Kingsbarns ist ein verschlafener Weiler in der schottischen Grafschaft Fife, nordöstlich von Edinburgh. Nur ein paar Hundert Seelen wohnen hier in Landhäusern – zwischen Golfplätzen und Gerstenfeldern.

Eine Straße führt aus dem Ort zur Kingsbarns Distillery. Douglas Clement empfängt standesgemäß im Kilt. Er ist ein großgewachsener Mann mit kahlem Haupt und stahlblauen Augen, dessen Name auf einen französischen Seefahrer zurückgeht, der vor mehr als 200 Jahren an der schottischen Küste strandete und sich in eine Einheimische verliebte. Clement spricht ein paar Worte Französisch, das Familienerbe ist ihm wichtig.

In Saint Andrews, keine zehn Kilometer von Kingsbarns entfernt, befindet sich der Old Course, der älteste Golfplatz der Welt.
Foto: Visit Britain / Kaia Means

Nach dem College-Abschluss verdingte sich Clement zunächst als Caddie. In Saint Andrews, keine zehn Kilometer von Kingsbarns entfernt, befindet sich der Old Course, der älteste Golfplatz der Welt. Anders als in Zentraleuropa, wo Golf eher als Freizeitbeschäftigung für die Oberschicht gilt, ist es in Schottland von jeher ein Breitensport. Schon Kinder bekommen einen Schläger in die Hand gedrückt, und so lernte auch Clement den Sport von klein auf.

Vom Caddie zum Destillateur

Zum Golfen gehört in dieser Gegend auch guter Whisky. Deshalb fragten die Spieler ihren Caddie immer wieder, warum es ausgerechnet in der Umgebung von Saint Andrews keine Destillerie gebe. Also begann auch Clement, sich zu fragen: Warum nicht selbst eine aufmachen? 2008 kündigte er seinen Job auf dem Golfplatz und beschloss, auf dem Gelände der East Newhall Farm die Kingsbarns Distillery einzurichten.

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Zum Golfen gehört in Schottland auch guter Whisky. Deshalb fragten die Spieler Caddie Clement immer wieder, warum es ausgerechnet in der Umgebung von Saint Andrews keine Destillerie gebe.

Zu dem Bauernhof aus dem 18. Jahrhundert hat Clement einen besonderen Bezug: Als Kind spielte er hier, viele Erinnerungen hängen an der Farm. Das einzige Pro blem für den Ex-Caddie: Woher das Startkapital für eine Brennerei nehmen? Die Banken zeigten kein Interesse, weil er keine Sicherheiten vorzuweisen hatte. "Die Anfänge waren hart", erinnert sich der Enddreißiger. Eine Menge Bürokratie war zu erledigen, die Investoren wollten schnelle Gewinne sehen. Clement zog wieder zu Hause bei seinen Eltern ein und steckte seine gesamten Ersparnisse in die Unternehmung.

Vom maroden Landgut zur Destille

In der alten Adelsfamilie Wemyss fand er schließlich seine Förderer: Umgerechnet 4,7 Millionen Euro steckte der Mäzen William Wemyss in das Projekt, fast eine weitere Million Euro stellte der Staat als Subvention zur Verfügung. Die Familie Wemyss handelte zudem einen 179-jährigen Pachtvertrag für das Grundstück aus. Bald wurde aus dem maroden Landgut eine fesche Destillerie.

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Die Grafschaft Fife ist von Gerstenfeldern übersät.

Whisky ist das denkbar schlechteste Produkt, um als Selbstständiger rasch vom Verkauf leben zu können: Drei Jahre und einen Tag muss Whisky nach schottischem Gesetz reifen, damit er als solcher überhaupt verkauft werden darf. Bis dahin sieht ein Brenner kein Geld und muss nur investieren. Doch Clement blieb hartnäckig. Im Dezember 2014 verließ der erste Tropfen Kingsbarns das Fass.

Sein erstes Fass liegt wie eine Reliquie in dem Raum, der früher Taubenschlag war. Wenn Clement durch die Produktionsanlage führt und über Whisky spricht, beginnen seine Augen zu funkeln. Dampfkessel rattern, topmoderne Geräte zeigen Temperatur und Druck an, ein Geruch von Malz und Brauerei liegt in der Luft. Über Förderbänder werden täglich eineinhalb Millionen Tonnen Gerste in die Brennerei befördert, frisches Wasser wird aus 100 Metern Tiefe heraufgepumpt.

Vom Bier zum Whisky

Die Produktion von Whisky ist überraschend simpel: Zunächst lässt man die Gerste keimen, bis aus der Stärke des Korns Malzzucker geworden ist. Anschließend wird das Malz gedarrt, also bei großer Hitze getrocknet, und grob gemahlen. Mit heißem Wasser laugt man den Zucker aus und setzt die Flüssigkeit zum Gären an. Dabei entsteht Bier – ohne zugesetzten Hopfen. Bier ist de facto eine Vorstufe von Whisky, weshalb viele Brennereien nebenbei auch brauen oder umgekehrt.

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In kupfernen Destillationsblasen wird Starkbier ohne Hopfen zu Whisky destilliert.

Das hochprozentige Bier wird schließlich in Destillationsblasen aus Kupfer, den Pot Stills, zu Whisky destilliert und danach zur Reifung in Eichenholzfässern gelagert. "Je kleiner das Fass, desto schneller die Reifung", sagt Clement und ergänzt, dass Geschwindigkeit bei diesem Prozess nicht unbedingt von Vorteil sei. Immerhin 60 Prozent des Geschmacks von Whisky würden nämlich vom Fass stammen. Die Kingsbarns Destillery verwendet ausschließlich spezielles Eichenholz aus Kentucky. 140.000 Liter will Clement in diesem Jahr bereits produzieren und den Großteil davon exportieren – obwohl die ersten Tropfen erst vor wenigen Monaten trinkfertig waren. Guter Whisky aus dieser Gegend geht weg wie anderswo warme Semmeln.

Leichtere Lowlands

Prüfend hält Clement sein Glas mit dem mandelfarbenen Inhalt gegen das Licht und riecht daran. Es ist Zeit für eine Verkostung. "Lowland-Whiskys sind leichter und fruchtiger als die eher rauchigen Vertreter aus den Highlands", sagt er. "Man sollte zunächst mit offenem Mund inhalieren", rät er und: "Wenn man ein paar Tropfen Wasser hinzufügt, setzt das die Aromen noch besser frei."

Clement scheint tatsächlich ein inniges Verhältnis zu seinem Produkt zu pflegen. Denn ruhig schlafen könne er immer noch nicht, sagt er – obwohl er die Firma mittlerweile verkauft hat. Clement ist zwar nicht mehr Eigentümer, er bleibt aber der Gründer jener Destillerie, die mit dem Ruf des ältesten Golfplatzes der Welt mithalten möchte. (Adrian Lobe, 5.9.2015)