"Ich kann allen jungen Forschern nur raten, sich die Betreuer der Dissertation gut auszusuchen und ja nicht die bequeme Tour zu wählen", sagt Dieter Schweizer, unsichtbarer "Master of Ceremonies" des Uni-Wien-Jubiläums und Experte für die Schaffung bestmöglicher Strukturen für innovative Forschung.

Foto: Heribert Corn

Wien – Es ist nicht ganz einfach, mit Dieter Schweizer über Dieter Schweizer zu reden. Der 77-Jährige steht nämlich sehr ungern im Mittelpunkt – und wenn es nur für ein Gespräch oder einen Fototermin ist. Er selbst sieht sich lieber als "Mediator", wie er mit leichtem, aber unüberhörbarem Schweizer Akzent sagt: "Es geht mir lieber um die Sache als um die Person." Zum Beispiel um das 650-Jahr-Jubiläum der Uni Wien.

Bei den verschiedenen Feierlichkeiten, die dieser Tage offiziell zu Ende gingen, stand der emeritierte Botanik-Professor zwar meist im Hintergrund, doch Schweizer war wesentlich mitverantwortlich dafür, dass neben PR-Events auch viel Platz für kulturelle Aktivitäten war: etwa für etliche weithin beachtete Ausstellungen ebenso wie für Bücher, die der Aufarbeitung der nicht nur ruhmvollen Unigeschichte gewidmet waren.

Ein Konzept dafür hat Schweizer, beauftragt von Rektor Heinz Engl, bereits 2011 erstellt, nachdem er sich an etlichen Unis angeschaut hatte, wie dort runde Geburtstage gefeiert worden waren. Warum ausgerechnet ein aus der Schweiz stammender Naturwissenschafter die richtige Person für die Organisation der Jubiläumsfeierlichkeiten sein sollte, sorgte zunächst bei einigen PR-Profis und Geisteswissenschaftern für Irritationen.

Doch Schweizer sollte, unterstützt vom Rektorat, rund 90 Prozent seines ursprünglichen Konzeptes durchbringen, das durch Vorschläge des Programmbeirats erweitert wurde. Zusammengenommen stellten die Feierlichkeiten tatsächlich eine Mischung aus Events und eben auch kulturellen Aktivitäten mit längerer Halbwertszeit dar.

Viel Lob für die Kollegen

In einer persönlichen Bilanz kann er seinen gut versteckten Stolz darüber nicht völlig verbergen. Lob hat er – so wie ein guter Trainer – aber vor allem für die anderen: etwa die von Karl Sigmund und Fritz Stadler kuratierte Schau über den Wiener Kreis, mit der ein Meilenstein in Sachen Wissenschaftsausstellungen gelungen sei.

Dass der hellwache Emeritus als meist unsichtbarer "Master of Ceremonies" reüssierte, ist sowohl seinen außergewöhnlichen organisatorischen Fähigkeiten wie auch seinem breiten Wissenshorizont geschuldet, der weit über die Biologie hinausreicht. Der Botaniker, der 1971 in Basel mit summa cum laude promovierte, hat auch einen Magister der freien Künste, verschweigt das aber in seinen Lebensläufen geflissentlich. Während seiner "anregenden Studienzeit" habe er in viele Fächer hineingeschnuppert, und beinahe wäre er in der Physik gelandet.

"Die wirklich Gescheiten sind alle in die Physik gegangen", sagt Schweizer mit der ihm eigenen hintergründigen Ironie. Nachsatz: "Zum Glück hab ich mich für die Biologie entschieden." Die war zwar in Basel noch eher rückschrittlich; Zürich hingegen, wo er seine Dissertation schrieb, galt auch schon um 1970 als ein frühes Zentrum für genetische und molekularbiologische Forschungen. "Damals war die Schweiz in diesem Bereich Österreich zumindest um zehn Jahre voraus."

Mit dem großzügigen Stipendium, das er für seinen ausgezeichneten Studienerfolg erhalten hatte, ging der junge Postdoc 1971 an die Uni Oxford zum damaligen "Chromosomenpapst" Cyril D. Darlington. Nach drei Monaten erkannte der Jungforscher, dass der Universalgelehrte doch nicht der richtige Lehrmeister war, und übersiedelte an das renommierte John Innes Institute in Norwich. Auch da war die Umgebung nicht ganz ideal, aber sehr fordernd.

Wie Jungforscher am besten wachsen

Genau darauf komme es laut Schweizer in dieser Karrierephase an: "Ich kann allen jungen Forschern nur raten, sich die Betreuer der Dissertation und den ersten Postdoc ganz genau zu überlegen und ja nicht die bequeme Tour zu wählen." Nachsatz des erfahrenen Pflanzenforschers und erfolgreichen Nachwuchsförderers: "Es soll möglichst herausfordernd sein. Nur so wächst und gedeiht man am besten."

In Großbritannien lernte Schweizer dann neben Darlington auch noch andere herausragende Persönlichkeiten wie Roy Markham und auch Francis Crick kennen, den Mitentdecker der DNA-Struktur, eine andere prägende Begegnung für den Botaniker: "Der hat in seinem Leben kein einziges richtiges Experiment gemacht und ist eigentlich ein theoretischer Biologe gewesen. Aber als solcher war er ein großer Anreger, der selbst Experimente vorgeschlagen hat."

Eines von Schweizers experimentellen Forschungsergebnissen in Norwich machte ihn dann kurz zu einer Art "Wanderprediger" für Chromosomentechniken, die in der Humangenetik und der Tumorbiologie Anwendung fanden. Er tourte in Australien ebenso wie in Deutschland und landete über Umwege ab 1974 in Wien. Schweizer war damals noch Gastarbeiter und hatte als Ausländer alle möglichen bürokratischen Schwierigkeiten zu überwinden.

In der Chromosomenbiologie kam es in diesen Jahren zur genetischen und molekularbiologischen Revolution, und Schweizer war derjenige, der die neuen Ansätze in Wien einführte. Der Pflanzenforscher, der mittlerweile zum Professor aufgestiegen war, sorgte in den 1980er-Jahren indes noch für andere Innovationen: So beschloss er, dass man an seinem Institut vor allem über ein Thema, nämlich die Meiose forschen sollte, also die Reifeteilung der Zellen.

Experte für bestmögliche Strukturen

Der besondere Clou: Das geschah auch an nichtpflanzlichen Modellorganismen wie der Bäckerhefe, Mäusen oder dem Fadenwurm. Das war bis dahin undenkbar und brachte Schweizer prompt den Ruf ein, ein "Verräter" der Botanik zu sein. Allein: Die Erfolge seiner Meioseforschergruppe und seiner jüngeren Mitstreiter – wie etwa Angelika Amon, die bei ihm als Postdoc für ein Jahr forschte – gaben ihm recht.

Das blieb aber nicht die einzige subversive Tat des weitsichtigen Forschungsorganisators, der zu einem Experten dafür wurde, wie man bestmögliche Strukturen für innovative Wissenschafter schafft. Schweizers zweifellos größte Tat seiner langen Karriere war die 2001 erfolgte Gründung und Errichtung des Gregor-Mendel-Instituts (GMI) für molekulare Pflanzenforschung: Das ÖAW-Institut ist heute einer der Leuchttürme des Vienna Biocenter und schließt an die große Tradition der österreichischen Botanik an.

Dem Forscher gelangen dabei gleich mehrere Coups. Zum Ersten schaffte er es trotz der weitverbreiteten Skepsis gegenüber der grünen Gentechnik, dass ein solches Institut von der ÖAW überhaupt ins Auge gefasst wurde. Zum Zweiten wählte Schweizer beim GMI den umgekehrten Weg als an seinem Institut: Nun konzentrierte man sich auf einen einzigen Modellorganismus, Arabidopsis vulgo: die Ackerschmalwand. Das war deshalb sinnvoll, weil es mittlerweile zur vollständigen DNA-Sequenzierung dieser kleinen, für das Labor geeigneten Pflanze gekommen war. Die Grundlagen dafür waren übrigens auf einer Konferenz 1990 in Wien gelegt worden, die ebenfalls Schweizer organisiert hatte.

Schließlich gelang es dem GMI-Gründungsdirektor durch geschicktes Verhandeln, dass dieses Institut nicht neben dem IMBA von Josef Penninger hingestellt wurde, sondern sich seit 2006 unter einem Dach mit der "roten Biotechnologie" befindet. "Die Idee war, Pflanzen als Teil der Evolution zu begreifen, da sie mit den anderen höheren Lebewesen eine gemeinsame Basis teilen", sagt Schweizer: "Wenn wir die Evolution verstehen wollen, dann können wir die Pflanzen nicht ignorieren."

Auch diese unmittelbare räumliche Nähe von grüner und roter Genetik sorgte anfänglich für Widerstand. Knapp zehn Jahre nach der Eröffnung des Gebäudes haben sich auch diese Irritationen gelegt, und man schätzt die Vorteile, ein im deutschsprachigen Raum einzigartiges Nebeneinander von Forschungen an ganz verschiedenen Modellorganismen zu besitzen.

Schweizer, der 2006 als Uni-Professor und 2007 als GMI-Direktor emeritierte, wird für seine Verdienste um die heimische Forschung am 11. November mit einem hochrangig besetzen Symposium bedacht. Und dann wird er nolens volens das tun müssen, was er gar nicht gern mag: im Mittelpunkt stehen. (Klaus Taschwer, 4.11.2015)