Zachary Jernigan: "Shower of Stones"
Gebundene Ausgabe, 256 Seiten, Night Shade Books 2015
"Hello, corpses." Das ist doch mal der richtige Oneliner, mit dem man einem schwerbewaffneten und zahlenmäßig überlegenen Feind allein gegenübertritt. Und er kommt nicht mal aus dem Mund derjenigen Figur in Zachary Jernigans Roman "Shower of Stones", die wie Hellboy aussieht, sondern von einem ganz normalen Menschen. Na, so einigermaßen normal zumindest, aber alles der Reihe nach.
Welt der Wunder
Mit "No Return" hat Jungautor Zachary Jernigan aus den USA vor zwei Jahren ein ungewöhnlich kraftvolles Romandebüt in der Fantasy hingelegt und eine Welt entworfen, die an die fantastischen "New Gods"-Comics von Jack Kirby erinnert: Mit Magiern, die sich mit Zaubersprüchen und sigillenüberzogenen Lederanzügen in den Weltraum katapultieren, und einem Gott, der im Orbit mit Himmelskörpern herumspielt und dennoch nur allzu menschliche Seiten aufweist (was keineswegs rein positiv gemeint ist).
Es ist eine Welt an der Grenze von Science Fiction und Fantasy. So beruht die gesamte Zivilisation des Planeten Jeroun – ganz wie die unsere – auf der Nutzung einer fossilen und langsam zur Neige gehenden Ressource. Nicht Öl allerdings, sondern die versteinerten Überreste der elders: titanischer Intelligenzwesen, die vor den Menschen auf Jeroun gelebt und Bauwerke in der Dimension von Gebirgen hinterlassen haben. Plus wie gesagt ihre Körper, aus denen die Menschen Substanzen für jeden erdenklichen Zweck gewinnen, von der Lebensverlängerung bis zum Antrieb thaumaturgischer Motoren.
Und weil diese Fantasy-Welt so sehr in die SF lappt, argwöhnt man auch entsprechende Ursprünge. Gemäß ihrem Schöpfungsmythos soll die menschliche Spezies einst aus metallenen Eiern geschlüpft sein. Zieht man jahrtausendelange mythologische Verbrämung einmal ab, könnten dann damit etwa Raumschiffe gemeint gewesen sein?
Es wird silmarillig
In der Fortsetzung von "No Return" weitet Jernigan die zeitliche Perspektive erheblich aus. Zum einen ist der Roman in einen Rahmen von Prolog und Epilog eingebettet, in denen einige Personen in einer fernen Zukunft aufeinandertreffen, die offenbar schon ungezählte Male wiedergeboren wurden – und ihr erstes Leben fand auf Jeroun statt. Sie scheinen zur Hälfte konkrete Menschen, zur Hälfte personifizierte Erzählmotive zu sein, die in der menschlichen Geschichte immer wieder als Archetypen auftauchen. Um wen genau es sich dabei handelt, wird man erst am Ende verstehen.
Der eigentliche Roman beginnt "Silmarillion"-mäßig und mit einem großen Sprung zurück: Einige zehntausend Jahre vor den Geschehnissen von "No Return" ist es Adrash, dem Gott von Jeroun, zum ersten Mal langweilig geworden. So erschafft er sich einige Halbgötter als Kinder – allen voran den kämpferischen Shavrim Thrall Coranid (dessen Optik an Hellboy denken lässt). Das Wort Kinder sollte man allerdings nicht überbewerten: "Vater", "Sohn" und dessen später hinzukommende "Geschwister" leben in einer inzestuösen Beziehung, wie es bei Göttern und Targaryens halt so Brauch ist.
Bald aber gibt es Knatsch, denn Adrash ist ein launischer Gott, der einige Anzeichen einer bipolaren Störung aufweist (the madness of divinity, wie es hier heißt). Dass er nach Lust und Laune die Zivilisationen der Menschheit aufbaut, manipuliert und wieder zerstört, stößt Shavrim sauer auf, und so kommt es schließlich zu einer epischen Schlacht zwischen dem Schöpfer und seinen fünf Kindern. Nur Adrash selbst und, im Verborgenen, Shavrim werden diese überleben. Und damit springen wir zurück zur Gegenwartsebene.
Die Fantastischen Vier
Hier sind die drei Hauptfiguren des ersten Bands mittlerweile zu einer durch Liebe oder Freundschaft eng verbundenen Gemeinschaft geworden: der Martial-Arts-Könner Vedas Tezul, die Kriegerin "Churls" Casta Jon und der metallene Android Berun. Zur Hauptfigur ist nun auch Fyra aufgerückt, Churls' tote Tochter, die sich von einem melancholisch herumwabernden Gespenst zu einer beeindruckend mächtig gewordenen Akteurin weiterentwickelt hat.
Alle vier müssen sich erst mal aus dem Chaos retten, das Vedas anrichtete, als er öffentlich zur Rebellion gegen Adrash aufrief. Dabei werden sie von Shavrim aufgelesen, der sich anschließend mit ihnen auf die finale Schlacht gegen Adrash vorbereitet: So schnell lässt sich die eigentliche Handlung zusammenfassen. Aber natürlich enthält der Roman viel mehr.
Die wichtigsten Motive
Das Hadern mit Gott beziehungsweise dem Glauben ist eines der Leitmotive der Jeroun-Romane. Wir finden es schon bei Shavrim wieder, der die Gedanken seines Vaters/Liebhabers/Gottes weniger und weniger ergründen konnte und sich deshalb gegen ihn erhob. Den ProtagonistInnen von "Shower of Stones" wird viel Zeit für Nachdenklichkeit gegeben, und Berun wird die vielleicht zentrale Frage des Romans aufwerfen: Nämlich ob jede Welt da oben am Himmel einen Gott habe, von dem sie sich befreien muss, um erwachsen werden zu können.
Um Selbstbehauptung ging es bereits im ersten Band, und das setzt sich nun in neuer Form fort, nicht nur im Kampf gegen Adrash. So versuchen sich etwa Shavrims tote Halbgöttergeschwister der Körper von Vedas und Churls zu bemächtigen, um Shavrim zu unterstützen. Da wollen die Menschen allerdings auch noch ein Wörtchen mitreden. Und für Berun hat Selbstbestimmung eine ganz eigene Bedeutung: Er ist ja letztlich ein magisches Gerät, sein Schöpfer ein Mensch, der ihn kontrollieren kann, wenn Berun keinen Weg findet, sich zu wehren.
Haut, Fleisch und Blut
Und ganz charakteristisch für die Jeroun-Romane ist auch ihre extreme Körperlichkeit. Was nicht nur Sex und Kampf bedeuten muss wie im ersten Band, sondern in vielfältigster Form in der Erzählung auftaucht: Von den letztlich leichenfledderischen Grundlagen der jerounschen Zivilisation bis zur Beschreibung Shavrims als zuckendes Muskelbündel oder eines abgestürzten Magiers, der beim Wiedereintritt in die Atmosphäre so aufglüht, dass man beim Lesen Brandgeruch in der Nase spürt. Nicht zu vergessen auch Vedas' hautenger Kampfanzug, der ihn wie eine Manifestation seiner lebenslang antrainierten Abschottung umhüllt – jedes Stückchen Haut, das er für Churls freigibt, wird damit auch zu einer Entblößung seiner Seele.
Oder nehmen wir diese Beschreibung eines Drachenritts: (...) the exhilarating drop of her gut as the wyrm rose in mammoth surges, its wings snapping like ship sails – the spaceless, agreeably nauseating moment of freefall during each upthrust – the wind warm but cutting over her scalp, in her eyes, pushing her first one way in the saddle and then the other, now and then slamming into her as though trying to toss her out into space – and over it all, the sound of breathing, titanic and utterly inhuman. No shift from inhalation to exhalation, just one long sustained howl of air sucked into the creature's cavernous lungs, a roar that filled every open space in Churls's body, forcing the awareness of her own fragility.
Bitte mehr!
Zachary Jernigans Spielart von Fantasy ist ebenso kraftvoll wie poetisch, voller neuer Ideen und Bilder. Da Körperlichkeit und (Selbst-)Reflexion ja keineswegs ein Widerspruch sein müssen, wird hier auch sehr viel nach innen geschaut. So viel, dass das Tempo deutlich geringer ist als im ersten Band. Die längste Zeit dachte ich daher, dass "Shower of Stones" ein eindeutiges "Middle-Book" sei – bis zu meiner großen Überraschung die Handlung dann tatsächlich doch schon zu einem Abschluss gebracht wurde. Keine Trilogie??? Im Prinzip nichts dagegen zu sagen – aber weitere Jeroun-Romane dürfen Sie schon noch gerne schreiben, Mister Jernigan!