Wahlkabine am Sonntag in Wien: Für die ÖVP war der Hund drinnen, die SPÖ hingegen hat mit ihrer Strategie relativ reüssiert.

Foto: Regine Hendrich

Experte Ennser-Jedenastik: Die ÖVP sei uninteressant.

Es war ein Ergebnis, mit dem viele Experten nicht gerechnet haben. Überrascht beobachtete Laurenz Ennser-Jedenastik am Sonntag, wie der Balken der ORF-Grafik bei der ersten Hochrechnung bei der SPÖ knapp unter 40 Prozent stehen blieb. "Erstaunlich gut" sei dieser Wert, sagt der Politologe von der Universität Wien, vor allem wenn man das rote Ergebnis in Wien mit jenem Josef Pühringers vergleicht, der als schwarzer Landeshauptmann vor zwei Wochen in Oberösterreich mehr als zehn Prozentpunkte verlor: "Häupls Strategie ist offenbar aufgegangen."

Die Ausgangspositionen waren für beide Amtsinhaber an sich gleich schlecht. Die allgemeine Stimmungslage sprach massiv für die oppositionellen Freiheitlichen, sagt Ennser-Jedenastik, geradezu wie in einem politikwissenschaftlichen Lehrbuch beschrieben: Wenn ein Thema einen Wahlkampf dominiere, bei dem einer Partei unangefochten die Kernkompetenz zugestanden wird, dann seien starke Zugewinne kein Wunder. Und in der Flüchtlingsfrage repräsentiere die FPÖ mit ihrer Haltung nun einmal einen riesigen Teil der Bevölkerung, "der über die eigene Wählerschaft deutlich hinausgeht".

Abgestraft für Regierung

Noch ein zweites Problem mache Rot und Schwarz zu schaffen, sagt Ennser-Jedenastik – und das, anders als die Flüchtlingsdebatte, nicht erst seit diesem Sommer. Seit Mitte der 80er-Jahre sei zu beobachten, dass jene Parteien, die in der Bundesregierung mit von der Partie sind, bei Landtagswahlen abgestraft werden. Dass die Performance des rot-schwarzen Kabinetts von Kanzler Werner Faymann (SPÖ) und Reinhold Mitterlehner (ÖVP) landläufig als besonders bescheiden gilt, verstärke diesen Effekt natürlich.

Nicht herumlaviert

Im Kern ist es ja auch so gekommen, wie es die politikwissenschaftliche Expertise vorhersah: Rot und Schwarz haben Stimmenanteile verloren, die Freiheitlichen gewonnen. Allerdings blieb der Abstand zwischen erstem und zweitem Platz weit größer als von Medien und Umfragen prognostiziert – von einem Duell um den Bürgermeistersessel war am Wahlabend keine Rede mehr.

Warum konnte Häupl den Abstand zum blauen Herausforderer Heinz-Christian Strache relativ groß halten? Häupl hat eines anders gemacht als Pühringer: Im Gegensatz zum Oberösterreicher lavierte er in der Flüchtlingsfrage nicht zwischen harten und liberalen Positionen, sondern nahm eine klare Haltung als Anti-Strache ein. Eine Alternative hätte er inhaltlich auch nicht gehabt, glaubt Ennser-Jedenastik. Die Wiener SPÖ stehe links von der Bundespartei, da sei ein Schielen nach rechts nicht drinnen.

Ennser-Jedenastik glaubt, dass Häupls Versuch der Polarisierung zwischen ihm und Strache letztlich doch viele Wähler zu den Urnen getrieben hat, die entweder gar nicht oder Grün wählen wollten: "Grüne Sympathisanten emotionalisiert eben kaum etwas so sehr wie ein drohender Vormarsch der FPÖ." Außerdem gebe es in Wien ja die Möglichkeit, mit halbwegs gutem Gewissen politisch "fremdzugehen", indem man seiner eigentlichen Herzenspartei dafür einfach auf Bezirksebene die Stimme gibt.

Leidtragende dieses Splittings sind – nicht zum ersten Mal in ihrer Geschichte – die Grünen auf Gemeindeebene, die Stimmenanteile eingebüßt haben.

Nicht überrascht hat Ennser-Jedenastik, dass die Erosion der ÖVP in Wien weitergegangen ist. Die Schwarzen leiden nicht nur unter der Performance der Bundesregierung, ohne im Gegensatz zu Häupl einen Amtsbonus lukrieren zu können, sondern auch unter ihrer strategisch misslichen Lage in Wien. "Sie sind in Wien gewissermaßen die unbedeutendste Partei", so der Experte. Die SPÖ stellt den Bürgermeister, die Grünen sitzen in der Regierung, die Freiheitlichen sind größte Oppositionspartei, die Neos haben den Nimbus des Neuen – aber welchen Grund gebe es für die Journalisten, auch noch bei der ÖVP anzurufen, fragt sich Ennser-Jedenastik: "Für die Wiener ÖVP interessiert sich niemand."(red, 11.10.2015)