Bild nicht mehr verfügbar.

Viel Papier, wenig Organisation: Die Stimmauszählung in einer Sportarena in Sofia wurde am Montag zum Desaster. Wahlhelfer konnten ihre Listen aus den verschiedenen Wahlbüros nicht abgeben. In der Halle gab es nicht genug Wasser und Essen.

AP / Valentina Petova

Bild nicht mehr verfügbar.

U-Bahneröffnung in Sofia: Premier Borissow (Mitte) und Bürgermeisterin Fandakowa (3. von re.) im vergangenen April in der neuen Station beim Flughafen Sofia.

EPA / Minko Chernev

Sofia/Wien – 17 Stunden nach Wahlschluss, es ist schon Montagmittag, rückt die bulgarische Polizei aus und versucht das Chaos in der "Armee-Arena", einer neuen Sport- und Kongresshalle in Sofia, zumindest mittels Kordon einzugrenzen. Drinnen werden immer noch Stimmzettel gezählt, Mitarbeiter werden ohnmächtig nach einer Nacht ohne Wasser und Sandwiches; andere warten immer noch darauf, ihre Ergebnisse aus den Wahlbüros abzugeben und skandieren Protestrufe gegen die Wahlleitung. Keiner darf hinaus.

Jordanka Fandakowa und Dimitar Nikolow waren aber zumindest die politischen Helden der Wahlnacht. Die Bürgermeisterin von Sofia und ihr Kollege in der bulgarischen Hafenstadt Burgas sind gleich in der ersten Runde mit großem Abstand für eine dritte Amtszeit gewählt worden – die eine mit 60, der andere mit über 80 Prozent der Stimmen. Beide gehören der konservativen Regierungspartei Gerb von Premier Boiko Borissow an, die sich wie erwartet bei den Kommunalwahlen am Sonntag als stärkste Kraft in Bulgarien behauptete.

Fandakowa im Aufwind

Fandakowa, eine Russischlehrerin während des Sozialismus und spätere Schuldirektorin, gilt – im Gegensatz zur staatlichen Wahlkommission – als erfolgreiche Managerin. Eine ganze Reihe von Sanierungen und Neubauten in der Hauptstadt Sofia, darunter der U-Bahnanschluss zum Flughafen – die meisten in diesem Wahljahr, spotten manche Sofioter. Die Wahlbeteiligung soll in der Hauptstadt besonders niedrig gewesen sei. 32 Prozent, so gab ein Vertreter der Zentralen Wahlkommission in der Nacht zu Montag an. Landesweit waren es 43 Prozent. Fandakowa wäre zusammen mit Iwan Iwanow (1934-1944) und dem von Affären geplagten Stadtchef Stefan Sofianski (1995-2005) einer der am längsten regierenden Bürgermeister in Sofia, wenn sie ihre dritte Amtszeit zu Ende bringt. Die 53-Jährige, die 2009 Boiko Borissow im Rathaus nachfolgte, gilt derzeit aber auch als die aussichtsreichste Kandidatin für das Amt des Staatspräsidenten bei der Wahl in einem Jahr.

Bürgermeister der Regierungspartei Gerb (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens) setzten sich auch in den anderen wichtigsten Städten des Landes wie Warna, Weliko Tarnowo und Stara Zagora durch. In Plowdiw, der zweitgrößten Stadt des Landes, steht Amtsinhaber Iwan Totew (Gerb) in der Stichwahl gegen den früheren Bürgermeister Slawtscho Atanasow, einen Nationalisten.

Spekulationen über "Türkenpartei"

Während politische Beobachter den Ausgang der Wahlen als Bestätigung der von Borissow geführten Koalition werteten, war das Abschneiden der Wirtschaftspartei DPS (Bewegung der Rechte und Freiheiten) mit Aufmerksamkeit verfolgt worden. 68 Prozent der türkischstämmigen Bulgaren und 34 Prozent der Roma wählten DPS, so hieß es in der Wahlnacht von Demoskopen beim Sender TV7. Die Zahlen sind mit Vorsicht zu behandeln, da sich die Minderheiten in Bulgaren nicht immer zu erkennen geben wollen. Landesweit lag die DPS mit rund 15 Prozent erneut knapp hinter den Sozialisten der BSP (17 Prozent). Gleichwohl hält sich die Auffassung, die DPS würde bewusst auf die Rolle als zweite Kraft in Bulgarien verzichten und ihre Wähler entsprechend dirigieren. "Einmal mehr war die Bewegung in der Lage, ihren tatsächlichen Einfluss zu begrenzen", schrieb Antoni Galabow im vielgelesenen Nachrichtenportal Offnews: "Niemand zweifelt, dass die Bewegung die notwendigen Ressourcen hat, um die zweite politische Kraft zu werden."

Schmaler Erfolg für Plewneliew

Abgestimmt haben die Bulgaren bei dieser Wahl auch über die Einführung der elektronischen Stimmabgabe. Es war einer von drei Vorschlägen, die Präsident Rossen Plewneliew nach den Straßenprotesten 2013 ursprünglich zum Referendum machen wollte; für die Einführung einer Wahlpflicht und die Wiedereinführung eines teilweisen Mehrheitswahlrechts fand Plewneliew allerdings auch in der eigenen Partei keine rechte Unterstützung. Die bis zum Sommer 2014 regierenden Sozialisten und DPS-Liberale lagen ohnehin im Clinch mit dem Präsidenten. 73 Prozent der abgegebenen Stimmen am Sonntag waren für das E-Voting, auch mehr als 90 Prozent der bulgarischen Wähler im Ausland sprachen sich dafür aus. Doch da die Wahlbeteiligung so niedrig war, wird das Referendum nur zur weiteren Debatte ins Parlament geschickt; bindend ist es nicht.

Mindestens ebenso viel Aufsehen wie die Wahl und die gefangenen Stimmzähler erregte Wolen Siderow, der Chef der rechtsextremen Ataka. Er war mit Kumpanen in der Wahlnacht zum zweiten Mal in einer Woche in die Nationale Akademie für Theater und Film gestürmt, um sich mit Studenten und Professoren anzulegen. Der Rechtsradikale behauptete unter anderem, in der Akademie werde Marihuana verkauft. Die Polizei führte den rechten Stoßtrupp ab, Siderow ließ sich im Spital untersuchen, und der Generalstaatsanwalt beantragte einmal mehr die Aufhebung der Immunität des Ataka-Chefs. (Markus Bernath, 26.10.2015)