Wien – Wenn man es als Musiker über 20 Jahre lang schafft, beim Spielen den Puls niedrig zu halten, darf der geneigte Hörer von einem ausgehen: Es ist verdammt schwierig, speziell auf der Bühne vor Publikum, das Tempo niedrig zu halten. Immerhin verleitet Lampenfieber ja gern zur Überschreitung von Geschwindigkeitsbeschränkungen.

Das kann schon einmal dazu führen, dass aus geplanten 45 Auftrittsminuten nur eine halbe Stunde wird. Im Falle des US-Trios Low ist man allerdings schon seit längerem davon überzeugt, dass sich in seiner Kunst biologische Veranlagung mit bedächtig gestimmter philosophischer Grundeinstellung verschränkt.

Das Ehepaar Alan Sparhawk und Mimi Parker startete Low 1993 in Duluth, Minnesota, zu einer Zeit, in der der hemdsärmelige, aus der US-Provinz kommende Grungerock längst Richtung Globalisierung, Soundvereinheitlichung und Mainstream gegangen war und neuere musikalische Trends aus der Elektronik-, DJ- und Freizeitchemie-Szene wie "Techno" noch nicht die Ausfahrtstraßen aus urbanen Ballungszentren Richtung Landliebe gefunden hatten.

Steve Garrington, Mimi Parker und Alan Sparhawk alias Low: Das US-Trio nimmt seit über 20 Jahren das Tempo aus der Rockmusik, so auch auf dem neuen Album "Ones and Sixes".
Foto: Sub Pop / Zoran Orlic

Damals aktive Bands wie Codeine, Souled American oder Galaxie 500 versuchten den gängigen Provinzrockismen mit der Herausnahme von Geschwindigkeit und der völligen Zurücknahme des Intensität vortäuschenden Ausdrucksgesangs beizukommen. Vermarktet wurde das Ganze unter dem etwas zu kurz greifenden Begriff Slowcore. Immerhin ging es nicht nur um Drosselung auf Zeitlupe, sondern auch darum, dass man die Musik bis auf deren Essenz eindampfte. Von konventionell komponierten Liedern blieb so oft nur das Wesentliche oder Allernötigste auch in der Instrumentierung übrig.

Einzelne, nicht zu betont gespielte Akkorde verharrten gern mehrere Augenblicke lang über langsam verendenden Basstönen. Das Schnarren der Saiten oder Wischgeräusche auf der Marschtrommel waren gleichberechtigte Soundquellen. Darüber erhoben sich zwischen Verzagtheit und Resignation ihren Weg suchende inbrünstig-resignative Klagegesänge, die beim singenden Ehepaar Sparhawk/Parker besonders schön, weil eben zweistimmig angelegt waren und noch heute sind.

Songs von Low klingen immer auch so, als ob am Sonntag in der Kirche das zerfledderte Liederbuch aus der Bank geholt werden würde. Aus dem wird dann in einer unvergleichlichen Mischung aus Missmut, Pflichtgefühl und fallweiser spiritueller Ergriffenheit (der Hunger kommt beim Essen) vorgetragen. Immerhin ist Low ja eine Band mit wenn schon nicht strengem, so doch manifestem Hintergrund im mormonischen Glauben.

Sub Pop

Trotz aller weltlichen Ausrichtung hat man sich – neben dem herzergreifenden "Christmas" von 1999 – immer auch mit biblischen Themen auseinandergesetzt. Das Lamm Gottes, der Heilige Geist, die Sünden der Welt, das Geheimnis des Glaubens und der Klärungsbedarf im Planquadrat Sünde, Verdammnis, Vergebung, Erlösung – und überhaupt das Böse in der Welt – prägten etwa auch das meisterliche Album "Drums and Guns" von 2007.

Das neue Album "Ones And Sixes" (Sup Pop / Trost) führt nach der eher folkigen Ausrichtung des Vorgängers "The Invisible Way" von 2013 die alten, oben beschriebenen Vorzüge der Band konsequent fort. Neben dem Beserlschlagzeug Mimi Parkers, dem Bass Steve Garringtons und der Gitarre Alan Sparhawks haben mittlerweile auch harsche Rhythmusloops und minimalistische Keyboardsounds ihren festen Platz bei Low.

Andacht und Kontemplation

"No Comprende" mit abgedämpfter Rhythmusgitarre und gelegentlichen Ausbrüchen in die Dissonanz klingt gar etwas rockig. Wenn Leute wie Queens of the Stone Age einen müden Tag erwischen und nicht in die Gänge kommen wollen, klingt das ähnlich.

Zwischendurch gelingt Low sogar ein freundlich-melancholischer Popsong wie "What Part of Me". Die Momente der Andacht und der Versenkung in die persönlichen Zweifel bleiben allerdings fixe Bestandteile des künstlerischen Konzepts. Am Ende von "Ones and Sixes" steht ein zehnminütiger Brocken. "Landslide" präsentiert nahe am elektrischen Neil Young einen weiteren Vorzug der Band. Low sind Meister des dramaturgischen Aufbaus und der Dynamik. Nach über 20 Jahren im Geschäft besteht noch immer keine Gefahr der Routine. (Christian Schachinger, 17.9.2015)