Im Innenhof des Hedonist Hostel schauen Australier, Briten und Deutsche auf eine Leinwand. Es läuft englischer Fußball. Wir sind in Belgrad, doch nur die Bierdosen sind serbisch. Die jungen Männer haben klar definierte Muskeln und Ziele. Sie wollen feiern. Im Idealfall serbische Frauen kennenlernen. Die gelten bei den Gästen der Herberge als temperamentvoll und begehrenswert. In einem Onlineforum für sogenannte Pick-up-Artists, auf Deutsch Aufreißkünstler, wird für Belgrad geraten: "Sei spendabel und sprich nicht über Politik."

Ein zartes Pflänzchen

Das Image als Städtereiseziel ist ausbaufähig. Viele Ältere denken noch an die Jugoslawienkriege, die Jungen wissen oft gar nichts über die serbische Hauptstadt. Außer vielleicht: In den Nächten bestimmt Elektro- und Trance-Musik den Rhythmus auf den Partyschiffen an der Save. Der Tourismus wächst als zartes Pflänzchen – was funktioniert, wird kopiert. Zum Beispiel die kostenlosen Führungen durch die Festung Kalemegdan und auf der Prachtstraße Knez Mihailova.

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Aus dem Künstlerviertel Savamala soll Belgrads neuer Hochglanzstadtteil werden.
Foto: Reuters/Marko Djurica

Auf dem Platz der Republik steigen sich die Anbieter der Gratisspaziergänge fast auf die Füße. Eine davon ist Kristina Filipović. Die 26-Jährige spannt einen riesigen Regenschirm auf, damit die Touristen sie auf dem überlaufenen Platz nicht verlieren. Kurz darauf steht sie mit acht Leuten in der Strahinjića Bana, einer schicken Straße, die von den Einheimischen auch "Silicon Valley" genannt wird wegen der schönheitsoperierten Frauen in den Cafés. "Ich will nichts bagatellisieren", erklärt Filipović ihren Zuhörern, es geht um den Krieg in Bosnien in den 1990er-Jahren: "Wir haben ihre Leute getötet, sie haben unsere Leute getötet."

Im Touristenpulk verdreht eine junge Frau mit schwarzen Locken und Spiegelreflexkamera die Augen. Ana Bernardo, Medizinstudentin aus Portugal, kommt gerade aus Sarajevo, wo die Reiseführer ihr eine ganz andere Version der Geschichte erzählt hätten, eine Version, welche die Schuld deutlich auf serbischer Seite sieht.

Stadt mit viel Leben

Beim anschließenden Mittagsbier verfliegt Anas Ärger über geschichtliche Unschärfen der Gratistour. Sie blickt auf die Gründerzeithäuser der Knez Mihailova und sagt: "Ich habe mir Belgrad düster und halb verfallen vorgestellt, nicht als eine Stadt mit so viel Leben und so einer beeindruckenden Architektur."

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Das serbische Parlament
Foto: Reuters/Marko Djurica

Ralph van der Zijden, einer der wenigen ausländischen Tourismuspioniere in der Stadt, sagt: "Belgrad überrascht die Leute, es ist dynamisch und aufregend, nach ein paar Tagen sind die meisten begeistert." Der Holländer gründete vor vier Jahren den Radtourenanbieter "I Bike Belgrade", obwohl Radfahren in Belgrad zu der Zeit so exotisch war, wie es Skifahren in Holland ist. "Unter den großen Hauptstädten ist Belgrad das letzte europäische Abenteuer", meint van der Zijden.

Countdown für Museen

Ein Abenteuer, auch weil vieles noch nicht fertig ist: Das serbische Nationalmuseum steht in ein Baugerüst eingepackt, eine digitale Uhr zeigt den Countdown zur Wiederöffnung: etwas weniger als 200 Tage. Viele Belgrader mögen noch nicht dran glauben. Auch das Museum für zeitgenössische Kunst ist seit Jahren geschlossen. Viele Bürger macht das traurig, und für den Tourismus ist es schlecht.

Häuser stehen leer und warten auf Renovierung. Obwohl es im Kleinen genug zu tun gäbe, klopft der Größenwahn schon wieder an Serbiens Pforte. Diesmal nicht nationalistischer, sondern kapitalistischer Natur. Das Bauunternehmen Eagle Hills mit Sitz in Abu Dhabi verspricht für den Stadtteil Savamala, dass die Belgrader Skyline dort bald wie ein kleines Dubai glitzere.

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Der Blick von der Festung
Foto: Reuters/Marko Djurica

Katarina Kadović, eine leicht verträumt dreinblickende Tanzlehrerin, führt zweimal pro Woche als sogenannter Belgrade Alternative Guide durch Viertel wie Savamala, zu unbekannten Galerien, Graffiti-Mauern und Beisln. Dass die Stadt ein "neues Berlin" sein soll, weil die alternative Kulturszene auch ohne Geld brodelt, halten Belgrader Künstler für einen recht schiefen Vergleich. Auch dass Kreative, die einst aus New York nach Berlin kamen, nun nach Belgrad weiterzögen, sei eher eine Legende. Und im Künstlerviertel Savamala dominieren in diesen Tagen bereits die blauen Fahnen von Eagle Hills. (Lukas Kapeller, 4.10.2015)