Sportliche Offenheit: Porsche 911 Carrera 4 GTS

Foto: Guido Gluschitsch

In 4,2 Sekunden beschleunigt das GTS-Cabrio aus dem Stand auf Tempo 100.

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Rechts neben dem Ganghebel: Der Knopf der die Auspuffklappen bedient.

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Der GTS überflügelt den 911 Carrera S mit 430 PS aus dem 3,8-Liter-Boxer-Saugmotor. Kein Wunder also, dass der Stuttgarter die drei Buchstaben mit Stolz trägt. In den Armaturen, den Sitzen, am Heck und auf der Seite.

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Etwas mehr als 200.000 Euro blättert man für den Test-GTS hin, wenn man ihn neu kaufen möchte.

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430 PS offeriert der Saug-Boxer im Heck.

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Vorurteile sind etwas Herrliches – und nicht die hochnäsige Empfangsdame im Vorzimmer der Vernunft, wie Karl Heinrich Waggerl meinte. Vorurteile machen das Leben so viel leichter. Weil man schon weiß, wann man den Kopf fest zwischen die Schultern nimmt. Etwa wenn man mit dem offenen Porsche 911 Carrera 4 GTS daheim vorfährt, der Nachbar im Garten ist, und der Rotkehlchen-Modus immer noch aktiv ist.

Der Rotkehlchen-Modus ist jetzt keine Bezeichnung, die man bei Porsche intern verwendet. Es ist vielmehr eine, die in der Praxis gewachsen ist. Wenn man in der Mittelkonsole des 911er GTS den Knopf mit Auspuff drückt, dann klingt der Boxer auf einmal, als wäre er in den Endrohren genauso rot, wie er außen lackiert ist. Schwere Kehlkopfkrankheit mit räudigem Husten, Schlatzen und Räuspern.

Dreißiger-Zone

Wenn man also im Rotkehlchen-Modus die enge Gasse bei uns daheim rauffährt, dann donnert das so sehr, dass selbst die schwerhörige Frau zwei Häuser weiter die Balken ihrer Fenster schließt – wie bei jedem Gewitter. Und wenn der Nachbar im Garten ist, dann kann man davon ausgehen, dass er die Respektlosigkeit gleich mit liebgemeinten Ratschlägen wie "Do is a Dreißga!" quittiert. Ob er dB meint?

Und in der Tat. Bevor der Fehler bemerkt und die Klappen geschlossen sind, springt er regelrecht über sein Gartentürl. Er meint: "I wor no drinnen, gell, da hab i ghört, dass da was Scharfes kommt. Bin i glei auße. A Porsche. Geil."

Neid und Hoffnung

Einen Porsche mag ja in der Regel nur, wer einen hat, schon einmal einen gefahren ist oder entfernt die Hoffnung hat, einmal einen zu besitzen. Die anderen hassen ihn. Sagen sie halt. In Wirklichkeit frisst sie nur der Neid. Weil sie sich vorstellen können, wie herrlich es ist, in dem Boliden, wurscht wohin, zu fahren. Und recht haben sie.

Gerade beim 911er GTS trifft dieses "wurscht wohin" so perfekt wie bei keinem anderen Auto zu. Gut, eine ausgesetzte Almhütte sollt's jetzt nicht sein, außer es liegt genug Schnee auf dem Weg dorthin. Weil Gelände mag er nicht, der GTS, liegt er immerhin noch einmal einen Zanti tiefer als der Carrera S. Aber mit dem Allrad macht unser GTS-Cabrio im Schnee ziemlich genauso viel Spaß wie ein Allrad-Panda. Das versteht jetzt aber auch nur, wer den Panda schon einmal durch den strengen Winter geprügelt hat.

Grantiger Turismo

Der Seitenhalt in den Sitzen übrigens, der ist im Porsche dann wieder deutlich besser. Die Verarbeitung auch. Und Alcantara ist halt schon edler als Tupperware. Kurzum: Der GTS ist Luxus pur. Egal wo man hingreift, egal was man anschaut. Und dabei ist er auch noch herrlich sportlich. Fast giftig. Sagen wir grantig.

Zumindest wenn man die Sport-plus-Klaviatur drückt. Dann wird das Fahrwerk knochenhart und erzählt von jedem Kieselstein auf der Straße. Das Sieben-Gang-Doppelkupplungsgetriebe knallt die Gänge rein, als wären wir in Le Mans und der Auspuff rotkehlchelt. 430 PS. 440 Newtonmeter. 4,2 Sekunden von 0 auf 100. Spitze 301 km/h.

Segeln

Im Normal-Modus hingegen ist alles ganz entspannt. Das Fahrwerk ist luxuriös, im Schubbetrieb kuppelt der Motor aus, und der GTS segelt. Am Stand schaltet die Start-Stopp-Automatik dann den Motor ganz ab. Es ist, wie man sich die Fahrt in einem 201.967,28 Euro teuren Nobelhobel vorstellt, nur eben mit perfektem Handling und ehrlichem Feedback von Lenkung und Fahrwerk.

Ehrliches Feedback gibt's auch vom Friseur. Er dürfte damit rechnen, sich den Wagen in Kürze leisten zu können, so begeistert ist er. Cabrio sei sowieso perfekt, meint er, und greift ein zweites Mal in die Geltube.

Taunus Cabrio

In Wirklichkeit sind Cabrios ja ein automobiler Fehltritt. Die Kisten sind zu schwer und zu weich. So was braucht niemand, sagte die Angebetete. Bis sie im GTS saß und ihr der Fahrtwind um die Nase strich und Rotkehlchen ihr ein Lied trällerte. Knallhart und superfein. "Können wir den behalten? Cabrio haben wir noch keines, solange von deinem Taunus noch nicht das ganze Dach runtergerostet ist."

Wir können natürlich nicht. Weil dieser Wagen ist einfach viel zu teuer. Nicht für das, was er kann. Aber das, was er kann, passt eben nicht zum Familienbudget. Wir warten auf den Regen und die Metamorphose des Bestandes.

"Fährst du den auch im Winter", fragt tags darauf der Tankwart. "Er gehört nicht mir." Der Tankwart verzieht das Gesicht. "Schade. Steht dir gut." Verdammt. Neid und Vorurteile sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. (Guido Gluschitsch, 17.10.2015)