Mannheim – Etwa zehn Prozent der Bevölkerung leiden unter Migräne. Zur Vorbeugung der Anfälle stehen Patienten bisher Arzneimittel zur Verfügung, die sie meist täglich einnehmen müssen und die teilweise mit unangenehmen Nebenwirkungen wie Müdigkeit und Gewichtszunahme einhergehen.

Bei der Suche nach neuen Wirkstoffklassen sind jetzt monoklonale Antikörper gegen den Botenstoff CGRP in den Fokus getreten. Sie könnten eine neue Ära in der Migränetherapie einleiten. Welches Potenzial die neuen Medikamente für die Migräneprophylaxe haben, erläutern Experten im Vorfeld des diesjährigen Deutschen Schmerzkongresses (14. bis 17. Oktober) in Mannheim.

Vorbeugung immer wichtiger

Für Patienten sind nicht nur die Schmerzen eine Qual, sondern auch die damit verbundenen Einschränkungen und die Angst vor der nächsten Kopfschmerzattacke. "Neben Mitteln zur akuten Schmerzlinderung werden daher Arzneien zur Vorbeugung immer wichtiger", sagt Martin Marziniak, Neurologe und Tagungspräsident des Deutschen Schmerzkongresses.

Das sogenannte Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) gilt als der wichtigste Botenstoff bei der Entstehung von Migräne. Er wird aus Nervenzellen freigesetzt, überträgt Schmerzsignale und erweitert die Blutgefäße. Schon vor einigen Jahren wurde gezeigt, dass verschiedene Medikamente Migräneanfälle stoppen können, indem sie den CGRP-Rezeptor blockieren. Allerdings führten diese Substanzen beim Abbau in der Leber zu so starken Nebenwirkungen, dass sie nicht zugelassen werden konnten.

"Im vergangenen Jahr ist es Forschern gelungen, neuartige CGRP-Blocker zur Migräneprophylaxe zu entwickeln", sagt Uwe Reuter, Leiter der Kopfschmerzambulanz an der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Charité Berlin. Es handelt sich dabei um monoklonale Antikörper – immunologisch aktive Eiweiße, die im Körper zirkulieren, eine bestimmte Oberflächenstruktur des Botenstoffs CGRP und des CGRP-Rezeptors erkennen, daran binden und somit die Weiterleitung des Migränesignals verhindern

Monoklonale Antikörper

Laut Reuter sind vier verschiedene monoklonale Antikörper an insgesamt rund 1.000 Patienten, die an vier bis vierzehn Tagen pro Monat an Migräne litten, getestet worden. Alle vier Antikörper hätten zu einer Abnahme der Migräneattacken um drei bis sieben Tage pro Monat geführt. Nebenwirkungen seien dabei gleichermaßen häufig aufgetreten wie in den Kontrollgruppen, die Placebos bekommen hätten.

"Wir stufen diese neuen Substanzen, die speziell zur Vorbeugung von Migräne entwickelt wurden, als erfolgreich und hoffnungsvoll ein", sagt Marziniak. Die neuen Medikamente haben nicht nur weniger belastende Nebenwirkungen wie die bisher zur Prophylaxe eingesetzten Betablocker oder Antiepileptika, sondern sind auch einfacher in der Anwendung.

"Die Patienten nehmen die prophylaktisch wirkenden monoklonalen Antikörper nicht täglich ein, sie werden stattdessen ein- oder zweimal im Monat injiziert", sagt Marziniak. Bis zur Zulassung der neuen Medikamente könnten noch gut drei Jahre vergehen, vermutet Reuter. "Im Herbst und Winter beginnen wir auch in Deutschland mit großen Phase III-Studien, die die Wirksamkeit und Sicherheit der neuen Medikamente belegen müssen." (red, 7.10.2015)