Großes Schweigen: "The Look of Silence" von Joshua Oppenheimer.

Foto: Polyfilm

Adi R. konfrontiert auch seine Mutter mit der Vergangenheit.

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Trailer (englisch).

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Wien – In diesem Film, in dem so viel gesprochen wird, sind die eindringlichsten Momente jene, in denen es nichts mehr zu sagen gibt – obwohl es in Wahrheit noch so viel über das, was geschehen ist, zu sagen gäbe. Doch wenn der Täter über ebendiese Wahrheit nichts mehr zu erzählen hat und dem Bruder seines Opfers die Worte fehlen, dann herrscht Schweigen. Die wenigen Sekunden, in denen die Kamera noch auf den Gesichtern verharrt, werden zu einer Ewigkeit. The Look of Silence ist ein schrecklich schöner Titel für diesen Film.

Mit The Act of Killing legte Joshua Oppenheimer vor drei Jahren einen der meistdiskutierten Dokumentarfilme vor. Das betraf vor allem den Zugang, den der US-Regisseur für seine Auseinandersetzung mit dem Völkermord in Indonesien Mitte der 1960er-Jahre wählte: Für das westliche Publikum waren die Gräueltaten, die Suhartos Schergen an der chinesischen Minderheit, angeblichen Kommunisten und Intellektuellen verübten – Schätzungen zufolge fielen der Tötungsmaschinerie der Paramilitärs mehr als eine Million Menschen zum Opfer -, weit weg und lange her. Doch mit seiner fragwürdigen Methode erregte Oppenheimer großes mediales Echo: Er bat die bis heute straffrei gebliebenen und teilweise in hohen politischen Ämtern agierenden Täter, ihre sadistischen Mordtaten für einen bizarren Low-Budget-Film zu reinszenieren – was die meisten auch voller Stolz und Eifer taten.

Darf man Tätern eine Bühne bieten?

Die Vorwürfe gegen Oppenheimers oscarnominierten Film zielten fast alle auf die Legitimität der Darstellung ab: Darf man den Tätern eine Bühne für ihre Verbrechen bieten? Oppenheimer war sich des schmalen Grats, auf dem er sich bewegte, wohl bewusst und konfrontierte die Mörder auch deshalb wiederholt mit den von ihnen gefilmten Szenen.

Mit The Look of Silence setzt er diese Konfrontation auf unmittelbare Weise fort: Der 44-jährige Adi R. besucht jene Männer, die für den Mord an seinem älteren Bruder verantwortlich sind, während seiner Mutter der tote Sohn auch nach fünfzig Jahren im Traum erscheint. Scheinbar mit unbewegter Miene hört Adi R. den Ausführungen zu, die mit erschreckender Selbstverständlichkeit vorgebracht werden. Bis in die eigene Familie reicht die Spur – der Onkel diente als Wärter in jenem Gefängnis, in dem der Neffe seine letzten Stunden verbrachte.

Wechsel der Perspektive

Dass Adi R. als Optiker tätig ist und manchem Mörder eine neue Brille anpasst, ehe er seine Fragen stellt, ist purer Zufall. Doch gleichzeitig ist es ausgerechnet dieser professionelle Kontakt – immer wieder muss die Sehschärfe neu festgestellt werden -, der den traumatisierten Angehörigen zum Helfer macht. Man kann The Look of Silence auch in dieser Hinsicht als Nachfolgefilm zu The Act of Killing betrachten: Erst das Vertrauen, das Oppenheimer vor ein paar Jahren zu den Mördern und Befehlshabern aufgebaut hat, ermöglicht den nunmehrigen Wechsel der Perspektive von den Tätern zu einem Angehörigen ihrer Opfer. Auf die schrille und laute Maskerade folgt das von Zirpen aus den Wäldern begleitete Schweigen. (Michael Pekler, 5.11.2015)