Das Bild mit den Schwammerln zeigt Christof Innerhofer gerne her. Veröffentlicht will er es "lieber doch nicht" wissen. Nicht, weil er sich dafür geniert: "Pilze sammeln" steht auf seiner Homepage unter "Hobbys" gleich neben Radfahren, Fischen – sowie "Börse und Aktien". Das mag für Außenstehende auf den ersten Blick vielleicht weder zusammen- noch zu einem Skifahrer passen, aber für Innerhofer ist es stimmig: "Mir geht es ums Gewinnen."

Auch beim Schwammerlsuchen? Sicher! Auf dem Foto, das der Pustertaler am Smartphone abruft, ist ein Sieg dokumentiert: "Das sind 20 Kilo." Sein Rekord liegt bei 40 Kilogramm. Und die Gegner? "Meistens mein Vater. Oder Freunde. Ich renne im Wald die doppelte Strecke – und habe eine Strategie." Selbst wenn der 1,86 Meter große Hüne aus Bruneck beim Erzählen von diesen "Rennen" grinsen muss, taugt die Schwammerl-Geschichte als Metapher: Wenn Christof Innerhofer etwas tut, dann ganz. Er ist bereit, mehr Energie als der Gegner zu investieren – und er hat einen Plan. Fast immer geht er auf.

Christof Innerhofer wurde 1984 in Bruneck geboren. Er ist Weltmeister im Super-G und holte 2014 in Sotschi zwei olympische Medaillen.
Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Die alpine Karriere des 30-Jährigen lässt sich trotz Verletzungen und Rückschlägen seit seiner Kindheit stringent und geradlinig verfolgen. Bis hin zu den zwei Olympiamedaillen von Sotschi 2014 (Silber in der Abfahrt, Bronze in der Superkombination).

Innerhofer ist ein Star – auf und abseits der Rennstrecken. Nicht nur in seiner engeren Heimat Südtirol, sondern weltweit. Und das nicht ausschließlich wegen seiner sportlichen Erfolge: Innerhofer lacht zwar, wenn man ihn den "David Beckham des Skifahrens" nennt, aber ein bisserl was ist dran. Schließlich ist er ein männliches Supermodel und eines der Gesichter von Armani. Er modelt und posiert für die Armani-Linie EA7. Und stand zuletzt 2014 weltweit in 1200 Intimissimi-Outlets in Lebensgröße in der Auslage. "Das Wäsche-Label stellt Shops nur an Orte, an denen täglich mindestens 200.000 Passanten vorbeikommen. Diese Reichweite zählt mehr als jeder Sieg", sagt Innerhofer, wenn er über Strategien und Pläne spricht. Und weiß, dass diese auch weiterhin aufgehen werden.

Skifahrendes Model

Seit 2015, analysiert Innerhofer, könne er die Frage, ob er "modelnder Skifahrer oder skifahrendes Model" sei, mit "B" beantworten. Bloß wäre das eine rein ökonomische, aber keine emotionale Antwort. Die müsste lauten: "Skifahren ist meine Leidenschaft." Auch auf seine Rennkarriere bezogen: "2022, bei den Olympischen Winterspielen in Peking, bin ich 37. Das könnte sich ausgehen." Skifahren steckt dem "Südtiroler Sportler des Jahres 2013" in Knochen, Herz und Kopf, in keinem Gespräch führt ein Weg daran vorbei.

Schon gar nicht, wenn Innerhofer von Werten spricht. Von Familie. Von Heimat. Von seiner persönlichen Geschichte und der Metaebene des Skifahrens. Das gehört nämlich zusammen. Skifahren sieht der frühere Zollwachebeamte auch als sozialen Kitt. Als Antidot gegen Vereinzelung, Familienzerfall und juveniles Couchpotatoe-Konsolenjunkie-Dasein. Er sagt das ohne Pathos oder Zeigefinger, sondern so, wie er Skifahren in Bruneck von klein auf erlebt hat: "Der Berg ist der beste Ort, um etwas gemeinsam als Familie zu erleben. Bei uns Kindern war das so: im Winter mit der Familie Ski fahren, im Sommer wandern. Da ist man wirklich zusammen. Im Schwimmbad rennt ja jeder irgendwohin – und später geht man gemeinsam heim."

2014 modelte er unter anderem für Armani und Intimissimi.
Foto: Manuel Ferrigato

Die Zeit am Berg, das Skifahren als Kind, sei "Familienzeit" gewesen. Aktive Zeit. Zeit, in der seine Eltern ihm Werte vermitteln konnten – und in der aus einer malerischen Kulisse Heimat wurde. Eine Zeit, in der Skifahren gefühlt mehr war als bloß die Cashcow der Alpen, "ohne die heute ganze Täler kollabieren würden": ein emotionaler, ein kultureller Wert, dessen Weitergabe sich Innerhofer in genau dieser Form zur Aufgabe gemacht hat.

Zwischen dem Skifahren heute und dem Skifahren seiner Kindheit gäbe es auch faktisch gewaltige Unterschiede. Das beginnt beim Material und führt schnurstracks zur Technik: "Ich finde es toll, dass heute so viele vom Snowboard zum Skifahren zurückkommen. Carvingski machen das Skifahren viel einfacher." Wobei es eine kleine, aber wichtige Einschränkung gäbe: "Unser Skifahren – das im Spitzensport – hat mit normalem Skifahren kaum etwas gemein." Das beginne mit der "Hardware", den Skiern: "Ich glaube nicht, dass es viele Hobbyskifahrer gibt, die mit einem echten Rennski Spaß hätten."

Zwang zu Größe

Doch auch wenn die Athleten und der Rennzirkus die Zugpferde einer ganzen Industrie sind, bleibt ihm die Zerreißprobe, vor der der alpine Wintersport heute steht, nicht verborgen: "Skifahren ist für Familien, für den Mittelstand extrem teuer, oft schon unfinanzierbar geworden." Schuld daran seien weniger nimmersatte Hoteliers und Liftbetreiber als vielmehr "externe" Faktoren. Allen voran der Klimawandel, aber auch der vermeintliche Zwang zu Größe und Eventismus. Mit Letzterem hat Innerhofer wenig am Hut: Die normierten Après-Ski-Megaevents der "Generation Ballermann" nimmt er zwar wahr, aber er nimmt nicht daran teil. "Ich bin Sportler, das passt nicht zusammen", sagt er.

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Foto: AP/Luca Bruno

Innerhofer warnt vor Gleichmacherei und Megalomanie. Allein der Blick auf "seine" Region – das Pustertal – beweise, dass Authentizität, Persönlichkeit und Emotion langfristig die besseren, weil nicht austauschbaren Konzepte sind. Südtirols Skigebiete, meint Innerhofer, spielen ein anderes Lied – ein Heimatlied: "Es geht um das, was einzigartig ist. Um Alleinstellungsmerkmale. Um das Besondere, das Urige: Nur das verleiht Identität – und dafür gibt es echte Wertschätzung." Gegen das Aufgeriebenwerden im Konzert der Megaskiresorts empfiehlt er: "Vernetzung und Zusammenschlüsse von kleinen Gebieten." Also Intelligenz und Herz gegen schiere Größe. Dennoch weiß er: "Größe gibt Sicherheit. Mit der Finanzpower, die bei den Riesenresorts im Hintergrund steht, durchtaucht man auch einen schneearmen Winter."

Schneesicher

Da ist es schließlich, das Wort: "schneearm". Ein Menetekel. Die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen, betont der Skifahrer, wäre irrsinnig: "Das Wetter wird immer verrückter. Die Höhe und Lage von Skigebieten werden mehr und mehr zum Faktor." Zwischen "schneesicher" und "schneearm" läge geografisch gesehen oft nur ein Katzensprung: "Wenn ich bei uns Speikboden und Kronplatz vergleiche, herrschen dort mittlerweile extrem unterschiedliche Bedingungen – obwohl die beiden Skigebiete nicht einmal 20 Kilometer trennen."

Foto: Manuel Ferrigato

Dass die von Touristikern geforderten Schneegarantien dauerhaft gegeben und per Kunstschnee aufrechterhalten werden können, bezweifelt der Alpinstar, der sein Geld unter anderem in Windkraftanlagen investiert. Auch wenn "die technische Entwicklung dorthin geht, dass man bald bei zehn Grad plus noch Schnee machen kann". Bloß: Einen Plan B habe keiner. Nicht nur in Südtirol gibt es Täler, die ohne Wintertourismus kaum überleben könnten.

Nie mit Fahne

Bei einer einzigen Frage gibt sich der Brunecker zurückhaltend: Wie ist denn sein Verhältnis zu Italien und Südtirol? "Man wird mich nie mit einer Fahne posieren sehen", sagt er. Und auf Nachfrage: "Das Thema ist für viele Menschen hier immer noch extrem heikel. Ich verhalte mich da absolut neutral und halte mich aus allen Diskussionen raus."

Daran ändere auch nichts, dass er als polyglotter Weltreisender weit über regionale und nationale Grenzen hinweg zu schauen gelernt habe: "Es gibt hier Menschen, die ihr Tal nie verlassen und das Gefühl haben, weit gereist zu sein. Das respektiere ich." Obwohl sein Verständnis von dem, was alles den Begriff "zu Hause" zu einem Wert macht, heute ganz anders genährt wird: "Manchmal muss man von daheim weggehen, um beim Zurückkehren zu erkennen, was Heimat eigentlich bedeutet." (Thomas Rottenberg, Rondo Spezial, 7.1.2016)