Der Afghane Zarif macht seit einem Jahr eine Lehre zum Maschinenbautechniker.

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Sie haben alle das gleiche Ziel: die Lehrabschlussprüfung zu bestehen. Doch der Weg dorthin war und ist für die 320 Lehrlinge im ÖBB-Lehrbetrieb in Wien-Floridsdorf unterschiedlich lang. Manche sind kilometerweit zu Fuß gegangen, um in Österreich ein besseres Leben zu finden.

Einer davon ist Zarif, der seit einem Jahr eine Lehre zum Maschinenbautechniker absolviert. Der 23-Jährige flüchtete 2010 alleine von Afghanistan nach Österreich. In Wien lernte er Deutsch, holte die Hauptschule nach und nahm an dem Projekt "Bildungswege" des Vereins Lobby 16 teil. Dieser unterstütze ihn unter anderem bei der Lehrstellensuche. "Ich habe zwar versucht, mich ohne Hilfe zu bewerben, aber ich habe nur negative Rückmeldungen bekommen", sagt Zarif.

Jedem eine Chance geben

Die ÖBB arbeitet seit 2012 mit Lobby 16 zusammen, derzeit bildet sie in Wien 36 Flüchtlinge aus – allein 29 davon in Floridsdorf. "Anfangs war es schwierig, das nicht als Sozialprojekt zu vermitteln und dass alle gleich gefordert werden", sagt Alois Grill, der für die Lehrlingsaufnahme in der Floridsdorfer Lehrwerkstatt zuständig ist. Besonders bei der Sprache mussten sich die Ausbildner anpassen, damit sie "keine Mundartausdrücke verwenden".

"Einige wollten am Anfang während der Arbeit in der Maschinenhalle beten, das geht natürlich nicht", sagt Grill. Aber mittlerweile sei das "kein Thema mehr, einige beten in der Mittagspause oder eben daheim". Die größte Schwierigkeit sahen Grill und seine Kollegen darin, wie die anderen Lehrlinge die Flüchtlinge aufnehmen würden. "Wir dachten, dass sich Gruppen bilden würden, aber das war nicht der Fall", sagt Grill. Die Jugendlichen würden heute sowieso so aufwachsen, "dass sie keine Berührungsängste mit Flüchtlingen haben".

Ein Vorteil sei, dass alle "gut Deutsch sprechen und gut vorbereitet zu uns kommen", sagt Grill. Normalerweise lässt er die Bewerber Tests über die Allgemeinbildung machen, um die Eignung zu überprüfen. Bei den Flüchtlingen sei das aber nur ein "kleiner Überblickstest", ansonsten würde Grill "zu viele Bewerber wieder verlieren". Das Ziel sei hier keine Auslese, sondern "jedem eine Chance zu geben". Die ÖBB ist einer der wenigen integrativen Lehrbetriebe, die auch Jugendliche aufnehmen, die es auf dem Arbeitsmarkt besonders schwerhaben – unter anderem sind das Flüchtlinge.

Unterschiede bei Asylstatus

All jene, die bei der ÖBB eine Lehre machen, haben entweder einen positiven Asylbescheid oder subsidiäre Schutzberechtigung – einen befristeten Abschiebeschutz, den auch Zarif erhalten hat. Dieser erlaubt den Flüchtlingen den vollen Zugang zum Arbeitsmarkt und somit eine Lehre in jedem Beruf.

Anders ist das bei Asylwerbern bis zum 25. Lebensjahr. Sie dürfen zwar eine Lehre machen, aber nur in Mangelberufen – etwa als Koch, Dachdecker oder Metalltechniker. Anfang Oktober hat die Regierung alle Mangelberufe für jugendliche Asylwerber zugänglich gemacht – zuvor waren es nur die Berufe mit Lehrlingsmangel.

Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl sieht das "sehr positiv". "Die Mangelberufsliste für die Beschäftigung von jugendlichen Flüchtlingen sollte an den realen regionalen Bedarf an Lehrlingen angepasst werden", sagt Leitl zum STANDARD. Die Liste der Mangelberufe fixiert jedes Bundesland für sich, daher fallen die Listen unterschiedlich aus. In Wien können deshalb Asylwerber auch eine Lehre im Einzelhandel, als Drogist oder Friseur machen – sofern kein österreichischer Bewerber für die Stelle gefunden wurde.

Auch in Hinblick auf den bevorstehenden Fachkräftemangel versucht die Wirtschaftskammer mit dem Pilotprojekt einer "überregionalen Lehrstellenvermittlung" jugendliche Flüchtlinge in eine Lehre zu vermitteln. Denn als Problem erweist sich "der regionale Missmatch zwischen Lehrstellensuchenden und Lehrstellen", sagt Leitl dem STANDARD. Ende September waren 5.335 jugendliche Flüchtlinge beim AMS gemeldet, zwei Drittel davon in Wien. Die Zahl der offenen Lehrstellen ist aber im Westen Österreichs besonders hoch. "Angebot und Nachfrage hier zusammenzubringen ist eine Win-win-Situation für alle. Vor allem vor dem Hintergrund der hohen Arbeitslosenzahlen", sagt Leitl.

Übernahme sehr wahrscheinlich

Die Zukunftsperspektive und die Jobsicherheit waren für Zarifs Klassenkollegen Zainolah ein Grund, die Lehre als Maschinenbautechniker bei der ÖBB zu beginnen. "Es ist wichtig, dass ich eine Ausbildung habe", sagt der 22-Jährige. Studieren würde ihm eher schwerfallen, daher wollte er "etwas Handwerkliches" machen. "Den ganzen Tag im Büro zu sitzen finde ich langweilig", sagt Zainolah, der in Afghanistan bis zur sechsten Klasse die Schule besuchte und dann als Maurer gearbeitet hat.

In Österreich holte er die Pflichtschule nach. Im Rahmen des Projekts Jawa des Wiener Integrationshauses, das jugendlichen Flüchtlingen Deutschkurse, Berufsorientierung und Hilfe bei der Lehrstellensuche bietet, lernte er August Bruckner kennen. Bruckner ist ehrenamtlicher Mentor beim Integrationshaus – und Mitarbeiter bei der ÖBB. "Ich bin also per Zufall auf die ÖBB gestoßen", sagt Zainolah, der mittlerweile ein "richtiger Eisenbahner" ist: Er lebt in einer Wohnung der ÖBB.

Nach der Lehrabschlussprüfung will Zainolah ein Spezialmodul in der Lehrwerkstätte absolvieren, in dem er sich als Maschinenbauer auf Eisenbahnberufe spezialisieren kann. Dann möchte er bei der ÖBB unterkommen. Die Chancen dafür stehen gut. "Etwa 80 Prozent der Lehrlinge werden von der ÖBB übernommen", sagt Grill. Bereits im Februar schließen fünf zum Maschinenbauer oder Elektrotechniker ausgebildete Flüchtlinge die Lehre ab. Die Übernahme sei noch nicht fix, aber "sehr wahrscheinlich".

Kein Abschiebeschutz durch Lehre

"Es war gut, dass wir mit dem Projekt klein angefangen haben", sagt Grill. So konnten sie sukzessive mehr Flüchtlinge in die Ausbildung aufnehmen und an der Organisation feilen. Etwa müsse Grill darauf achten, dass der Asylstatus der bewerbenden Flüchtlinge auch nach der Bewerbungsphase gegeben ist. "Einige bekommen schon vor dem Lehrantritt einen negativen Bescheid."

In Österreich gibt es derzeit keinen Abschiebeschutz für jugendliche Flüchtlinge in einer Ausbildung. Im Juli trat eine Novelle des Ausbildungsgesetzes in Kraft, die besagt, dass Asylwerber ihre Lehre abbrechen müssen, sollten sie einen negativen Bescheid bekommen. Bis dato gab es im Gesetz keine Regelung, dass das ein Grund für das Ende einer Ausbildung ist. "Die Novelle hat nicht zu einer Verschärfung der Rahmenbedingungen geführt. Sie regelt, dass das Lehrverhältnis auch formal beendet werden kann", sagt Leitl.

Lobby-16-Geschäftsführerin Veronika Krainz sieht hier keine Gefährdung für die Asylwerber, denn: "Eine Ausbildung ist sicher ein gewichtiges Argument für die Erteilung eines Bleiberechts. Insofern hilft es, wenn auch junge Asylwerber eine Lehre machen." (Selina Thaler, 19.10.2015)