Ein paar Disziplinen, sagt Ilija Trojanow, sind abgehakt. Triathlon zum Beispiel. "Das war ganz am Anfang." Also vor gut zwei Jahren. Aber etliche der großen Brocken habe er noch vor sich. Wobei, korrigiert sich der gerade 50 Jahre alt gewordene Schriftsteller im nächsten Augenblick selbst, "große Brocken" so eigentlich nicht stimme: Jede Disziplin für sich sei ein großer Brocken – und zwar in puncto Technik, Kraft und Ausdauer oder mentale Herangehensweise: "Das Spannende am Sport ist, wie sich der Respekt vor der Leistung der Akteure verändert, wenn man selbst vom Zuseher zum Aktiven wird."

Foto: Thomas Rottenberg

Ilija Trojanow ist ein Aktiver. Ein Hochaktiver. Unter dem Arbeitstitel "Meine Olympiade" will er im Zeitraum zwischen zwei Olympischen Spielen sämtliche Disziplinen der olympischen (Männer-)Bewerbe selbst stemmen. Sein Ziel: Überall zumindest halb so gut zu sein wie die Sieger. Oder das Scheitern dokumentieren. Vor zwei Jahren, im Winter 2013, hat er mir von seinem Plan erzählt. Ein paar Monate später – im Sommer 2013 – begleitete ich ihn auf einer seiner Aufbau-Laufrunden.

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Nun, vergangene Woche, traf ich ihn wieder. "Auf Cricket", wie das so schön heißt: im Prater am Sportplatz des "First Vienna Cricket and Football Club". Dort ist der WLV daheim – und ebendort trainiert Trojanow Leichtathletik. Wenn er in Wien ist. Ich traf den Dichter für eine ganz andere berufliche "Baustelle" – aber nebenher ein bisserl übers Laufen plaudern ging sich schon aus.

Trojanows Gesamtziel hat sich nicht geändert. Und klingt auch für ihn selbst heute nicht weniger ambitioniert als in dem Augenblick, als er es definiert hatte: Gerade durch die permanente Beschäftigung mit Sport und den eigenen Grenzen weiß er, dass 50 Prozent von dem, was die Weltspitze bei Olympia aufs Stockerl bringt, für den "Normalo" oft schlicht unerreichbar sind.

"Bodenturnen zum Beispiel: In meinem Alter und ohne einschlägige Vorgeschichte wären viele der Übungen da tatsächlich lebensgefährlich. Oder Turmspringen." Oder Stabhochsprung: "Bei uns im Verein schaffen nicht viele der Jedermann-Sportler auch nur annähernd drei Meter." (Den Weltrekord hält seit Februar 2014 Renaud Lavillenie: 6,16 Meter.)

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Dass Laufen da vergleichsweise "leichter" sei, will Trojanow so nicht sagen. "Ich beginne nächste Woche mit dem Hürdenlauf. Trainieren wird mich da mein Vater – der war früher Hürdenläufer. Aber eines weiß ich schon jetzt: Wenn man das technisch falsch angeht, kann man sich ganz schön wehtun." Und auf der Langstrecke? "Ich werde den Marathon dort laufen, wo er herkommt. In Griechenland. In Athen. Wegen der Höhendifferenz gilt der ja als ziemlich schwierig. Aber zum Glück war der Sieger der Olympischen Spiele in London nicht so schnell: Ich habe vier Stunden 22 Zeit. Aber ob ich das schaffe, kann ich trotzdem nicht sagen."

Großer Respekt

Ich musste lächeln: So locker, wie der gute Mann da seine Runden um den Platz zog –und mit dieser kontinuierlichen Trainingsleistung in den Beinen und im Kopf –, kann ich mir nur schwer vorstellen, dass Trojanow die für viele Hobbyläufer "magische" Vierstundengrenze nicht knackt. Klar: Dazwischenkommen kann immer etwas. Erst recht auf der Langdistanz. Aber vierzweiundzwanzig für einen, der seit Jahren mittlerweile täglich trainiert? Der körperlich und mental bestens auf seine Ziele eingestellt ist? "Das schaffst du locker."

Fast hätte ich das idiotische Wort vom "Spaziergang" strapaziert – aber ich biss mir gerade noch rechtzeitig auf die Zunge: Ab 30 Kilometern ist Laufen für keinen Hobbyläufer, den ich kenne, ein Spaziergang. Unabhängig vom Tempo. Da passieren die seltsamsten Dinge in Kopf und Körper. Genau das macht die Langstrecke ja spannend.

Trotzdem, meinte Trojanow, da sei dieser Riesenrespekt. Vor der "Wand". Dem "Mann mit dem Hammer": Den habe er bisher nämlich noch nicht kennengelernt – schließlich seien in seinen Trainingsplänen bisher keine wirklich weit über die Halbdistanz gehenden, wirklich langen Longjogs gestanden. "Das kommt jetzt erst." Und zwar parallel zum Training für andere Disziplinen. Zehnkampf etwa. Da habe jeder Lieblings-, Angst- und Hassdisziplinen. Seine? "Richtige Angst habe ich keine. Aber vor dem Stabhochsprung habe ich einen riesigen Respekt. Und das Kugelstoßen finde ich einfach unattraktiv."

Thomas Rottenberg

Noch nie eine Kugel gestoßen?

Wie das bei mir sei. Oder gewesen sei, fragte Trojanow dann. Zumindest hier schaffte ich es, diesen Lieblingsautor kurz staunen zu lassen: "Du willst mir sagen, dass Du noch nie Weit- oder Hochsprung gemacht hast, noch nie einen Speer geworfen oder eine Kugel gestoßen hast? Habt ihr in der Schule keinen Turnunterricht gehabt?"

Hatten wir. Aber mein Turnlehrer sah seinen Job eher – äh – tiefenentspannt: Wir spielten im Saal ausschließlich Völkerball, Sitzfußball und Volleyball. Am Schluss der Stunde "Saalausräumen". Am Sportplatz wurde gekickt. Ausschließlich. Der Herr Professor saß entweder im Kammerl – oder neben dem Spielfeld in der Sonne: Als er einmal krankheitsbedingt zwei Wochen ausfiel und der Schul-"Schinder" uns betreute, stand der Schleifer fassungslos vor einer sechsten oder siebten Klasse, in der keiner der Knaben (mit Ausnahme der beiden von den Eltern in Vereine gesteckten Jungs) mit dem Begriff "Felgaufschwung" auch nur das Geringste anzufangen wusste.

Beim Versuch, uns über den Kasten springen oder am Seil hochklettern zu lassen, hätte es um ein Haar Schwerverletzte gegeben: "Leute, lasst es. Spielt Sitzfußball."

Die Kunst, in eine Sandgrube zu hüpfen

Zu sagen dass ich ein lausiger Leichtathlet bin, ist daher noch eine Untertreibung. Dafür bekam ich nun von einem Mann, der mit seinem aktuellen Buch ("Macht und Widerstand") auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis steht, der etliche der für meinen Blick auf diese Welt und unseren Umgang mit ihr und einander prägende Bücher geschrieben hat und dessen Thesen und Texte über Bürgerrechte und Zivilgesellschaft ich ziemlich vorbehaltlos teile, meine allererste Einführung in der Kunst, in eine Sandgrube zu hüpfen. Oder einen Speer zu werfen.

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Gut oder auch nur talentiert war und bin ich darin nicht. Und ein besonders elegantes oder erhebendes Bild gab ich dabei auch nicht ab. Erheiternd könnte es schon eher treffen. Nur: Darum ging es nicht. Sondern um etwas ganz anderes. Aber die Antwort auf diese Frage gab auch Ilija Trojanow dann doch über die Bande. (Thomas Rottenberg, 27.8.2015)

Thomas Rottenberg