Das Himmelreich der neuen Arbeitswelt: In der Hängematte mit dem Laptop auf den nackten Schenkeln, von einer Brise zart gewiegt unter Palmen – den Fruchtcocktail mit Strohhalm in Reichweite. Und sie lächeln (schön gebräunt) glücklich, die globalen Freelancer, die Tech-Allrounder, die via Plattform (auf der sich internationale Unternehmen auf der Suche nach kurzfristiger Arbeitsleistung tummeln) Aufträge zum Softwareprogrammieren, -testen, Onlinemarketing- oder Verkaufsjobs gefunden haben.

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Arbeiten von überall kann herrlich sein, bringt aber nicht nur Vorteile mit sich.
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"Die Menschen sind heute mehr ihrer Lebensreise verbunden als einem geografischen Fixpunkt", schwärmt die Estin Karoli Hindriks, die mit ihrer Plattform Jobbatical weltweit solcherart Firmen und Arbeitskräfte zusammenbringt. Sie ist noch kleiner als etwa die australische Plattform freelancer.com mit 15 Millionen Nutzern oder das US-Pendant upwork.com mit über zehn Millionen Usern.

Karoli Hindriks sieht sich mit ihrem Business allerdings an vorderster Front eines großen Trends: Karriere-Hubs wie New York oder London würden zunehmend an Bedeutung verlieren, das mobile Selbst werde künftig zum Hub. Dass solch nomadisches Selbstmanagement nicht für jedermann und jedefrau der Traum schlafloser Nächte ist, versteht Hindriks gar nicht. Dass damit Arbeit zu einer neuen Qualität, einer dem globalen Preisdumping unterworfenen Ware wird – Grafikdesigner mit Topbewertungen sind etwa auf freelancer.com um ein paar Dollar die Stunde zu haben –, ist auch nicht ihr Thema. Da verweist sie auf Angebot und Nachfrage.

Gewerkschaften in Österreich und Deutschland sind hingegen höchst alarmiert, wenngleich bezüglich ihrer Handlungsmöglichkeiten ziemlich ratlos – auch weil große Unternehmen die Chancen bereits genutzt haben und Belegschaftsteile schwups in die Crowd ausgelagert haben. Das ist billiger und klappt besser auf Abruf.

Langsamere Uhren in Österreich

Österreich habe wenig digitale Tradition, ist, verglichen mit anderen europäischen Ländern, noch in anderen Zeiten, konstatiert Irene Mandl, die über ein europäisches Forschungsnetzwerk für die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen heuer an einer Studie über neue Arbeitsformen in Europa gearbeitet hat. Zugespitzt: Mehr als Telearbeit, also klassische Homeofficetage, ist hierzulande kaum zu finden. Ein wenig wird mit Jobsharing experimentiert, aber selbst das ist noch recht exotisch in Österreich. Obwohl: Jüngsten Umfragen zufolge offerieren mittlerweile gut 40 Prozent der heimischen Unternehmen Telearbeit, womit sogar in Österreich die gute alte Präsenzkultur, nach deren Regeln derjenige gewonnen hat, der als Letzter das Licht im Büro abdreht, von ihrem Thron der Definitionsliste des braven Arbeitens gestoßen wird.

In Österreich bleibt Arbeiten weitgehend noch klassisch. Mehr als Homeoffice ist oft nicht drin.
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Aber zurück zu dem, was in die Gänge kommt: In Großbritannien, Irland und Italien ist laut dieser Studie etwa Arbeiten per Rufbereitschaft auf dem Vormarsch. Das sind permanente Arbeitsverträge, On Call oder Zero Hours genannt, bei denen Unternehmen verpflichtet sind, Vertragsnehmer mit Arbeit zu versorgen – allerdings eben dann, wenn sie da ist. Mitarbeiter sitzen also abrufbar da und sind dann bezahlt und versichert, wenn Arbeit verrichtet wird. In Österreich aufgrund arbeitsrechtlicher, tariflicher und sozialpartnerschaftlicher Bollwerke derzeit ziemlich unvorstellbar. Aber die Lunte zum Sprengstoff dürfte auch hier bereits gezündet sein. Abschotten gegen Trends dürfte im besten Fall bedingt möglich sein.

Wenn der Arbeitsplatz geteilt wird

Projekte, serielle Befristungen, Werkverträge statt Dienstverhältnissen – von der Scheinselbstständigkeit bis zum Praktikumsvertrag im hohen Alter ist ja schon vieles Wirklichkeit.

Nicht exotisch, sondern Standard ist Mandl zufolge Jobsharing etwa in den Niederlanden: Zwei oder mehr Leute teilen sich einen Arbeitsplatz. Dies diene nicht bloß dem Sparen und dem Halten möglichst vieler Personen im Arbeitsprozess, sondern kann wohl auch Brücken hin ins notwendige Generationenmanagement bauen.

Arbeitet man nur auf Bereitschaft, wird man auch nur bezahlt und versichert, wenn Arbeit da ist.
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"Vielversprechend" nennen die Studienautoren Modelle des Mitarbeiter-Sharings. Dabei teilen sich Unternehmen einer Branche die Arbeitskraft eines Menschen, dieser kommt zusammengestückelt solcherart dann auf eine Vollbeschäftigung. Arbeitgeberzusammenschluss heißt diese Variante neuen Arbeitens auf Österreichisch und steckt erst in den Anfängen. Unterstützung und Förderung für Pilotprojekte gibt es nicht, regionale Initiativen (etwa in Niederösterreichs Gastronomie) probieren dieses Modell gerade erst einmal aus.

Was unter den großen Schlagwörtern Kooperation und Kollaboration seit einigen Jahren international gewachsen ist, hat in Österreich auch noch nicht flächendeckend gegriffen: Co-Working-Spaces, Teilen der Infrastruktur und Netzwerkarbeiten sind über den Kreativ- und Tech-Bereich noch nicht weit hinausgekommen, dürfen aber als großer Trend neuen Arbeitens stehen.

Auch für den nichtwissenschaftlichen Beobachter scheint es: Österreich versucht nicht alles, um sich an die vordersten Fronten der neuen Arbeitswelt zu arbeiten – vielleicht vorübergehend sogar mit dem Vorteil, neue Flexibilisierungsprekariate nicht auch noch zu fördern. Wird das Bollwerk halten können?

Verteilungsfragen der Arbeit

Eine Strategie dafür war diesen Sommer der erneute Vorstoß in eine Verteilungsdiskussion. Die "Beschäftigungskrise" erfordere Arbeitszeitverkürzung auf gesetzlicher und kollektivvertraglicher Basis, verlangte der Chef der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA). Der Arbeitsmarkt brauche eine Reduktion auf 35 Stunden inklusive Lohnausgleich. Die Reaktion der anderen Seite fällt – wie bei der Forderung einer sechsten Urlaubswoche für alle – vorhersagbar aus. Aber fast ein Viertel der Arbeitnehmer ist laut GPA-Umfrage auch zum Lohnverzicht bereit, wenn sich die Arbeitsstunden reduzieren.

"Weniger ist aber mehr", bleibt die Gewerkschaft bei weniger Arbeitszeit bei gleicher Gage – Mitarbeiter seien dann motivierter und zufriedener, weil sich über 60 Prozent weniger Arbeit wünschen. Ob dies dann auch individuell einträfe, bleibt aber sowieso offen: Wieso sollte dieselbe Arbeit dann nicht statt in 42 Stunden in 35 (ohne Überstunden) gemacht werden? Die Phänomene der Arbeitsverdichtung und ihre gesundheitlichen plus gesellschaftlichen Folgen sind immerhin auch durch solche Maßnahmen auf betrieblicher Ebene mit induziert.

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Schöne neue Arbeitswelt? Das gilt vor allem für zwei Gruppen nicht: schlecht qualifizierte Junge und für die Altersgruppe 45 bis 50 plus.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Bei all dem Wandel hin zur schönen neuen Arbeitswelt bleiben Fragen für zwei Gruppen weitgehend ohne Antworten: Für schlecht qualifizierte Junge und für die Altersgruppe 45 bis 50 plus – für jene, die in der "alten" Welt groß geworden sind und jetzt aufgrund von Rationalisierung, Wandel und mangelnder Anschlussfähigkeit an die digitalen Prozesse hinauskomplimentiert werden. Heuer aktuell bereitgestellte Fördermillionen für das Einstellen Älterer werden kaum abgeholt. Wer es sich leisten kann, geht den Weg in eine (Schein-)Selbstständigkeit. Wer aufgrund der Vorgeschichte in der Karriere ein Gut hat, das sich flexibel verkaufen lässt, hat es auch gut erwischt.

Im Management hat sich daraus das sogenannte Interim-Management entwickelt: 20 Unternehmen sind in Österreich damit tätig, Manager auf Zeit zu vermitteln – für Sanierungsjobs, als Vertretungen, für Expansionen und Schrumpfungen. An die 2.000 solcher Arbeitskräfte mit mindestens vierzig Lenzen sind derzeit in Österreich tätig, der Anbieter Bühler Management schätzt das Marktvolumen derzeit auf rund 230 Millionen Euro im Jahr. In Deutschland sind es Verbandsberechnungen zufolge schon mehr als zwei Milliarden. (Karin Bauer, 28.10.2015)