Eine Woche mit Mama zur Schule, eine mit Papa.

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Ein Leben an zwei Lebensmittelpunkten – das soll Scheidungskindern künftig auch rein rechtlich möglich sein. Bisher mussten sich Eltern trotz gemeinsamer Obsorge für einen Wohnsitz entscheiden.

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat damit der sogenannten Doppelresidenz von Scheidungskindern die Tore geöffnet. Oder, besser gesagt: Er hat festgestellt, dass die Tore schon bisher offen waren, nur wurden sie von den Gerichten nicht genützt, weil die Rechtslage unklar war.

Frauenministerin hatte Veto eingelegt

Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) hatte bei der Reform der gemeinsamen Obsorge darauf bestanden, dass das Kind trotz Pendelns zwischen den Elternteilen weiterhin fix einem Haushalt zugeordnet ist. Denn sie befürchtete, dass alleinstehende Frauen beträchtliche Einkommenseinbußen hinnehmen müssten, falls es zwei Wohnsitze gäbe. So mancher Vater, so die Vermutung, könnte verlangen, dass er weniger Unterhalt zahlen muss, weil das Kind ja die halbe Zeit bei ihm wohne.

Die Verfassungsrichter sagen nun, dass das Gesetz Doppelresidenzen nicht ausschließen darf. Das Kind solle zwar weiterhin an einem Ort hauptgemeldet sein, das sei aber eine rein formale Sache – schließlich brauche es einen Hauptwohnsitz, um beispielsweise den Wahlsprengel festzulegen. Der Hauptwohnsitz bestimmt aber auch, wo staatliche Unterstützungsleistungen wie die Familienbeihilfe landen.

Genau das dürfte in Zukunft für Konflikte sorgen. Auch, wie der Unterhalt künftig bemessen wird, wenn das Kind zur Hälfte beim unterhaltszahlenden Elternteil lebt, bietet Stoff für Streit. Der VfGH ging auf diesen Punkt nicht ein.

"Sollte die Frage des Unterhaltsrechts bei uns landen, werden wir uns natürlich auch damit auseinandersetzen", sagt VfGH-Präsident Gerhart Holzinger. Voraussetzung ist aber, dass sich ein betroffenes Paar oder ein Gericht mit dieser Frage an den VfGH wendet. Es wird also noch einige Zeit dauern, bis es auch hier zu einer Klärung kommt.

"Betrifft eine Minderheit"

Holzinger räumte ein, dass die Doppelresidenz "nur eine Minderheit der Fälle" betreffe. Anders gesagt: In den meisten Fällen liegt die Hauptlast der Kinderbetreuung bei der Mutter.

Zur aktuellen Entscheidung war es gekommen, weil das Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen den VfGH um eine Aufhebung des geltenden Gesetzes ersucht hatte. Dieses mache Doppelresidenzen unmöglich, so die Argumentation.

Die Verfassungsrichter verneinen das: Im Gegenteil, meinen sie: Es wäre sogar verfassungswidrig, das Gesetz so zu interpretieren, dass es Doppelresidenzen ausschließe. Man müsse einem Kind zwei Lebensmittelpunkte gewähren, "wenn dies aus Sicht des Gerichts für das Kindeswohl am besten ist". Umstrittene Entscheidungen sind – wie immer imFamilienrecht – programmiert. Denn ein Gericht kann auch dann pro Doppelresidenz entscheiden, wenn zu diesem Thema keine Einigkeit zwischen den Elternteilen herrscht.

Bisher hatten die Gerichte keine eindeutige Richtschnur gehabt, wie mit dem Gesetz umzugehen ist, da es vom Obersten Gerichtshof keine Entscheidung zur Doppelresidenz gab. Der VfGH will mit dem Spruch nun dazu beitragen, die Rechtsprechung zu vereinheitlichen. (Maria Sterkl, 23.10.2015)