Karl Regensburger ist fasziniert von Günter Brus' "Zerreißprobe" von 1970. Ein Sammlungsstück, zu dem im Mumok ein Faden aus der Pop-Art-Ausstellung "Ludwig Goes Pop" (noch bis 13. September) führte.

Foto: Regine Hendrich

Wien – Sie ist so ungefähr das Gegenteil davon, was sich Karl Regensburger als das für ihn faszinierendste Werk im Mumok ausgesucht hat. Aber John De Andreas Woman on Bed, zu sehen in der Schau Ludwig Goes Pop, ist nur knapp fünf Jahre nach Günter Brus' vom Intendanten des Impulstanz-Festivals favorisierter Performance Zerreißprobe (1970) entstanden. Ein Filmdokument dieser Arbeit war bis Ende August in der Mumok-Schau Mein Körper ist das Ereignis zu sehen.

Dem Titel entsprechend bildete da der Körper das tragende Netz in der Kontextualisierung des Wiener Aktionismus. Grund genug, um einen Faden aufzunehmen, der von der Pop-Art-Ausstellung in den oberen Etagen hinab zur Zerreißprobe führte: Er beginnt bei Woman on Bed, einem Musterbeispiel für den Hyperrealimus in der Skulptur. Ein Frauenakt als Oberfläche, auf die sich das Begehren nach perfekter Wiedergabe dessen konzentriert, was dem Blick auf einen Körper zugänglich ist.

Elitäre und entwertete Körper

In den 1970ern war, was heute aktuelle philosophische Diskussion ist, eine künstlerische Herausforderung: zu verstehen, was "Realismus" bedeutet. Auch für Duane Hanson, dessen Woman with a Purse (1974) ebenfalls bei Ludwig Goes Pop steht – an einer Wand, als Triumph des täuschend Echten. 1969 hatte Hanson noch rauer gearbeitet, etwa in den Gruppen Football Vignette oder Bowery Derelicts (Bowery Bums): hier eine erstarrte Szene aus der Choreografie eines Footballspiels, da Obdachlose in der Gosse; hier elitäre Körper aus dem Hochleistungsentertainment, da aus der Gesellschaft geworfene, entwertete Körper.

Bei Mein Körper ist das Ereignis war nur eine Skulptur zu sehen: Wolf Vostells Miss Vietnam als Relikt eines Happenings von 1967. Eine verunstaltete Schaufensterpuppe, Sinnbild für den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Zerstörung, Krieg und Körper-Entwertung. Von der realistischen Illusion und Dokumentation bis zur zeichenhaften Zerstörung in den Skulpturen von De Andrea, Hanson und Vostell ist die Anspannung in der westlichen Kultur um 1970 zu erkennen, die sich in Brus' Zerreißprobe am radikalsten entlädt. Nicht als Einschreibung in ein Objekt, sondern live vor Augen eines Publikums und der Linse einer Kamera, mit deren Hilfe das Ereignis in ein Objekt, den Film respektive das Video, übersetzt werden konnte.

Zwänge der Gesellschaft

"Ich bin 1954 geboren", sagt Karl Regensburger, "und kann mich an die gesellschaftlichen Zwänge erinnern, die damals geherrscht haben." Dagegen so radikal aufzubegehren, wie im Aktionismus geschehen, sei notwendig gewesen. Immerhin bis 1966 habe an der Wirtschaftsuni (ehemals Hochschule für Welthandel) noch der NS-Historiker Taras Borodajkewycz gelehrt.

Regensburger machte seinen Magister in Betriebswirtschaft, heuerte Anfang der 80er-Jahre als Manager beim damaligen Tanzforum Wien (heute: Performing Center Austria) an und begann spannende Tanzlehrer einzuladen. 1984 gründete er zusammen mit Ismael Ivo das, was heute unter dem Namen Impulstanz als eines der weltweit größten Festivals für zeitgenössische Choreografie und Performance firmiert.

2015 kooperierte Impulstanz mit dem Mumok und zwei weiteren Wiener Museen. In den Räumen von Mein Körper ist das Ereignis zeigten unter dem Titel Redefining Action(ism) Künstlerinnen und Künstler des Festivals ihre Arbeiten.

Zu der Aufnahme von Zerreißprobe gewandt, sagt Regensburger: "Man sieht, das ist wirklich durchchoreografiert. Ich sehe da Ansätze ähnlich dem Butô-Tanz von Tatsumi Hijikata. Die Selbstverletzung ist natürlich schon sehr extrem. Er war auf dem besten Weg, sich umzubringen. Trotzdem war das eine präzise, ganz bewusst gesetzte Aktion." (Helmut Ploebst, Spezial, 11.9.2015)