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Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch.

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Die Fakten sprachen für sie: 65 Jahre beträgt das Durchschnittsalter aller bisher mit dem Literaturnobelpreis Geehrten, und seit Tagen war die 67-Jährige bei den Buchmachern als Topfavoritin gehandelt worden.

Doch nackte Zahlen haben ihr nie genügt. "Mit den Augen der Menschenforscherin" sehe sie die Welt, erklärte Swetlana Alexijewitsch einmal ihr Schreiben. Deshalb macht sie wohl die politische Implikation der Entscheidung der Schwedischen Akademie umso zufriedener.

"Durch eine Collage von menschlichen Stimmen unsere Kenntnis einer historischen Epoche zu vertiefen", lobte die Jury das Verdienst ihres in den letzten 35 Jahren erschienenen ein Dutzend Bücher. Die erst 14. weibliche Preisträgerin habe "dem Leiden und dem Mut in unserer Zeit ein Denkmal gesetzt".

Dokumentarprosa könnte man die Werke der 1948 als Tochter einer Ukrainerin und eines weißrussischen Soldaten in Iwano-Frankiwsk Geborenen nennen. Nach Übersiedlung der Familie nach Weißrussland studierte sie Journalismus und begann, ab 1972 für eine Lokalzeitung sowie als Lehrerin zu arbeiten. Bereits als regimekritisch aufgefallen, führte sie in jenen Jahren hunderte Gespräche mit Frauen, die am Zweiten Weltkrieg teilgenommen hatten. 1983 stellte sie daraus ihren Erstling Der Krieg hat kein weibliches Gesicht über die "unheroische Seite" des Blutvergießens fertig.

Die darin erprobte Mischung aus zeugenbefragender Reportage und literarischem Schreiben als "eine größtmögliche Annäherung an das wahre Leben" sollte sie im Folgenden beibehalten; "Roman in Stimmen" nennt sie selbst diese Erzählweise.

In Tod und Leid hatte sie ihr "Hauptthema" gefunden, verfolgte es etwa im Zuge des sowjetischen Afghanistankrieges (Zinkjungen) und der Atomkatastrophe von Tschernobyl (Tschernobyl). Zahlreiche internationale Literaturpreise konnte sie dafür, mit Betonung auf Frieden und Verständigung, entgegennehmen; in mehr als 30 Sprachen liegt ihr Werk mittlerweile vor. In der Heimat war es früher wegen "Beschmutzung der vaterländischen Ehre" verboten, heute, klagt sie, werde sie "nicht gedruckt, ich darf nirgendwo auftreten."

"Ich will zu Hause leben, unter meinen Leuten, meinen Enkel aufwachsen sehen", begründete sie die Entscheidung, 2011 nach Stationen in Paris, Stockholm und Berlin trotzdem nach Minsk heimgekehrt zu sein. Hier und in ihrer Sprache könne sie am besten arbeiten, gibt sie sich ungebrochen. "Fantastisch!", reagierte sie dort auf die freudige Nachricht. (Michael Wurmitzer, 8.10.2015)