Ein Flirren aus Stimmen und Gesichtern, der Geruch von Schweiß und kaltem Rauch. Durch den Korridor schieben sich Menschen in beide Richtungen. Ägypter in abgewetzten Anzügen, Jugendliche mit Smartphones am Ohr, Kopftuchfrauen, hochgewachsene Afrikanerinnen, genervt blickende Syrer. Und mittendrin ein Europäer, unsere Augen treffen sich. "Madness!", ruft er mir zu, dann wird er weitergespült, dem Ausgang entgegen, während ich in das Korridorlabyrinth der Mugamma eintauche – ins Herz des Wahnsinns.

Die ägyptische Bürokratie, ein Filz aus Ineffizienz und Korruption, verdichtet sich in einem Namen: Mugamma. Ein wuchtiger Bau aus den 50ern, hingeklotzt, grau, schwerfällig im Zentrum Kairos. Alles, von der Geburt bis zum Tod, muss hier bestätigt, beglaubigt, auf Formularen vermerkt und mit Stempelmarken rechtsgültig gemacht werden: 18.000 Beamte auf 15 Stockwerken.

Korridor an Korridor

Mein Visum ist abgelaufen. Seit Tagen habe ich es hinausgeschoben, aber jetzt führt kein Weg mehr an der Mugamma vorbei. Korridor reiht sich an Korridor, Büros ohne Anschrift, hinter Schalterfenstern hocken Beamte, Aktenträger, Stempelhüter, Sesselwärmer; und davor Trauben von Antragstellern, die sich mit ihren Formularen um die Durchreichschlitze drängen wie die Passagiere der Titanic um die Rettungsboote.

Hinter einem vereinsamten Schalter sitzt ein Mann und stempelt Formulare: Wumm. Wumm. "Visa extension?" "Den Gang runter und dann rechts", sagt er auf Arabisch, ohne aufzublicken. Wumm. Ob es irgendwo eine Anleitung auf Englisch zum Thema Visa-Erneuerung gebe? "Nein", sagt er. Wumm. Er drückt den Stempel ins Stempelkissen: "Hier wird Arabisch gesprochen." Wumm. Okay, denke ich mir, auch eine Perspektive, und folge der Richtung, die er mir gewiesen hat.

Fauler Atem

Ein weiterer Korridor voller Menschen. "Visa extension", lese ich über einem der vier Schalter. Der Gang ist völlig verstopft. Die Warteschlangen überschneiden sich. Ich warte und schwitze. Alle paar Minuten einen Schritt weiter. Am Rande des Korridors drängen Gesichter vorbei, glattrasiert, vollbärtig, verschleiert. Dann fallen mir die weißen Zettel in den Händen der Wartenden auf. Zettel? "Den Gang hinunter", sagt der Bartträger mit der gestickten Haube hinter mir, und schon hat er meinen Platz eingenommen.

Die Zettel liegen auf einer schmalen Fensterbank auf. Warum hier? Warum ohne Hinweis? Egal. Ich trage Name und Wohnadresse ein und stelle mich wieder in die Reihe – drei Plätze verloren. Warten und schwitzen. Ein Bauch drückt sich in meinen Rücken, das schweißnasse T-Shirt des Vordermannes unter der Nase. Der dreht sich um und beginnt mit dem Hintermann zu palavern, ich dazwischen. Das Arabische hat den Nachteil, dass durch die vielen Ch, Chä und Chr der Geruch eines faulen Zahnes nicht zu verbergen ist. Mein Vordermann hat mindestens zwei davon. Und so nähern wir uns plaudernd, den Atem anhaltend und schwitzend dem Schalterfenster.

Mugamma frisst Lebenszeit

Der Schalter nebenan wird geschlossen. Warum, bleibt unklar. Ein paar afrikanische Frauen sind verzweifelt, sie reden auf den Beamten ein, strecken ihre Formulare durch den Fensterschlitz, bitten und flehen. Kein Erbarmen: Der Beamte geht. 30 Minuten vergebens angestellt – Mugamma frisst Lebenszeit.

Je näher wir dem Schalter kommen, desto heftiger das Geschiebe und Gedränge. Dann bin ich dran. Der Beamte wirft einen Blick auf meinen Pass, nimmt den sorgfältig ausgefüllten Zettel und reißt ihn in zwei Hälften: "Falscher Schalter!"

Nein!!! Mein verzweifelter Gesichtsausdruck zeigt Wirkung: "Nummer 12!", ruft er mir noch zu, und schon hat er den nächsten Reisepass in der Hand. Der Bauch des Hintermannes drückt mich vom Schalter weg. Lebenszeit.

Schalter 12

"Ein selten dummes System, wie das hier läuft." Die Jordanierin steht hinter mir in der Reihe vor Schalter 12, eine Klarsichthülle mit Dokumenten unterm Arm. Vor mir ein Senegalese im roten Hemd. Wild gestikulierend redet er auf die Beamtin hinter dem Fenster ein, tippt dabei immer wieder auf einen Bogen Papier. Die Beamtin schüttelt den Kopf: "Es ist das falsche Formular." Ein gelangweilter Blick auf die Uhr: "Das falsche Formular." Der Senegalese kapituliert. "Merde!", schreit er und drückt sein Gesicht in den nutzlosen Zettel. Lebenszeit.

Dann ich: Sie besieht meinen Reisepass. "Da müssen Sie zuerst ein Formular ausfüllen", sagt sie auf Englisch. "Wo bekomme ich das?" "Drüben, bei der Polizei. Die Nächste!" "Wo drüben?" Da ist schon die Jordanierin, sie schiebt mich beiseite und ihre Unterlagen durch den Fensterschlitz.

Well done

Ich schaue mich um. Auf der anderen Seite des Ganges reiht sich Schalter an Schalter. Und ja, hinter einem sitzt ein Polizist in weißer Uniform. Also los. Anstellen, warten. Drängen. Schwitzen. "Die Formulare hier sind nur für libysche Staatsbürger."

"Österreich?" Er zuckt mit den Schultern: "Irgendwo dort unten." Dort unten: ein schmaler Tisch, um den sich eine Menschentraube drängt. Andere, die den Korridor hinauf oder hinunter wollen, schieben sich daran vorbei. Schweißnasser Stoff, schweißnasse Haut. Yalla-Yalla! Weiter! Weiter! Gerempel und Gestoße. Dann ist der Blick auf den Tisch frei: ein Durcheinander an Formularen, auf Arabisch und Englisch – das brauche ich! Aber da ist nur mehr ein einziges vorhanden. Wenn das weg ist – nicht auszudenken. Ich werfe mein Gewicht in die Menge, ich dränge und stoße, trete auf Füße, strecke den Arm aus, greife – und grapsche mir das letzte Formular.

"Well done", sagt die Frau hinter dem Schalter. "Now I need a copy of your passport and a passport photo." Triumphierend ziehe ich das Gewünschte aus meiner Tasche – ich war vorbereitet. "Well done", ich bin kurz davor, dem Antragsteller hinter mir High-Five zu geben, als: "And now, Mr. Markus, go to office number 43 and get marks for 11 pounds." Ist da ein Anflug von Sarkasmus in ihrem Lächeln?

Betteln um Stempelmarken

Schalter 43: Chaos. Menschen kleben am Schalterglas, drängen sich um das Sprechloch, wedeln mit Geldscheinen, betteln um Stempelmarken, rempeln und pöbeln. Der Beamte klopft gegen die Scheibe, brüllt, die Menschen sollen zurückweichen, sich anstellen – anstellen, warten, schwitzen. Lebenszeit. Stempelmarken kaufen, zurück zu Nummer 12: "Well done", sagt die Beamtin und klebt die bunten Marken auf mein Formular. "Come back tomorrow at nine."

Mugamma am Freitagmorgen, Ruhetag in der Beamtenhochburg.
Foto: Markus Schauta

Ich sitze in einem Kaffeehaus am Midan Tahrir. Die Wasserpfeife blubbert, die Kohlen glühen. Auf dem Gehsteig stolpern immer andere Leute über immer denselben Kanaldeckel, auf demTahrir fahren und hupen die Autos im Kreis. Lärm, Hitze, Leben. Und am anderen Ende des Platzes, grau, betoniert und massiv: Mugamma. Ich blättere in meinem Pass, finde das Visum: Gültig bis 9.11. Lebenszeit. (Markus Schauta, 26.8.2015)