Wenn man die Truppe rund um den Soziologen und Vorsitzenden des Instituts für Jugendkulturforschung, Chef der Marktforscher der tfactory in Hamburg, Bernhard Heinzlmaier, über die Motive für die Berufswahl fragt, wird das Mitliefern der Exegese als selbstverständlich gesehen. Ein neutralisierender Konjunktiv kommt nicht vor, es wird vom Chef persönlich eingeordnet. Im Folgenden die gegenwärtig aufgespürten Gruppen auf dem Arbeitsmarkt – inklusive Einordnung – im O-Ton. Basis sind Studien in Kooperation mit der Integral-Marktforschung:

Die Arbeitsvermeider

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Vor allem die Angehörigen der unteren Sozialschichten scheren aus der Gemeinschaft der Berufsgläubigen aus. Für sie ist der Beruf in erster Linie Mittel zum Zweck, zum Gelderwerb, um in der Freizeit anständig konsumieren zu können. Im Gegensatz zu den Mittel- und Oberschichten, die sich über den Job definieren, basteln die Unterschichten tagtäglich an ihrer "Freizeitidentität". Anerkennung bekommt unter ihnen in erster Linie derjenige, der über das größte Talent zum Genießen verfügt und über ausgeprägte Fähigkeiten, mit geringstem Aufwand zu Geld zu kommen.

Die Genussmenschen und Lustmaximierer der sozialen Unterschicht suchen daher nach Jobs, in denen sie einfache repetitive Tätigkeiten verrichten können, die ihnen keine Identifikation mit ihrem Arbeitgeber abverlangen, oder nach solchen, in denen sie durch das Ausüben ihrer Freizeitinteressen Geld verdienen können. Unter jungen Menschen sind das vor allem Jobs in der Unterhaltungsbranche wie Rapper, Modell, Kickboxer, Bodybuilder, Fußballer, Schauspieler oder Eventmanager. Die meisten von ihnen können aber naturgemäß ihre hochfliegenden Berufspläne niemals realisieren und bleiben deshalb ein Leben lang enttäuscht zurück.

Diese bohrende Desillusionierung ist die Quelle aggressiver Missgunst gegenüber den Eliten aus Politik und Wirtschaft und sorgt für Intoleranz gegenüber Menschen, die es sich erlauben, anders zu sein als der Durchschnitt, zum Beispiel Conchita Wurst, und im Gegensatz zu ihnen damit Erfolg haben. Ziel der Enttäuschten und Frustrierten ist nicht der eigene soziale Aufstieg, sondern die Erzwingung des Abstiegs der Glücklichen und Erfolgreichen. Und man komme ihnen nicht mit dem Bildungsideal, denn sie glauben nicht an das Narrativ vom Aufstieg durch Bildung, und sie haben recht damit, denn die Wege nach oben sind mit den gut ausgebildeten und gut vernetzten Kindern der Mittelschichten verstopft.

Die Selbstverwirklicher

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Selbstverwirklichung im Beruf – das ist das zentrale Lebensziel der sogenannten Postmaterialisten. Postmaterialisten sind Menschen, für die Ideen mehr als Geld zählen. Sie sind angetreten, um eine schlechte Welt besser zu machen. Diese hochgebildeten, mit Kulturkapital überreich ausgestatteten Idealisten treibt primär das Gefühl der Schuld. Sie fühlen sich für fast jedes auf diesem Planeten auftretende Elend zumindest mitverantwortlich. Zudem lieben sie die symbolische Zurschaustellung ihres Leids. Sie sind Repräsentanten einer postmodernen Geißlerbewegung, die sich täglich neue Strafen ausdenkt, um ihre privilegierte Stellung in der Gesellschaft besser ertragen zu können. Diese Strafen erlegen sie aber leider nicht nur sich selbst auf, sondern sie versuchen darüber hinaus, sie für alle Bürger verbindlich zu machen.

Beruf und moralische Imperative sind für den postmaterialistischen Arbeitnehmer untrennbar miteinander verbunden. Es ist daher unmöglich für sie, in internationalen Konzernen wie McDonald's, Google, Apple, Unicredit, Nestlé, Red Bull etc. zu arbeiten. Jedes Unternehmen, das auch nur dem Anschein nach in den Geruch kommt, dass es Massentierhaltung begünstigt, Mitarbeitermitbestimmung behindert, Kredite an Diktaturen vergibt, ungerechte Handelsbeziehungen zu Entwicklungsländern unterhält oder die Umwelt schädigt, kommt als Arbeitgeber nicht infrage.

Dementsprechend hoch ist das Interesse der Selbstverwirklicher an Jobs bei NGOs, die ökonomische, soziale und ökologische Missstände bekämpfen. Global 2000, Greenpeace, die Caritas oder Ashoka sind bevorzugte Adressen für das berufliche Engagement. Mithilfe eines Jobs in einem der obengenannten Unternehmen kann in Verbindung mit ehrenamtlichen Engagements bei SOS Mitmensch, einer Kandidatur für die grüne Partei auf Gemeindeebene und penibler Mülltrennung ein Image konstruiert werden, mit dem der extrem außen- und selbstdarstellungsorientierte Idealist die Gefühle der Menschen seiner Umgebung für sich mobilisieren kann.

Die Selbstverwirklicher leiden auch nicht an mangelndem Selbtbewusstsein. Sie zeigen dies zum Beispiel dadurch, dass sie T-Shirts mit der Aufschrift "Each one of you is a Changemaker" tragen. Und wenn ihnen ihr Arbeitgeber erlaubt, ein Bild von Ghandi, dem Dalai Lama oder dem Papst in ihrem Büro aufzuhängen, dann arbeiten sie besonders inspiriert und motiviert.

Die Pragmatiker

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Die Pragmatiker glauben an nichts als an sich selbst. Ihre Religion ist die Lehre vom eigenen Vorteil. Sie sind die ideale Verkörperung des "homo oeconomicus". In erster Linie geht es ihnen um Geld und Ansehen. Aber im Gegensatz zu den Karrieristen wollen sie nicht hoch hinaus, eine mittlere Position tut es auch. Sie begeben sich ganz bewusst nicht in Konkurrenz zu den Eliten, obwohl sie deren Leben insgeheim mit Missgunst verfolgen, sondern zu den Angehörigen der eigenen Statusgruppe. Das bedeutet zum Beispiel, dass sie sofort nachziehen müssen, wenn der Nachbar einen größeren Familienvan mit mehr PS gekauft hat und vor dem Haus stehen hat.

"Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach" ist das Lebensmotto der sicherheitsorientierten Pragmatiker. Auf Abwechslung und Abenteuer stehen sie gar nicht. Besonders abstoßend und beängstigend wirken auf sie Karrierepläne und Auslandsaufenthalte. Der Pragmatiker ist ein wenig provinziell und geil auf Redundanz. Deshalb ist ein Job beim Finanzamt, beim Amt für Eich- und Vermessungswesen oder bei der Gemeinde Wien für ihn hochattraktiv.

Wenn er noch jung ist, erhöht ein sicherer Job in der Staatsbürokratie seine Chancen am Heiratsmarkt. Man heiratet in Weiß in der Kahlenberg-Kirche – nicht weil man an Gott glaubt, sondern weil es so schön romantisch ist und man die Freunde mit einer teuren Hochzeit beeindrucken will.

Am Arbeitsplatz will man auch geliebt werden. Die Pragmatiker suchen dort nach Harmonie und Freundschaft. Und sie wollen genügend Zeit für ihre Familie haben. Der Begriff Work-Life-Balance wird ihnen in Zukunft wohl immer häufiger über die Lippen kommen. Ihr Arbeitgeber sollte auf gar keinen Fall zu Extravaganzen in der Unternehmensführung wie Fortbildungsangeboten, Leistungslöhnen, Prämienwesen oder gar zur Verwandlung des Büros in einen "Multispace" mit "Desksharing" neigen.

Der Pragmatiker will keinen täglichen Leistungswettbewerb und einen eigenen Schreibtisch, um dort seine Kakteen, Plüschhasen und Familienfotos aufstellen zu können. Pragmatiker haben ihr berufliches Ziel erreicht, wenn sie Abteilungsleiter im Familienminsterium, der MA 45 oder im Zollamt geworden sind. Aber auch wenn sie einem Unternehmen lange die Treue halten, heißt das noch lange nicht, dass sie sich mit diesem identifizieren. Die Beziehung zum Arbeitgeber ist für sie eine reine Zweckbeziehung. Und wirklich lieben sie nur sich selbst, ihre nächsten Angehörigen und das Geld und den Konsum.

Dennoch: Ist man auf der Suche nach einem soliden Mitarbeiter, der täglich pünktlich um 9 Uhr hinter seinem Schreibtisch sitzt und der aber auch Punkt 17 Uhr aus seinen Büroschlapfen in die Straßenschuhe schlüpft und das Weite sucht, so ist man mit den Pragmatikern gut bedient. Denn der Pragmatiker sorgt für das, was ein Unternehmen neben Innovationen, kreativer Unruhe, Ideenreichtum und Schöpferkraft genauso dringend braucht – den reibungslosen und kontinuierlichen Ablauf notwendiger immer wiederkehrender Prozesse.

Die Karrieristen

Die Karrieristen sind auf dem Arbeitsmarkt die Dinosaurier unserer Zeit. Im Gegensatz zu ihren tierischen Vorfahren haben sie aber überlebt. Sie kommen aus den Tiefen der 1970er- und 1980er-Jahre. Sie glauben an den Wettbewerb, den Markt, an Europa und an die Globalisierung. In der Regel haben sie Jus oder Wirtschaft studiert. Für sie muss man keinen Karriereplan machen. Sie haben ihn schon vor dem ersten Arbeitstag in ihrem neuen Unternehmen selbst erstellt. Der Leistungswettbewerb liegt ihnen im Blut. Aber Vorsicht! Wer sie einstellt, der könnte bald ein leises Sägen vernehmen, das aus der Region der Beine des Stuhls kommt, auf dem er selbst sitzt.

Das Handeln der Karrieristen ist kaum durch moralische Vorbehalte tangiert. Internationale Konzerne sind ihre Lieblingsadresse, wenn es um den Job geht. Sie wollen zu Coca-Cola, Red Bull, Shell, Monsanto, Sony, Warner, British American Tobacco etc. Das Image des Unternehmens, in dem sie arbeiten, ist ihnen wichtig. Es muss ein absolutes Erfolgsimage sein. Am liebsten arbeitet man beim Marktführer einer Branche oder bei dessen erstem Herausforderer. Sie nennen sich selbst gerne "Manager", geben sich cool und abgeklärt, wodurch sie signalisieren, dass sie ihre Gefühle unter Kontrolle haben.

Selbstkontrolle ist unter Karrieremenschen ein hohes Gut. Wer sie verliert und Gefühle zeigt, hat schlechte Karten im Konkurrenzkampf. Sie sind keine Idealisten, denn sie tun in erster Linie das, was im Sinne der Karriere gemacht werden muss, auch wenn es sie überhaupt nicht interessiert. Wenn sie lesen, dann immer nutzenorientiert. Es muss Lektüre sein, die beim beruflichen Aufstieg weiterhilft. Interessanterweise findet man unter den Büchern der sich gerne als anspruchsvoll und gehoben gebenden Eliten nicht selten einfältige Motivationsliteratur aus dem Genre der amerikanischen Ich-Psychologie.

Sie opfern ganz bewusst ihre Freizeit für das berufliche Fortkommen. Familienwünsche werden aufgeschoben, solange es geht – manchmal so lange, bis sie aufgrund biologischer Entwicklungen aufgegeben werden müssen. Die knappe Freizeit ist dazu da, um den Berufsstatus zu demonstrieren. Deshalb sind diese Leute mit teuren Dienstwägen, Wohnungen in gehobener Lage, Incentive-Reisen, Mitgliedschaften in Golfclubs und natürlich mit dem großen repräsentativen Büro ganz oben, im letzten Stock des Unternehmenswolkenkratzers, gut zu motivieren.

Die neue Elite der Arbeitswelt

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Die Sozialforscher nennen sie auch digitale Individualisten, nach dem koreanischen Philosophen Byung-Chul Han könnte man sie als "Wachtelexistenzen" bezeichnen, die Eliten der Arbeitsmärkte der Zukunft. Die Wachtel ist im Prinzip ein asozialer Vogel. Sie baut kein Nest, geht keine fixen Partnerschaften ein, und ihre Jungen sind Nestflüchter, die, kaum geboren, die Eltern verlassen, um auf eigenen Beinen durchs Leben zu gehen. Die Wachtel ist der absolute Ego-Vogel. Sie verbringt ihr Leben auf Wanderschaft, eine nomadenhafte Existenz, die dort wandert, wo kein Tor und kein Haus, also kein Wohnen ist.

Ganz ähnlich wie die Wachtel funktioniere die Generation Y. Sie sei auf ihre Flexibilität, auf ihr Ungebundensein bedacht. Bindung ist Stillstand. Wer sich zu früh und zu rasch festlegt, dem entgehen die besten Lebenschancen. Das gilt insbesondere für den Beruf. In ihm sucht man nicht Sicherheit und ewige Wahrheiten, sondern Herausforderung, Spannung und Abenteuer. Das Unternehmen, für das man gerade arbeitet, ist nicht mehr als eine Durchgangsstation, eine vorübergehende berufliche Station, die aber primär als Basis zum Absprung zu einer neuen, noch viel interessanteren Aufgabe dient.

Und die neuen Eliten sind selbstbewusst, weil sie sich noch vorwiegend auf Nachfragemärkten bewegen. Das Personalmarketing muss sich um sie bemühen, weil ihre Qualifikationen knappe Güter sind. Häufig findet man Wachtelexistenzen unter kreativen Werbern, IT-Spezialisten, Marketingprofis, Eventveranstaltern, Spezialisten für digitale Kommunikation oder Online-Social-Network-Experten, aber auch unter Menschen mit künstlerischen Ambitionen. Sie sind selbstbewusst, weil sie sich – und das muss betont werden – in einer relativ privilegierten Position am Arbeitsmarkt befinden. Dementsprechend pochen sie auf totale individuelle Behandlung. Normen, Regeln und Konventionen, die für die Masse gelten, sind für sie nicht interessant. Und so kann es passieren, dass eine Wachtel drei Monate Urlaub im Jahr von ihrem Arbeitgeber verlangt, dafür aber die restlichen neun Monate rund um die Uhr mit vollem Engagement dem Unternehmen zur Verfügung steht.

Der dänische Philosoph Kierkegaard würde die neuen flexiblen Eliten des Arbeitsmarktes als "ästhetische Existenzen" bezeichnen, als Menschen, deren Leben in erster Linie der Befriedigung ihrer individuellen Lust dient, die genießen wollen und große Glaubenserzählungen wie den Katholizismus und säkulare Narrative wie den Marktliberalismus nicht ernst nehmen und die sich an der Freiheit des Schwebens und der Unendlichkeit der Möglichkeiten des Lebens berauschen.

Ihre Lust am Spiel befriedigen sie durch ihr häufiges Engagement in sogenannten Start-ups. Typisch für dieses Start-up-Spiel ist die Musikbranche. Dort werden permanent neue kleine innovative Labels und Konzertagenturen gegründet, die nach relativ kurzer Zeit von den großen Monopolunternehmen der Branche aufgekauft werden. Die Start-ups als das ästhetisch-sympathische schmucke Blendwerk der Vielfalt auf der Oberfläche einer Branche, die durch einen Prozess zur totalen Zentralisierung und Monopolisierung geprägt ist.

Die Start-up-Kultur hat viel mit dem Wesen der Generation Y zu tun, ist sozusagen das wichtigste Symbol ihrer Existenz. Sie versuchen durch Tricks, Täuschungen, unorthodoxe Strategien, Innovationen, atypische kreative Taktiken die Etablierten aus ihren Positionen zu verdrängen. Sie pfeifen dabei auf alte Werte, hehre Ideale und alte Spielregeln. Um an die Spitze zu kommen, riskieren sie viel oder gar alles.

Ein gutes Beispiel für diesen Kampf der alten mit den neuen Eliten ist die gegenwärtig medienwirksam geführte Auseinandersetzung zwischen Uber und den alteingesessenen Europäischen Taxiunternehmen. Während die einen mit alten und wenig kreativen Mitteln die traditionelle Marktregulierung verteidigen, versuchen die anderen, sie mit Tricks und Täuschungen auszuhebeln.