Den Teppich weich unter meinem Rücken, blicke ich in die hohe Kuppel, wo im Dämmerlicht eine Taube flattert. Die Glastränen an dem tonnenschweren Metallluster klingen im Luftzug. Ich richte mich auf; wie lange habe ich geschlafen? Fünf Minuten, eine Viertelstunde? Verteilt über den weiten Raum liegt ein halbes Dutzend weiterer Schläfer auf dem roten Teppich. Auch sie sind vor der Mittagshitze ins kühle Innere der Moschee geflüchtet.

Die Moschee, umgeben von den Mauern der Zitadelle, erhebt sich am Rande Kairos. Nachdem Teile der Festung 1824 bei der Explosion eines Pulverlagers zerstört wurden, ließ Pascha Mohammad Ali diese Moschee erbauen. Osmanischer Stil, die 80 Meter hohen Minarette spitz wie Bleistifte. Der Pascha starb, bevor die Moschee fertig war. Ein Summen und Raunen dringt vom Portal her. Smartphones klingeln, Anweisungen für Gruppenfotos, Selfies vor der Predigtkanzel, Selfies mit Ehefrau, Kinder laufen im Kreis, ein Fremdenführer erklärt mit lauter Stimme die Geschichte der Moschee. Zeit zu gehen.

In der Mohammad-Ali-Moschee.
Foto: Markus Schauta

Die Zitadelle beherbergt auch das Militärmuseum. Besucher sitzen im Schatten der Bäume, Uniformierte streunen über den Hof. Das Museum ist wegen Umbaus geschlossen. Schade, denn ich hätte mir gerne die Bilder im Stil des sozialistischen Realismus angesehen: viel Pathos, Heldentum und das Rot-Weiß-Schwarz der ägyptischen Flagge.

Im Mittelpunkt die Überquerung des Suezkanals im Jom-Kippur-Krieg von 1973 und die Rückeroberung von Gebieten, die Israel sechs Jahre zuvor besetzt hatte. Dann: Cut. Das Narrativ von der großen ägyptischen Armee endet hier. Ausgeblendet, dass der Angriff zwei Tage später im Sand steckenblieb, die ägyptischen Truppen zurückgeschlagen wurden und die Israelis den Suezkanal überschritten. Mit der Geschichte ist es wie mit türkischem Kaffee: Ein Schluck zu viel – und es wird bitter.

Vor dem Militärmuseum: Panzer russischer Bauart aus den Kriegen von 1956 und 1967 und erbeutete israelische Panzer aus dem Jom-Kippur-Krieg.
Foto: Markus Schauta

Mit Tramadol durch die Nacht

Hinter der Zitadelle erhebt sich das Steinplateau Moqattam. Einst, so sagt die Legende, disputierten ein islamischer Kalif, ein Jude und ein Christ über die Macht des Glaubens. Da die Bibel in dieser Hinsicht recht zuversichtlich ist (Der Glaube versetzt Berge), forderten sie vom Christen, die Wahrheit seines Glaubens zu beweisen. Also versammelten sich die Christen Kairos, beteten und fasteten drei Tage lang und siehe: Der Berg bewegte sich. Seitdem liegt der Kalkfels am Stadtrand von Kairo. Diese und andere Geschichten hat der Kopte Costa mit der Muttermilch aufgesogen. Es ist kurz vor Sonnenuntergang, und wir winken nach einem Taxi.

"Muqattam, The Virginian", sage ich. Der Fahrer nickt und tritt aufs Gas. Und nach einer Weile: "Schöne Aussicht, dort oben." An der Kreuzung drückt er eine Tablette aus der Verpackung. "Tramadol?", frage ich. Der Taxifahrer steckt sich die Pille in den Mund. "Gegen die Müdigkeit", sagt er. Die Doppelschicht im Taxi lasse nicht viel Zeit zum Schlafen. Er kaut auf einer Plastikfolie herum. "Eine Tochter studiert, zwei Söhne gehen zur Schule – ich brauche das Geld." Der Schmerzkiller Tramadol ist in Ägypten unter Bus- und Taxifahrern weit verbreitet, die Zahl der Tablettenabhängigen hoch. Seit die Regierung versucht, die Produktion im Land besser zu kontrollieren, wird das Zeug vermehrt aus China importiert.

"Tramadol bringt mich durch die Nacht", sagt er. Und mich hoffentlich auf den Moqattam. Ich kurble das Fenster herunter, atme Abgase und den Gestank von verrottetem Müll. Schwere Opernmusik weht aus den Boxen in den Abend hinaus – es klingt irgendwie nach Wagner, begleitet von der polyphonen Superhupe des Taxis. Beim Überholen: Achtung, ich komme! Im Stau: Fahrt endlich weiter! Beim Abbiegen: Ich habe Vorrang! So geht es durch Kairo, vorbei an der Zitadelle und hinauf auf den Moqattam, auf ein Bier an der Klippe.

The Virginian

Die Terrasse mit den runden Tischen und Bambusstühlen hängt an der Kante des Moqattam-Felsen. Sicher, der ehemalige Nachtclub hat bessere Zeiten erlebt, als Kairos Upperclass hier sang, tanzte und bis in den Morgen trank. Und dennoch, The Virginian, alt und zerbrochen, hat Charme, der Blick über Kairo ist überwältigend. Ein Häusermeer, pastellfarben, die Minarette schwarz vor der untergehenden Sonne. Von hier oben wirkt alles klein, handlich und still.

Der Nachtwind weht von der Qarafa herauf, der Stadt der Toten, in deren Mausoleen sich zigtausende Familien eingenistet haben. Nördlich davon erahnt man die Gassen von Manshiet Naser, wohin Kopten den Auswurf Kairos schaffen, ihn durchwühlen, sortieren und schließlich das Plastik und Metall an chinesische Händler verkaufen.

In der Ferne die Minarette und Kuppeln des islamischen Kairo, die mittelalterliche Stadt der Fatimiden mit dem Khan al Khalili, den kleinen Kaffeehäusern und der Azhar, an der seit 1.000 Jahren der Koran studiert wird. Und dahinter die Türme Downtowns vor dem Nil, die Insel Zamalek mit ihren Botschaften und Villen, Mohandiseen mit dem El-Arabia-Boulevard, wo der Straßenstrich blüht. Und irgendwo am dunstigen Horizont die Pyramiden. Das alles ist Kairo – eine alte Dame, manchmal grantig, aber die meiste Zeit freundlich. Ihre Diamanten haben den Glanz verloren, aber sie trägt sie mit Stolz.

Am Nachbartisch blubbern die Wasserpfeifen zum Whiskey, aus den Boxen singt Umm Kulthum. Unter uns die Lichter der Stadt. Dann kommt der Kellner und bringt neues Bier. Kairos Nächte sind lang.

Blick von der Zitadelle auf Kairo.
Foto: Markus Schauta

Abschied

Das ist mein letzter Blogeintrag, es geht zurück nach Wien. Meinen Dank an die Leser. Das Schreiben hat mir Spaß gemacht, ich hoffe, Ihnen das Lesen. Danke auch an meine Kairoer Freunde. Mohammed, der mir die dunklen Winkel des Kairoer Nachtlebens ausleuchtete; Costa, der mich zum Teufel begleitet hat, Jan, mit dem ich die Ostwüste bereiste, und all die anderen. Mein spezieller Dank geht an Kairos Taxifahrer – möge euch das Benzin nie ausgehen. So long and thanks for all the beer! (Markus Schauta, 16.9.2015)