Als ich kürzlich am Wiener Westbahnhof war, um nach Linz zu fahren, wurde mir wieder einmal schlagartig bewusst, was für ein privilegiertes Leben ich doch führe. Während überall wartende Menschen mit erschöpftem Blick sitzen und Kinder auf Wolldecken auf dem Boden liegen, kann ich problemlos in einen fast leeren Zug steigen. Ich habe schlichtweg Glück, in einem reichen und sicheren Land geboren zu sein und hier mein Leben in Freiheit gestalten zu können.

Die Flüchtlinge kommen nicht hierher, weil das Wetter in Österreich so schön ist, um es mit Ute Bocks Worten zu sagen. Nein, sie fliehen, weil ihr Leben massiv bedroht ist. So wie mir geht es derzeit vielen. Die Not und das Elend werden sichtbar. Das ist ein zentraler Auslöser für spontane Hilfe, für Solidarität und Empathie.

Wurde die Zivilgesellschaft in Österreich bestenfalls als im Dornröschenschlaf befindlich angesehen, existiert sie nun aktiv, selbstorganisiert und lösungsorientiert. Viele Menschen spenden Geld, Zeit, Kleidung oder Wohnraum. Sie teilen Eindrücke, Schicksale und ihre eigene Meinungen in sozialen Netzwerken und verstärken dadurch die gesellschaftliche Relevanz des Themas.

Das Engagement der Zivilgesellschaft hat sich also innerhalb kurzer Zeit organisiert. Mit der Unterstützung von Non-Profit-Organisationen (NPOs), aber auch eigenständig, haben sich viele Initiativen und Gruppen gebildet, die sich aktiv einsetzen.

Politikverdrossenheit?

Sie organisieren sich häufig über Facebook und Twitter, stellen vielfach eine professionelle Infrastruktur auf und akquirieren eine große Anzahl an zusätzlichen Helfern. Sei es die Initiative Train of Hope, die sich am Hauptbahnhof um die Versorgung der Flüchtlinge kümmert, oder die Bürgerinitiative Wien Nordwest hilft im Umfeld der Caritas, der mittlerweile rund 500 Freiwillige angehören und die Deutschkurse sowie Freizeitprogramme für Flüchtlinge anbietet. Hier engagieren sich häufig junge Menschen in Zwölf- bis 14-Stunden-Schichten, legen teilweise ihr Studium still und gehen an ihre Grenzen. Und das vollbringt eine Generation, der man noch bis vor kurzem Politikverdrossenheit vorgeworfen hat. An Engagementverdrossenheit kann es zumindest nicht liegen.

Eine große Herausforderung wird darin bestehen, die Nachhaltigkeit dieses Engagements zu gewährleisten. Hier können die NPOs hilfreich sein. Sie haben Erfahrung im Umgang mit Freiwilligen, sind gut vernetzt und Spezialisten in den jeweiligen Aufgabenfeldern. Die Zusammenarbeit zwischen NPOs und Zivilgesellschaft funktioniert gut. Nun gilt es, die große Hilfsbereitschaft aufrechtzuerhalten und den Weg in Richtung Nachhaltigkeit weiterzugehen.

Auch Unternehmen, als weitere wesentliche gesellschaftliche Akteure, können sich dem Druck, spontan zu helfen, nicht mehr verschließen. Sie stellen vor allem Ressourcen zur Verfügung, die von Geld und Produkten über Zeit ihrer Mitarbeiter bis hin zu spezifischem Know-how reichen. Unternehmensengagement im Rahmen der Corporate Social Responsibility ist keineswegs neu. Schon seit einigen Jahren sind Öffentlichkeit und Unternehmen an Themen wie ökologische Nachhaltigkeit, soziale Investitionen, Wirtschaftsethik, Corporate Philanthropy und Ähnlichem interessiert.

Jetzt mal pragmatisch

Die öffentliche Meinung pendelt hier zwischen Jubel über das Engagement der sonst oft als "böse" bezeichneten Unternehmen und kritischen Kommentaren in Richtung "Gut-Menschen-Bonus" hin und her. Unternehmen zeigen aus unterschiedlichen Gründen gesellschaftliche Verantwortung, sei es aus philanthropischem, strategischem, kommerziellem oder politischem Interesse.

Vielleicht sollten wir die Motive aufgrund der brisanten Lage pragmatisch in den Hintergrund drängen. Geld- und Sachspenden werden derzeit gebraucht. Das originäre Interesse der Unternehmen wird dann virulent, wenn es auch hier um nachhaltiges Engagement geht. Die Herausforderung wird etwa darin liegen, Arbeitsplätze und Lehrstellen für die Flüchtlinge zu schaffen. Hier können Unternehmen viel zur Integration in unsere – von Erwerbsarbeit geprägte – Gesellschaft leisten.

In Zukunft werden wir die Herausforderungen der Migration und Integration nur gemeinsam meistern können. Es braucht eine langfristige Beteiligung der Zivilgesellschaft und der Unternehmen. Drüber hinaus wird es aber auch ganz wesentlich an der Politik liegen, der bisher zu Recht ein mangelnder Weitblick und eine Mutlosigkeit attestiert werden. Es wird einer europäischen Asylpolitik bedürfen, die nicht nur von einigen wenigen Ländern getragen werden kann.

Das ist keine Ansichtssache

Das Recht auf Leben ist in der europäischen Menschenrechtskonvention verankert, die in Österreich Verfassungsrang hat. Dieses Recht auf Leben bekommt aktuell unmittelbare Relevanz, nicht zuletzt angesichts der Tragödie in Parndorf. Hass und das Schüren von Ängsten war zudem noch nie hilfreich bei der Lösung gesellschaftlicher Problemlagen, wie uns die Geschichte lehrt. Darum ist es auch unerlässlich, die Bedenken der Bevölkerung aufzugreifen und zu thematisieren.

Anderenfalls droht ein weiterer Zuwachs der rechtspopulistischen Parteien, die aktuell etwa mit Absurditäten, wie dem Aufruf zum Boykott von Unternehmen, die sich sozial engagieren, von sich reden machen.Recht, nicht Ansichtssache. Wir sollten im Gegensatz vielmehr den Blick auf die Chancen der Migration lenken, die von einer Belebung der Wirtschaft durch mehr Kaufkraft, neue Kontakte in die arabische Welt bis hin zu einer vielfältigen Gesellschaft, die ohnehin von Überalterung bedroht ist, reichen. Und besinnen wir uns auf unsere Werte.

Von der Menschenrechtskonvention bis zu den Grundrechten gibt es vieles, wofür vergangene Generationen gekämpft haben, was nun Grundlage unseres Handelns sein sollte.Das ist keine Frage der Ansichtssache. Verhandelt kann allenfalls werden, wie eine Integration bestmöglich gelingen kann. Es wird das Engagement und die Übernahme einer gesellschaftspolitischen Verantwortung aller brauchen. Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft müssen ihre jeweiligen Kompetenzen einsetzen, um das zu erreichen, was wir wohl alle anstreben: eine lebenswerte Gesellschaft. Für alle hier lebenden Menschen. (26.9.2015)