Wien/Heidelberg – Gehirntumore, die wahrscheinlich auf mutierten Astrozyten-Zellen basieren, zeigen eine hohe Resistenz gegen Medikamente und Strahlentherapie. Ein deutsch-österreichisches Forschungsteam hat jetzt einen dafür mitverantwortlichen Mechanismus identifiziert.

"Pro Jahr erkranken in Österreich rund 400 Menschen an Astrozytomen, zu denen auch die Glioblastome zählen. Die mittlere Überlebensdauer liegt bei Patienten mit diesen Tumoren zwischen 14 und 17 Monaten. Ein Hauptproblem ist, dass der Tumor meist chirurgisch nicht vollständig entfernt werden kann. Auf Chemotherapien und auf Strahlenbehandlung sprechen sie ebenfalls nur sehr beschränkt an", sagt Matthias Preusser vom Comprehensive Cancer Center (CCC) der MedUni Wien.

Die bösartigen Zellen, aus denen die Tumore bestehen, besitzen viele Charakteristika von Gliazellen, die eine Stützfunktion im Gehirn haben. Das deutet darauf hin, dass Astrozytome und Gliome aus diesen Zellen bzw. deren Stammzellen entstehen.

Netzwerkschädigung

Ein weiteres Charakteristikum liegt in ihrem diffusen und das Gehirn infiltrierende Wachstum, wie die Autoren betonen. "Man ist bisher davon ausgegangen, dass das völlig ungeordnet erfolgt", ergänzt Preusser. Ein Trugschluss, wie die Wissenschaftler meinen. Das zeigte zumindest ein Experiment an Mäusen, auf die Astrozytomzellen übertragen wurden. Anschließend beobachteten die Forscher per Fluoreszenzmikroskopie das Wachstum der Tumoren über Wochen und Monate. Das Ergebnis: Es zeigte sich, dass die Tumoren auch über weite Strecken hinweg ein Netzwerk von Informationskanälen ausbilden, über das offenbar ein Austausch von Calcium-Ionen und somit von elektrischen Reizen erfolgt.

"Wenn man an diesem Netzwerk Schaden anrichtet, wird es für die Reparaturvorgänge verwendet", erklärt der Wiener Onkologe. Die Aktivität des Systems nimmt deshalb auch typischerweise zu, wenn eine Strahlenbehandlung erfolgt. Die Astrozytom-Zellen bilden somit insgesamt ein ganzes anatomisches Netzwerk aus Fortsätzen, sogenannten "Microtubes" aus, die an Poren an der Zelloberfläche andocken. Das Wachstum dieser Strukturen wird durch Zellbewegungsprotein Actin vermittelt.

Tumor reagiert

"Wir haben es also bei diesen Tumoren nicht, wie bisher angenommen, mit unkoordiniert wachsenden Einzelzellen, sondern mit einer Art von Organismus zu tun, der koordiniert auf Schäden reagieren kann. Bei anderen und deutlich weniger therapieresistenten Hirntumoren, sogenannten Oligodendrogliomen, fanden sich viel weniger Microtubes", ergänzt Preusser.

An der Entwicklung dieser Strukturen sind die Proteine GAP-43 und Connexin 43 beteiligt. Die Wissenschafter unterdrückten in ihren Versuchen auch die Funktion dieser Eiweißstoffe, was die Tumore angreifbarer machte. Die Wiener Wissenschafter erweiterten die Erkenntnisse aus den Tierversuchen, indem sie vergleichbare Strukturen in menschlichen Tumorgeweben nachweisen konnten.

"Crosstalk" als Angriffsziel

"Das Unterbrechen dieser Verbindungen zwischen Astrozytom-Zellen, in dem man diese Mikrotubes angreift, könnte einen neuen Ansatzpunkt darstellen, um die notorische Therapieresistenz dieser Erkrankung zu verringern", schreiben die Experten im Fachjournal "Nature".

Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt, der für die Onkologie in Zukunft in diesem Zusammenhang wichtig werden könnte: "Wir haben mittlerweile solche Mechanismen auch bei anderen Tumoren entdeckt", berichtet Matthias Preusser. Das spräche dafür, dass für die herkömmlichen Behandlungsstrategien nur schlecht zugängliche Krebserkrankungen ebenfalls mit einem bisher noch nicht bemerkten "Crosstalk" und den dafür notwendigen Informationskanälen einher gehen.

"Diese Ergebnisse haben faszinierende neue Einblicke in die Biologie von Astrozytomen eröffnet. Sie erklären die notorische Therapieresistenz dieser und vielleicht auch anderer Tumoren und haben wichtige neue Ansätze für experimentelle Therapien aufgezeigt", so Christoph Zielinski, Leiter des Wiener CCC. (APA, 4.11.2015)