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So könnte H. naledi ausgesehen haben.

Foto: Mark Thiessen / AP / picturedesk

Die über 1.500 Knochen von 15 Vertretern des Homo naledi, fein säuberlich geordnet.

Der Schädel der neuen Menschenart trägt Züge eines frühen Homo-Vertreters. Das Schädelvolumen ist aber winzig und nicht größer als das von Menschenaffen oder Australopithecinen.

John Hawks

Markus Bastir zeigt seinen Kollegen beim Workshop im Mai 2014, was er über den Brustkorb von Homo naledi herausgefunden hat. Links von Bastir steht Lee Berger, der Leiter oder, besser, Koordinator des internationalen Forschungsteams.

Foto: John Hawks

Wien – Vor ziemlich genau zwei Jahren, am 13. September 2013, entdeckten zwei Höhlenforscher in der Rising-Star-Höhle ungefähr 50 Kilometer nordwestlich von Johannesburg eine kaum zugängliche Kammer und dokumentierten die darin liegenden Knochen. Für den Paläoanthropologen Lee Berger von der nahe gelegenen Witwatersrand-Universität war schnell klar, dass es sich um einen bedeutenden Fund handeln dürfte. Schließlich liegt die Höhle im Gebiet des Unesco-Weltkulturerbes "Cradle of Humankind" (Wiege der Menschheit), wo rund ein Drittel aller Frühmenschenfossilien gefunden wurden.

Der Fund erregte wenig später auch internationales Aufsehen, weil Berger, der die Leitung der weiteren Erforschung übernahm, nach zierlichen Forscherinnen mit Höhlenerfahrung suchte. Denn der Zustieg zu der in mehr als 30 Metern Tiefe liegenden Kammer, in der sich die Knochen befanden, war an der engsten Stelle gerade einmal knapp 20 Zentimeter breit.

Mehr als 1.500 geborgene Knochen

Bald waren sechs wagemutige Wissenschafterinnen gefunden, denen wenig später die ersten Knochenbergungen gelangen. Dank der Unterstützung der National Geographic Society fand die spektakuläre Aktion in neuen sozialen Medien wie Blogs, auf Twitter und in eigenen Youtube-Clips große Aufmerksamkeit. Insgesamt konnten die Frauen über 1.500 Hominidenfossilien zutage fördern: ein einzigartiger Schatz für die Paläoanthropologie, denn in allen anderen Fällen mussten sich die Fachvertreter bisher mit einigen wenigen Vormenschenfossilien bescheiden.

Dann begann das große Warten. Die zahlreichen an der Auswertung beteiligten Forscher, die sich im Mai 2014 in Johannesburg zu einem einmonatigen Workshop trafen, spannten die Öffentlichkeit lange auf die Folter. Nun aber ist klar, dass die Knochen halten, was sie versprochen hatten – und noch viel mehr: Sie stammen von einer neuen Menschenart, berichtet das internationale Team um Lee Berger in zwei ersten Artikeln im frei zugänglichen Fachblatt "eLife". Einen Namen hat sie auch schon: Homo naledi – was auf Sosotho, einer in der Region verbreiteten Sprache, schlicht "Stern" bedeutet.

Einzigartiger Merkmalsmix

"Homo naledi ist uns jetzt schon besser bekannt als alle anderen fossilen Vertreter unserer Abstammungslinie", sagt Berger mit Verweis darauf, dass dem Forscherteam alle Knochen des Körpers gleich mehrfach vorlagen. "Die über 1.500 Knochen gehören mindestens 15 Individuen", ergänzt Markus Bastir vom Naturkundemuseum Madrid, der als einziger österreichischer Forscher am Projektteam beteiligt ist. "Und ihre Anatomie weist eine überraschende Kombination von sehr ursprünglichen und sehr modernen Merkmalen auf."

Um beim Kopf zu beginnen: Der ist bei Homo naledi extrem klein. Bei einer Körpergröße von 1,50 Meter beträgt das Schädelvolumen gerade einmal 500 Kubikzentimeter, das ist nicht größer als das von Menschenaffen und etwa zwei Drittel kleiner als das von Homo sapiens. Das Rumpfskelett erinnert an Australopitecinen, während die Schädelform (um einiges späteren) Vertretern von Homo habilis ähnelt. Und viele Teile des Handskeletts und des Fußskeletts seien – mit Ausnahme der Finger – anatomisch kaum von der Struktur moderner Menschen zu unterscheiden, so Bastir.

Schwierige Datierung

Der Merkmalsmix macht es auch schwierig, den Platz von Homo naledi im Stammbaum – oder eher: Strauch – der Menschheitsevolution zu benennen, zumal man in Ermangelung von Vergleichsobjekten noch keine genaue Datierung leisten konnte: Lebte Homo naledi vor mehr als zwei Millionen Jahren, dann wäre er jedenfalls einer der ersten Vertreter von Homo, dessen Rekonstruktion nicht nur auf einigen wenigen Fossilfragmenten beruht. Lebte er vor einer Million Jahren, dann würde der Fund bedeuten, dass damals im südlichen Afrika mehrere völlig verschiedene Typen von Homo existierten.

Mit anderen Worten: Homo naledi wird unsere bisherigen Vorstellungen über die Entwicklungsschritte hin zum modernen Menschen so oder so durcheinanderbringen. Und für Bastir legt der sensationelle Fund jedenfalls nahe, "dass verschiedene menschliche Eigenschaften wie jene der Ernährungsweise, der Handfertigkeit und der Fortbewegung unabhängig von der Gehirnentwicklung erworben wurden". Auch das wäre eine unerwartete Neuigkeit.

Wie kamen die Knochen in die Kammer?

Rätselhaft ist nicht zuletzt, wie die Knochen in die abgelegene Kammer gelangten, die auch in grauer Vorzeit vermutlich nicht einfacher erreichbar war. Die Forscher spekulieren, dass die Angehörigen von Homo naledi die Körper selbst – bei völliger Dunkelheit und über einen längeren Zeitraum – in die "Leichenkammer" geschleppt und dort deponiert haben. Was eine mehr als erstaunliche Leistung wäre.

So einzigartig der Fund für das Verständnis der Menschheitsentwicklung ist, so revolutionierend dürfte er für die Forschungspraxis der Paläoanthropologie sein. Denn dort herrschte über viele Jahrzehnte ein richtiggehender "Krieg um die Knochen": Um den Zugang zu den potenziellen Fundorten und zu den wenigen Fossilien wurde zum Teil erbittert gestritten. Und auch an der Auswertung war im Normalfall nur das Fundteam beteiligt, bei dem wieder der Leiter ganz im Zentrum stand.

Open Access in der Paläoanthropologie

Ganz anders ist das bei Homo naledi, dessen Erforschung ein Musterbeispiel für Open Access und Nachwuchsförderung ist. Nicht nur die Ausgrabung selbst, auch die Zusammenstellung und die Kommunikation der Forscherteams passierten nach den Prinzipien des offenen Zugangs. "Die internationale Arbeitsgruppe besteht aus 50 Experten, von denen rund 35 noch eher am Beginn ihrer Karriere stehen", sagt Markus Bastir, der im Mai 2014 am Workshop in Johannesburg teilnahm.

Konsequenterweise erfolgte auch die Publikation der ersten Ergebnisse nicht in "Science" oder "Nature", die sich damit wohl gerne geschmückt hätten, sondern in der frei zugänglichen Fachzeitschrift "eLife". Und etliche weitere Artikel über den Sensationsfund stehen unmittelbar vor Veröffentlichung. Man darf weiter gespannt sein. (Klaus Taschwer, 10.9.2015)