein Stück Fleisch auf den heißen Grill zu legen stellt für Männer nicht nur den Beginn einer feucht-fröhlichen Herrenrunde dar, es lässt auch alte, archaische Muster hochkommen, sagen Wissenschafter.

Foto: Heribert Corn

Wien – Sind wir Männer wirklich so schlicht im Geiste, dass wir uns von billigen Werbestrategien reinlegen und uns als tumbe Neandertaler vorführen lassen?

Zumindest in einer speziellen, maskulin aufgeladenen, Angelegenheit ist diese Annahme nur schwer zu widerlegen.

Es geht um eine heiße Sache, die dem Manne die Brusthaare zu Berge stehen lässt – sofern diese nicht der "Igitt, Haare auf dem Körper" -Hysterie zum Opfer gefallen sind. Es ist diese Regung im männlichen Innenleben, die langsam hochkommt, wenn die Außentemperaturen steigen und sich die fleischliche Lust nur noch auf ein einziges Objekt konzentriert: das Stück Fleisch auf dem Grill.

Testosteron auf dem Rost

Männer stehen, ganz besonders, wenn der Sommer die Luft flirren lässt, freudig erregt in kurzen Hosen an glühenden Kohlen, schütten Bier und Testosteron auf Fleischtrümmer und lassen die Grillzange lässig durch die Finger gleiten. Da ist einiges los im Manne. So viel ist klar. Dieser lüsterne Blick aufs Fleisch lässt ganz tief liegende Instinkte erahnen und die ehrfürchtig um die Feuerstelle versammelte Grillgemeinschaft unmissverständlich wissen: "Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss."

Grillen zählt im geschlechtsspezifischen Wertekanon wohl zu den letzten gesellschaftlich so halbwegs tolerierten Überbleibseln an maskulinen Attitüden. Dabei, ganz ehrlich: Das ist doch ein etwas mageres Reststück viriler Identität.

Was ist daran so unglaublich männlich inhärent, wenn ein Mann in einer kindischen Schürze der Marke "Ich bin der Grillkönig" ein Stück Bratwurst auf einen heißen Rost legt oder ein ums andere Mal Koteletts oder Steaks mit einer schwarzen Kohleschicht überzieht?

Banaler Vorgang

Der Vorgang an sich ist relativ banal: Fleisch auf den Grill legen, warten, umdrehen und fertig. Man braucht bloß etwas Geschick und Training, über den optimalen Zeitpunkt der Wendung Bescheid wissen, und das war's. Saucen gibt's im Supermarkt, und wer witzig sein will, macht selbst welche. Nicht wirklich selbst, denn nach dem gängigen Grill-Geschlechter-Rollenspiel liefert das Beiwerk samt Salaten ohnehin die Partnerin zu. Was, bitte, soll also an der Brutzelparty besonders männlich dominant sein?

Die wirklich spannende Frage ist ja: Wie konnte aus der simplen, seit Jahrtausenden gepflegten Grillerei – sie ist das älteste Garverfahren – ein derartiger männlicher Kult werden?

Der Schlüssel sind die Frauen

Der Schlüssel zu dieser Frage sind die Frauen. Umfragen kamen zum Schluss, dass nur sieben Prozent der Frauen gerne die Grillzange in die Hand nehmen. Sie empfinden Grillen als eine dämliche, eigentlich "primitive Art der Fleischzubereitung", weiß der Wiener Philosoph Gerhard Schwarz, der gemeinsam mit anderen renommierten österreichischen Wissenschaftern wie Peter Heintel in den frühen 1970er-Jahren Motivforschungen für Produkte betrieben hatte.

Sie untersuchten unter anderem auch Kaufmotive für Griller der Haushaltsgerätefirma Moulinex. Heintel und Schwarz haben alte Studien über das damals analysierte "Geschlechterphänomen Grillen" für den Standard kürzlich wieder "ausgegraben".

Vom Flop zum Erfolg

Moulinex hatte damals stolz den ersten, mit etlichen eigenen Patenten gespickten, Griller auf den Markt gebracht. Wo er aber merkwürdigerweise stehen blieb.

Die Werbestrategen von Moulinex hatten die Grillgeräte den Hausfrauen ans Herz gelegt und sie als ganz neue, moderne Form der Fleischzubereitung angepriesen. Frauen zeigten aber kein Interesse. "Es war ganz eindeutig ein Flop", erinnert sich Schwarz, "wir wurden mit unserer Marktforschungsfirma beauftragt herauszufinden, warum sich die Griller nicht verkaufen lassen, warum die Hausfrauen darauf nicht reflektieren. Wir hatten das dann relativ schnell herausgefunden."

In vertiefenden Interviews wurde bald klar, dass Frauen das Gerät nicht mochten und damit auch nichts anfingen. "Es war ihnen für die Essenszubereitung einfach zu primitiv", sagt Philosoph Heintel. Was aber in den umfangreichen Untersuchungen immer offenkundiger wurde: Es waren Männer, die Interesse zeigten. Speziell an der Elektro-Kombi-Variante mit dem Holzkohlengrill.

Grillen weckte in ihnen offensichtlich irgendetwas. "Grillen mit Feuer war nicht richtiges Kochen, das ja Frauensache war, sondern irgendetwas anderes, Archaisches. Deshalb schauten sich die Männer das neue Ding auch genauer an", sagt Schwarz.

"Wir sind in den damaligen Untersuchungen – die später in anderen bestätigt wurden – zum Schluss gekommen, dass hier beim Grillen sehr alte Muster zur Geltung kommen. Es geht um das Muster männlicher Jagdbanden, Lagerfeuer und überhaupt um das Prinzip des Feuers. Wir haben da interdisziplinär gearbeitet und holten uns auch Expertisen, zum Beispiel aus der Paläoanthropologie und der Urgeschichteforschung", erinnert sich Schwarz. Das domestizierte Feuer habe dazu gedient, Nahrungsmittel, wie eben Fleisch, zu veredeln. Dieser Vorgang "stand in Verbindung mit der Jagd. Und für sie waren die Männer zuständig."

"Smokey Joe"

Moulinex reagierte rasch auf die Motivforschung, aktivierte die alten Muster und polte die Werbelinie auf maskulin um. Das funktionierte. Die Griller – nun als männliches Kochwerkzeug beworben – verkauften sich prächtig. Das registrierten natürlich auch Mitbewerber und begannen ebenfalls, Grillgeräte an den Mann zu bringen – und sorgten so für die Popularisierung des neuen Männerkults. Die Industrie kreierte immer neue Grillspielzeuge. Heute können sich die Männer der Glut schon respektable Fuhrparks anlegen: "Smokey Joe", Aztekengrill, "Big Green Egg". Wer's nobel will, gönnt sich für 30.000 Euro eine "Hydra 900".

Der Geschlechteraspekt des Grillens scheint wissenschaftlich also abgeklärt. Für Schwarz bleibt jedoch ein anderes "maskulines Phänomen" rätselhaft.

"Es ist unbestritten, dass im Allgemeinen nach wie vor Frauen kochen. Aber trotzdem sind Starköche fast ausschließlich Männer, obwohl sie ja im Grunde nicht kochen, sondern nur grillen können. Ich habe dafür einfach keine Erklärung", grübelt Philosoph Gerhard Schwarz nach wie vor. (Walter Müller, 23.8.2015)