Andrew Gimson: "Allein die schiere Länge dieser Amtszeit verdient Anerkennung."

Foto: Sebastian Borger

STANDARD: Am Mittwoch ist Königin Elizabeth 63 Jahre und 216 Tage im Amt. Sie ist dann der am längsten amtierende Monarch auf Englands Thron seit 1066.

Andrew Gimson: Eine bemerkenswerte Leistung. Die Queen wird als Wächterin der ungeschriebenen Verfassung und als unangefochtener Fokus der nationalen Loyalität nicht unbedingt geliebt, aber beinahe einstimmig respektiert.

STANDARD: Worin besteht ihre Leistung?

Gimson: Ich würde sagen, dass allein die schiere Länge dieser Amtszeit Anerkennung verdient.

STANDARD: Mit hilfreichen Genen, einer disziplinierten Lebensführung und einer guten Work-Life-Balance schaffen es heutzutage viele Leute, 80, 85 oder 90 zu werden und immer noch aktiv zu sein.

Gimson: Es ist ja nicht damit getan, alt zu werden. Sie hat Respekt gezeigt gegenüber ihrem sehr eingeschränkten Handlungsspielraum. Und sie hat sich an das Versprechen gehalten, das sie als 21-Jährige Prinzessin 1947 in Südafrika gab: "Mein ganzes Leben dem Dienst an Ihnen und an der imperialen Familie zu widmen." Sie ist eine gewissenhafte Monarchin geblieben.

STANDARD: Zeigt der Ausdruck von der "imperialen Familie" nicht vielmehr, dass sie aus einer längst vergangenen Ära stammt?

Gimson: So sahen das jedenfalls früher viele Leute. Als ich in den 1970er-Jahren politisch zu denken begann, war die Queen Symbolfigur eines Landes im Niedergang. Mit ihrem Festhalten am Commonwealth …

STANDARD: … der Nachfolgeorganisation des Empire, dessen Oberhaupt die Queen ist …

Gimson: … wirkte sie auf viele, darunter auch Konservative, rückwärtsgewandt. Inzwischen hat das Commonwealth eine neue Bedeutung bekommen. Unsere Verbindungen mit früheren Kolonien wie Indien, Australien, Kanada und vielen kleineren Commonwealth-Staaten in Afrika und Asien kommen uns politisch und wirtschaftlich zugute.

STANDARD: Hat die Queen also sozusagen die Globalisierung vorausgeahnt?

Gimson: Nein, das hat sie sicher nicht aus Kalkül gemacht. Aber allein die Tatsache, dass sie außer in Großbritannien auch noch in 15 anderen Staaten als Oberhaupt fungiert, hat die Verbindung aufrechterhalten.

STANDARD: Der Autor Andrew Roberts spricht von "Elizabeth, der Pflichtbewussten".

Gimson: Dass sie immer weiterarbeitet, ohne großes Aufheben von sich zu machen, gehört sicher zu ihren Stärken. Sie nimmt ja noch immer jedes Jahr hunderte von Terminen wahr. Das würden viele Leute, auch viel jüngere, als furchtbare Belastung empfinden.

STANDARD: Was kennzeichnet ihre Persönlichkeit besonders?

Gimson: Ich glaube, in unserem tiefsäkularen Zeitalter wird gern übersehen, dass sie eine zutiefst christliche Monarchin ist. Es gibt einen Teil der britischen Aristokratie, der sehr religiös ist.

STANDARD: Bis heute fungiert die Königin auch als Oberhaupt der anglikanischen Staatskirche.

Gimson: Sie ist sehr gläubig. Es gibt diese wunderbare Geschichte von ihr als Mädchen. Da fragte der Erzbischof von Canterbury …

STANDARD: … also der höchste Geistliche in der anglikanischen Kirche …

Gimson: … die damalige Prinzessin, ob sie mit ihm einen Spaziergang machen wolle. Sehr gern, erwiderte Elizabeth. "Aber ich will nicht über Gott reden, über den weiß ich schon alles."

STANDARD: Gesprochen mit der Souveränität einer zukünftigen Königin.

Gimson: Bei der Recherche für mein Buch wurde mir auch berichtet, dass sie die Milleniumsfeiern unzulänglich fand: Die christliche Komponente dieser Zeitenwende sei nicht genug erwähnt worden. Seither sind ihre Ansprachen zu Weihnachten …

STANDARD: … die einzige öffentliche Äußerung, die nicht von der Regierung abgesegnet werden muss …

Gimson: … deutlich religiöser geworden. Aber natürlich sehr anglikanisch: Es geht nicht gegen Katholiken, Muslime oder Atheisten. Sie spricht von Jesus und seiner Botschaft der Nächstenliebe. Das mag vielen klischeehaft erscheinen, aber sie glaubt daran.

STANDARD: Die oppositionelle Labour-Party wird wohl einen Mann zum neuen Vorsitzenden wählen, der nicht an die Monarchie glaubt.

Gimson: Interessanterweise ist Jeremy Corbyn aber pragmatisch genug zu sagen: Dieses heiße Eisen fasse ich nicht an.

STANDARD: Warum eigentlich?

Gimson: Weil er sein politisches Kapital nicht verschwenden will. Es gibt viel zu viele Labour-Wähler, die die Monarchie lieben und verehren. Selbst in den 1920er-Jahren, als anderwärts die Monarchien reihenweise abgeschafft worden waren, wollten die führenden Labour-Leute ihre Respektabilität unter Beweis stellen. Und so ist es bis heute geblieben: Wenn Sie ernstgenommen werden wollen, müssen sie die Monarchie unterstützen. Sie wird beibehalten und so abgeändert, wie es dem Begehren der Bevölkerung entspricht. Insofern ist die Monarchie unsere demokratischste Institution.

STANDARD: Na na, übertreiben Sie nicht ein wenig? Die handelnden Personen sind jedenfalls nicht gewählt.

Gimson: Das stimmt. Aber die gewählten Politiker werden von vielen verachtet. Das kann man von der Monarchie nicht sagen. Selbst Londoner Intellektuelle witzeln meist nur über den Rest der Königsfamilie, nicht aber über die Queen.

STANDARD: Wäre die enorme Langlebigkeit der britischen Monarchie gefährdet, wenn Prinz Charles den Thron besteigt?

Gimson: Ich glaube nicht, dass er von der gewissenhaften Art seiner Mutter abweicht. Sein Problem ist sicher, dass er ein bisschen intellektuell veranlagt ist. Er findet interessante Ideen wichtig. Das ist für einen König ein Hindernis. (Sebastian Borger aus London, 9.9.2015)