Warum es immer mehr Menschen auf Kreuzfahrtschiffe zieht, werde und muss ich nicht verstehen: Ich wäre bei der Eröffnungsfahrt der "Norwegian Escape" schon nach 36 Stunden vor Langeweile über Bord gegangen – hätte es nicht die Bord-Laufbahn gegeben.

200 Meter sind ein Witz. Zumindest dann, wenn man etwas anderes als Sprints, Steigerer oder Intervalle laufen will: In dem Fall können 200 Meter durchaus was können. Lang sein. Und einen so richtig fertigmachen. Aber ansonsten gilt: 200 Meter sind ein Witz. Und aus.

Manche Witze sind aber ein bisserl witziger als andere. Und manche … Aber halt. Ich verzettle mich ja schon, bevor die Geschichte überhaupt begonnen hat. Und in Wirklichkeit spielt die Länge der Laufbahn in dieser Geschichte nur eine untergeordnete Rolle. Aber wenn ich schon hier einsteige, sei es eben auch hier angemerkt: Die Laufbahn auf der "Norwegian Escape" ist exakt 200 Meter lang.

Und der eigentliche Witz ist da gar nicht ihre Länge – sondern die Breite: Ein Meter (geschätzt, nicht gemessen). Und der Umstand, dass man sie sich mit 4.560 anderen Menschen teilen muss – wobei die hier in der Regel nicht laufen, sondern spazieren gehen. Oder stehen. Also im Weg sind. Schließlich ist die Laufbahn ja gleichzeitig das Promenadendeck der "Norwegian Escape".

Foto: Thomas Rottenberg

Aber ich glaube, ich sollte vielleicht noch ein bisserl früher beginnen. Und zwar mit der Geschichte, die mich hierhergebracht hatte. Hier, das war die "Norwegian Escape". Ein brandneues und reichlich luxuriöses Kreuzfahrtschiff, das in der letzten Oktoberwoche von Hamburg aus zwei Tage durch die Nordsee schipperte. Ich war – im Auftrag eines Reise-Fachmagazins – der Einladung zur Schiffsbegutachtungsreise gefolgt. Gemeinsam mit 1.400 Journalisten aus ganz Europa – und gut 3.000 Reisebüromenschen.

Foto: Thomas Rottenberg

Die meisten Kollegen an Bord waren Kreuzfahrt-Fach-Journalisten. Ja, sowas gibt es – und zwar nicht zu knapp. Cruise-Experten waren aber auch praktisch alle "Agents" (Reisebürofachkräfte schätzen es heute nicht mehr, wenn man sie "Reisebürofachkraft" nennt). Kein Wunder: Kreuzfahrten sind in der Reisebranche das mit Abstand potenteste und am stärksten wachsende Segment. Zielgruppe ist längst nicht mehr die Generation 60 oder 70 plus. Oh nein! Obwohl die Empty-Nester und Golden-Ager im Luxussektor den Ton angeben: Sie haben Zeit und Geld – und keine Verpflichtungen mehr.

Thomas Rottenberg

Ich bin aus einem ganz andern Grund nicht Zielgruppe: Allein die Vorstellung, eine oder zwei Wochen lang mit ein paar tausend Menschen auf rund 300 mal 40 Metern mal 16 Stockwerken zusammengepfercht zu sein, lässt mich ein bisserl panisch werden: Aus einem All-Inc-Club kann ich zumindest theoretisch ausbrechen. Aber von einem Kreuzfahrtschiff? Nicht mein Ding. Au contraire. Und zwar absolut.

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Aber zwei Tage sollten wohl gehen. Als Job, wohlgemerkt: Wie dieser Markt aussieht, was Kunden und Anbieter treibt, wohin die Reise – also die der Branche – geht. Was Perspektiven und Zukunft verheißen. Und vor allem: Wie solche Schiffe funktionieren und wie Cruise-Marketing geht, ist alles andere als unspannend.

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Außerdem mag ich Feuerwerke: Als die "Norwegian Escape" aus Hamburg auslief, wurde sie standesgemäß mit einer Megaparty verabschiedet: Ein paar 10.000 Hanseaten waren an die Landungsbrücken gekommen und jubelten dem Monster zu, als es sich auf den Weg über den Elbkanal in Richtung Meer machte. Und das Feuerwerk dauerte über eine Viertelstunde.

Thomas Rottenberg

Aber dann? Was tut man eigentlich tagsüber auf so einem Schiff? Noch dazu bei Herbstwetter? Erstens: Essen. Und zwar nicht zu knapp. Ein 24 Stunden offenes Buffet-Restaurant ist überall Standard. Dazu kommen dann meist noch ein Dutzend über das Schiff verteilte Spezialitätenrestaurants. Und obwohl mich "innovative" Konzepte wie "bestellen via Tisch-Tablet" eher abturnen, muss ich leider eines zugeben: Es schmeckte – abgesehen von den auf US-amerikanische Weißmehl-Zuckerzusatz-Orgien-Vorlieben abgestimmten Frühstücksbuffets – phänomenal. Überall.

Foto: Thomas Rottenberg

Abgesehen davon gibt es natürlich Musik und Tanz. Shoppingmöglichkeiten. Ein Casino. Ein Musical-Theater. Ein Spa. Und so weiter: Einen Tag bringe ich so schon ganz gut über die Bühne. Umringt von tatsächlich glückseligen Kreuzfahrtmenschen. Am zweiten Tag sterbe ich dann aber. Vor Langeweile. Ich bin wohl wirklich nicht ganz die Zielgruppe.

Thomas Rottenberg

Auf Schiffen wie der "Escape" gibt es da nur eine Möglichkeit zu entkommen (okay, zwei: Man könnte auch über Bord gehen): Sport-Spielereien.

Ein bisserl davon habe ich hier schon beschrieben – als ich bei schönstem Nordseewetter im Klettergarten der "Norwegian Escape" eineinhalb Stunden dem Wind entgegenschaute. (Für die drei Wasserrutschen und die Whirlpools war ich nicht fit genug: Das Wasser wird zwar schön kuschelig gewärmt – aber ich war mit recht heftigem Schnupfen und Halsweh nach Hamburg gekommen …)

Foto: Thomas Rottenberg

Blieb mir nur noch der beinahe "echte" Sport: Die "Laufbahn" auf dem 16. Deck. Achtern. Womit wir – endlich – beim 200-Meter-Witz angekommen wären.

Foto: Thomas Rottenberg

Ein paar Kollegen hatten – ohne mein Wissen – Wetten abgeschlossen. Oder abschließen wollen: Ob ich hier laufen würde. Nur hatte niemand auf "läuft nicht" setzen wollen. Hätten sie mich gefragt, hätte ich mein Geld auf die Nichtlaufenkarte geschoben. Weil: Verkühlt. Und außerdem: Ein bisserl eng ist so eine einspurige Bahn schon – erst recht, wenn hier alle unterwegs sind, die sich die Beine vertreten wollen.

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Aber die Kombination aus Neugierde und Langeweile darf man nicht unterschätzen. Und dass ich ein Bewegungsjunkie bin, habe ich ja nie geleugnet. Unter meinen Entzugserscheinungen nach zwei Tagen ohne Auslauf leidet jedoch primär meine Umwelt – also bekam ich beim Mittagessen (gefühlt vier Kilo schwerer als beim Einschiffen) ein paar dezente Hinweise. Bei der Jause, eine Stunde später, ließen die Kollegen dann die Dezenz beiseite: "Renn. Bitte. Du bist sonst nicht auszuhalten."

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Man will seiner Umwelt ja nicht grundlos zur Last fallen. Also trabte ich los. Und stellte rasch fest, dass es wirklich nicht darauf ankommt, wo und wie man rennt – sondern nur, dass man es tut. Weil der (okay: mein) Körper sich bedankt, wenn er sich bewegt. Oder bewegt wird. Und sei es auf einer engen, rutschigen, winkeligen 200 Meter kurzen Runde, die im Grunde nur eines ist: ein Witz.

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Manche der anderen Passagiere sahen mich ein bisserl fassungslos an. Egal. Manche lachten. Auch egal. Einer rief mir zu, dass er das jetzt echt nicht fein fände. Da das eine Erstfahrt sei, habe er eigentlich vorgehabt, als erster hier zu laufen. Jetzt hätte ich ihm die Premiere versaut. Aber er vergäbe mir: Als Besitzer eines auf Kreuzfahrten spezialisierten Reisebüros werde er demnächst sicher wieder ein Schiff einweihen – und dann wäre die Runde am Laufdeck das Erste, was auf seinem Plan stehe.

Tatsächlich lief ich hier aber nicht wirklich lang: Nach zehn, vielleicht 15 Runden wurde es echt eintönig.

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Außerdem kamen jetzt immer öfter 20- bis 30-köpfige Agent-Gruppen auf geführten Schiffstouren vorbei. Und auch wenn sich alle höflich und freundlich an die Seitenwände oder zwischen die aufgestapelten Liegestühle quetschten, wenn ich ums Eck kam, war das auf Dauer mehr mühsam als sonstwas.

thomas rottenberg

Doch auch wegen meiner Verkühlung wechselte ich dann ins Fitnesscenter: Wie viel Bewegung ich mit Halsweh, Husten und Schnupfen vertrage, kann ich mittlerweile ganz gut abschätzen – aber ob der (von mir sonst durchaus geschätzte) nasskalte Nordseewind abwechselnd von vorne und von hinten da wirklich heilsbringend wirkt, wollte ich nicht unbedingt ausprobieren: Das Hakerl bei "übers Meer gelaufen" hatte ich. Fertig.

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Und weil abgehakt nur dann gilt, wenn man es auch dokumentieren kann, habe ich dann – zu guter Letzt – noch einmal vier oder fünf Runden an Deck gedreht. Diesmal mit eingeschaltetem Tracker. Die Form meiner Laufroute finde ich zumindest originell. Und mit ein bisserl Rechnen könnte ich aus den Rundenzeiten und diesen Daten dann wohl auch herausrechnen, wie schnell das Schiff unterwegs war.

Nur: So fad war mir dann auch wieder nicht – viel lieber saß ich den Rest des Nachmittages wieder auf irgendeinem "Mast" im Klettergarten und sah dem Meer beim Meersein zu. Das tue ich nämlich gern. Sehr gern sogar. Auch auf einem Kreuzfahrtschiff.

(Ja eh: Um Kurs und Geschwindigkeit des Schiffes rauszukriegen, hätte auch Hinsetzen und Tracker einschalten genügt – aber das klang irgendwie zu einfach.)

(Thomas Rottenberg, 5.11.2015)

Anmerkung im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die Reise auf der "Norwegian Escape" erfolgte auf Einladung der NCL-Reederei (http://www.ncl.de/schiffe/norwegian-escape/).

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