Alfred Roscher ist nun im Management tätig. Er trägt Anzug, Krawatte und Bart.

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Roscher und Innsbrucker Teamkollegen im Panini-Album 1983.

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Wien – Alfred Roscher ist ungefähr so aufgeregt wie ein Traktor nach der Ernte. Der Mann ruht in sich, sagt: "Mir geht es gut, ich lebe nicht in der Vergangenheit. Alte Geschichten aufwärmen kann doch kein Lebensinhalt sein." Die Matte im Gesicht, sein Markenzeichen als Fußballer, ist geblieben. Allerdings mit Einschränkung. Jeden Montag, sofern er nicht vergisst, kommt der früher schwarze, mittlerweile graue Vollbart weg. Das heißt, der Wiedererkennungswert ist am Sonntag am größten. "Ich war immer zu faul zum Rasieren." Ob der Anblick einst die gegnerischen Verteidiger geschreckt hat, weiß Roscher nicht – kann, muss aber nicht sein. "Ich war kein Jahrhundertfußballer, es hat bessere gegeben. Meine Stärke war, dass ich vor nichts Angst gehabt habe."

Roschers Kampfgewicht betrug 86 Kilo, aufgeteilt auf 1,87 Meter. Die Größe hat er gehalten ("obwohl man im Alter schrumpft"), das Gewicht gesteigert. "Aber richtig blad bin ich nicht geworden." Roscher trägt Anzug, das Outfit ist dem Beruf geschuldet. Er ist im Management der Firma Securitas tätig, er betreut große wie kleine Kunden, ist für 250 Mitarbeiter zuständig. "Die Branche boomt, das Bedürfnis nach Sicherheit wächst." Er selbst ist nie in der Finsternis auf der Straße gestanden, hat weder Botschaften im Schneesturm noch Banken im Sommergewitter bewacht. "Ich bevorzuge das trockene Büro." Der Fußball, sagt Roscher, sei eine Lebensschule gewesen. "Man lernt, mit Menschen umzugehen, man lernt, teamfähig zu sein. Und man lernt das Verlieren. Das ist ganz, ganz wichtig. Siege und Tore sind nur Emotionen, wunderbare Emotionen, die aber rasch vergehen."

Ein Arbeiterkind

Alfred Roscher wurde am 11. November 1959 in Wien geboren. In Simmering, das ist der elfte Hieb. Eine typische Arbeiterfamilie, die Mama jobbte bei der Pensionsversicherung, der Papa im Lager. Die Eltern ließen sich früh scheiden, Alfred und sein Bruder wuchsen bei der Mama auf. Die meisten Karrieren begannen damals im Käfig, es gab unzählige in Wien. Alfred und der Ball waren unzertrennlich. "Sensibel durftest du nicht sein, man musste im Park kämpfen."

Die Mama hat die sportlichen Ambitionen unterstützt, zumal der Bub brav in die Schule gegangen ist, er hat später sogar die Lehre zum Versicherungskaufmann abgeschlossen. Als Sechsjähriger wurde er zur Wiener Austria geschickt, damit das Ganze eine Ordnung bekommt. Der Opa hat ihn zum Training geführt, das Enkelkind hat sich vom Vorstopper zum Stürmer gemausert. Mit 17 bekam er den ersten Profivertrag, das Fixum betrug 1.500 Schilling. "Was heute wenig ist, war damals viel."

Karl Stotz war der Trainer, dummerweise war die Austria Ende der 1970er großartig bestückt. Morales, Parits, Pirkner, Prohaska, um nur einige zu nennen, standen Roscher ein bisserl sehr im Weg. 1978 wurde er zwar Meister, allerdings hatte er nur einen Kurzeinsatz. "Mein Beitrag war derart gering, dass ich kein Meister bin." 1979 suchte er sein Glück bei der Vienna, nach dem Abstieg, der ein Pech war, wechselte er zum Sportclub. Die Karriere kam 1982 so richtig ins Rollen. SSW Innsbruck benötigte einen bulligen Stürmer, Alfred Roscher passte ins Anforderungsprofil. Von der Wiener Vorstadt in die Tiroler Berge, ein breiter Weg – "wunderbar".

Trainer Franz Wolny wurde von Felix Latzke abgelöst. Der 3. Oktober 1984 sollte der Höhepunkt in Roschers Laufbahn werden. Uefa-Cup gegen Real Madrid, das Hinspiel wurde 0:5 verloren, das Heimspiel musste trotzdem ausgetragen werden. Es schüttete, das Tivoli war nicht einmal halb gefüllt. "Sauwetter ist eine Untertreibung." Der pudelnasse Roscher jedenfalls erzielte beide Tore zum 2:0-Sieg. 1987 wurde das Halbfinale des abgeschafften Uefa-Cups erreicht, der Klub hieß mittlerweile FC Swarowski. Ernst Happel, der Wödmasta, wurde verpflichtet. Roscher konnte mit den Launen des bereits von Krankheit gezeichneten Happel umgehen. "Er war stur, ich mochte ihn trotzdem."

Nicht schlecht: Alfred Roscher trifft zweimal gegen Real Madrid.
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Den 1. April 1987 hat Roscher fast vergessen. An diesem Tag war er das erste und letzte Mal in der österreichischen Nationalmannschaft tätig. 19 Minuten lang. Spanien gewann in der EM-Quali 3:2. "Für wen bin ich eingewechselt worden? Ah, für den Rudi Weinhofer." 1988 versuchte sich der Vollbart in der deutschen Bundesliga, er folgte Felix Latzke zu Waldhof Mannheim. Ein Leihvertrag. "Ich bin schon als Verletzter hingekommen." Neun Einsätze, ein Tor gegen Frankfurt. Kurzgastspiele bei Vorwärts Steyr und in Mödling, Schlusspunkt war die Austria Klagenfurt. "1990 oder 1991, keine Ahnung." Ungefähr 90 Tore hat er im Oberhaus erzielt.

Umstellung

Der Pensionsschock hielt sich in Grenzen. "Man muss sich umstellen. Aber wenn man im Leben steht, weiß man das zu meistern. Ich habe nie dem Fußball nachgetrauert. Ich durfte mein Hobby zum Beruf machen." Ein Jahr lang hat er gefaulenzt, Löcher in die Luft gebohrt. Die Tätigkeit als sportlicher Leiter bei Ostbahn XI war nur eine Hetz. "Irgendwann wachst du in der Früh auf und denkst dir: 'Ich muss was tun.' Der Mensch braucht Aufgaben."

Den Fußball verfolgt er heute passiv, aber intensiv vor dem Fernseher. "Grödig gegen Admira schaue ich nicht." Roscher ist ein Fan des österreichischen Nationalteams. "Die sind ein Erlebnis." Er hat ein Haus in der Nähe von Baden, "im Sommer arbeite ich im Garten. Unspektakulär, aber erholsam." Roscher ist seit 35 Jahren mit ein und derselben Frau verheiratet, sie haben zwei erwachsene Töchter. Am nächsten Montag wird er sich rasieren. "Sofern ich es nicht vergesse. Mir geht es gut. Der Mensch braucht Aufgaben." (Christian Hackl, 3.11.2015)