Auf Blogs wie "Politically Incorrect" wird Stimmung gegen missliebige Minderheiten wie Asylwerber oder Homosexuelle gemacht. Auch etablierte Parteien werden attackiert, oftmals unterfüttert mit Verschwörungstheorien. Durch soziale Medien erreichen Artikel aus dubiosen Quellen oft hunderttausende Personen. Auf Facebook tauchen sie plötzlich neben Meldungen von klassischen Medien und privaten Neuigkeiten von Freunden auf.

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"Asylgegner" demonstrieren in Spielfeld gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Fremdenfeindliche Gruppen organisieren sich zunehmend in sozialen Netzwerken wie Facebook.

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Warum postet "Hr. H.-C." so viel auf Facebook und nicht in anderen Medien? Das will auf H.-C. Straches Facebook-Seite eine gewisse Sylvana H. wissen – und gibt sich gleich auch selbst die Antwort: Weil man auf FB eine Masse erreiche, "die sich untergrundmäßig verhält".

Die Antwort des freiheitlichen Bundesparteiobmanns ist klassisch: "Weil Facebook das einzige Massenmedium ist, wo ich frei kommunizieren kann." In diesem Satz ist zugleich eine Opfertheorie, eine Verschwörungstheorie und ein – vom Standpunkt Straches aus – richtiges Faktum enthalten. Die klassischen seriösen Medien üben eine Gatekeeper-Funktion aus, sie bewerten öffentliche Äußerungen von Politikern nach Wahrheitsgehalt, Relevanz und Zivilisationsgrad beziehungsweise strafrechtlichen Inhalten. Das ist rechtspopulistischen Politikern wie Strache lästig, und deshalb weichen sie auf Internetmedien wie Facebook aus.

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Dort "zensuriert" sie und ihre Sympathisanten praktisch niemand. Dort kann ein Eintrag wie jener auf Heinz-Christian Straches Seite, wo eine Constanze F. das Wort "NAZI" als Akronym interpretiert und mit den Worten "Natürlich, Attraktiv, Zärtlich, Intelligent – das bin ich" auflöst, tagelang stehenbleiben. Dort können dutzendweise falsche Behauptungen, Hasspostings, Links zu Verschwörungstheorieseiten und einschlägige Youtube-Filmchen angebracht werden, ohne dass das jemand kontrolliert. Dort ist tatsächlich, wie Sylvana H. richtig vermutet, eine "Masse" erreichbar, die sich "untergrundmäßig" verhält.

Nach letzter Zählung hat Strache auf seiner Seite 289.062 "Gefällt mir"-Angaben, Tendenz stetig steigend. Das ist ein Rekord für einen Politiker und etwa ein Drittel der FPÖ-Wähler des Jahres 2013 (962.313 Stimmen). Allein im Oktober gab es 361.000 Kommentare auf Strache-FB, davon waren etliche antisemitisch.

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Es ist eine Mobilmachung der Rechten im Netz, die sich nicht auf eine Parlamentspartei wie die FPÖ beschränkt, aber dort am stärksten manifestiert. Strache und seine Helfer haben längst einen Kommunikationskanal ausgebaut, von dem andere Politiker nur träumen können. Bundeskanzler Werner Faymann hat 21.266 "Likes", Vizekanzler Reinhold Mitterlehner hat überhaupt keine eigene FB-Seite (die ÖVP hat 19.253 "Likes"). Grünen-Chefin Eva Glawischnig hat 23.440 und Neos-Obmann Mathias Strolz immerhin 38.438.

Mit einem Wort, die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP sind bei der Verwendung eines modernen, stark jugendaffinen Tools hoffnungslos altmodisch und abgeschlagen. Auch die Oppositionsparteien, die eine jüngere Klientel haben, wie Grüne und Neos, kommen an die FPÖ nicht heran. Die Freiheitlichen unter Strache haben hier eine perfekte parallele Kommunikationswelt entwickelt, in der sie und ihre Sympathisanten nahezu ungecheckt ihre Ressentiments spazieren führen und Gerüchte in die Welt setzen können. Und nicht nur die FPÖ. Das ganze rechtspopulistische bis rechtsextreme Spektrum in Österreich und (Mittel-)Europa hat hier eine Subkultur, einen Untergrund, der eine mächtige Dynamik entwickelt.

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Gelegentlich kommt da allerdings etwas aus dem Untergrund an die Oberfläche: wenn etwa antisemitische oder rechtsextreme Einträge von diversen (nicht nur FPÖ-)Politikern auffallen. Wie unlängst bei der nunmehr Ex-FPÖ-Abgeordneten Susanne Winter, die trotzdem an das Internet glaubt als "letztes Massenmedium auf diesem Globus, das (fast) keiner Zensur unterliegt".

Die aktuelle Flüchtlingskrise wirkt jedenfalls als Brandbeschleuniger. Meist auf Facebook überschlagen sich die Berichte: Die "Asylanten" hätten "in Horden" Supermärkte überfallen; sie hätten sexuelle Übergriffe begangen; in den Zügen die Sitze aufgeschlitzt und dort ihre Notdurft verrichtet, weil "dort Christen gesessen haben". Diese "Wahrnehmungen" finden ihren Weg auch in traditionelle Medien wie in die "Krone". Der Chef der "Steirerkrone" Christoph Biró veröffentlichte diese Gerüchte ungeprüft in einem Kommentar und musste daher zeitweilig Urlaub machen.

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Nichts davon wurde von Polizei oder ÖBB bestätigt. Ebenso wenig wie die "Krone"-Meldung, die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) habe eine Prämie von 100.000 Euro für die Entwaffnung eines Polizisten oder Soldaten an der österreichisch-slowenischen Grenze ausgelobt. Der auf einer rechten Verschwörungstheorieseite ("erstaunlich.at") abgedruckte Käsezettel mit einer angeblichen Warnung der OSZE vor der IS-Prämie wurde aber prompt von Strache auf seine Seite gestellt und positiv kommentiert.

Die Hits der rechten Propaganda sind derzeit alle möglichen angeblichen Übergriffe durch "Asylanten" und Verschwörungstheorien über aktuelle Vorkommnisse. Die deutsche Rechtspartei AfD erklärte, der Laptop, auf dem der Fernsehsender ARD Fotos von der über dem Sinai abgestürzten russischen Maschine gezeigt hatte, trage die Bezeichnung der US-amerikanischen Spionageagentur NSA. Zudem findet ausgesprochen antidemokratische Agitation statt wie etwa durch den (bayerischen) Sprecher einer Anti-Asyl-Demo in Spielfeld: Die Regierung müsse man nicht abwählen, sondern stürzen, sagte dieser in einem Interview.

Zum Teil ist das gezielte Desinformation durch schattenhafte Institutionen. Das rechte deutsche Magazin "Compact" etwa mit Themen wie "Schwarzbuch Lügenpresse" und "Dschihadisten im Flüchtlingsstrom" hat eine erstaunliche Dichte an freundlichen Putin-Berichten und -Bildern. Ganz ähnlich das rechte Linzer Magazin "Info-direkt", das gleich mit dem Titel "Wir wollen einen wie Putin" aufmachte.

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Ein sehr großer Teil der rechten Verunsicherungspropaganda im Netz ist allerdings "hausgemacht". Er stammt von meist entsprechend anfälligen Personen, aber auch von verunsicherten "normalen" Bürgern, die eine Erklärung für sie beunruhigende Ereignisse wie den nicht enden wollenden Zuzug von Flüchtlingen suchen.

Wie jene Dame aus Traiskirchen, die dem STANDARD sagt, warum sie Müll auf den Straßen fotografiert und als Flüchtlingshinterlassenschaft ins Netz stellt: "Diese jungen Männer kommen gut gekleidet, mit den neuesten Smartphones, das macht die Bevölkerung stutzig und teilweise wütend. Es wurde im Sommer eine 72-jährige Frau vergewaltigt, die ausgesagt hat, dass es ein Asylant war (Der Täter war damals noch nicht ausgeforscht, daher konnte zu diesem Zeitpunkt die Bezeichnung Asylant nicht als gesichert gelten, Anm.). Uns wurden schon viele Privataufnahmen zugespielt, wie es zum Beispiel in Spielfeld momentan zugeht, was die Bevölkerung wirklich denkt und welche Ängste sie hat. Erkundigen Sie sich mal, was man so für einen Flüchtling an Geld bekommt."

Die Entstehung solcher Parallelwelten hat auch einen technologischen Hintergrund. Facebook, Google und andere IT-Konzerne setzen seit Jahren auf die Personalisierung von Inhalten. Den Nutzern soll ein für sie maßgeschneiderter Mix an Themen präsentiert werden. Der Internetaktivist Eli Pariser hat dies als "Einmotten in eine Filterblase" bezeichnet. Bei einem Vortrag forderte Pariser zwei Wissenschafter auf, sich auf ihrem jeweiligen Google-Konto anzumelden und anschließend nach dem Ölkonzern British Petroleum (BP) zu suchen. Während ein Forscher Informationen zum Konzern erhielt, wurden dem anderen – der sich mit Umweltschutz beschäftigt hatte – Nachrichten über die Havarie der Ölbohrplattform Deepwater Horizon angezeigt. Eine "objektive", für alle gleiche Realität bot Google ihnen also nicht.

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Besonders das soziale Netzwerk Facebook kontrolliert genau, welche Beiträge von Nutzern mit "Gefällt mir" markiert oder sogar geteilt werden. Der Konzern misst sogar, wie lange einzelne Statusmeldungen gelesen werden. Dann erstellt Facebook Einträge über seine Nutzer, um ihnen ähnliche Beiträge zu servieren. Der ökonomische Gedankengang dahinter: Menschen schenken Dingen Aufmerksamkeit, die sie interessieren. Aufmerksamkeit ist wiederum Geld, da Werbepartner Facebook nach der Verweildauer bezahlen.

Besonders bei politischen Inhalten kann das zu Problemen führen. Laut Pariser entsteht ein "tägliches Ich", das mit "Autopropaganda" bombardiert wird. Wer auf Facebook Informationen über stehlende, vergewaltigende Flüchtlinge sucht, bekommt künftig fast ausschließlich Meldungen zu diesem Thema geliefert. Außerdem werden gleich denkende Personen, die sich zu diesen Nachrichten zu Wort melden, im Facebook-eigenen "Freundschaftsranking" höher platziert. Dadurch werden wiederum deren Nachrichten prominenter platziert. Das führt zu einer gesellschaftlichen Spaltung und einer Stärkung extremer Einstellungen.

Harvard-Professor Cass Sunstein ließ in einem Experiment liberale und konservative Versuchspersonen in einer Gruppe von Gleichgesinnten über politisch kontroverse Themen wie Klimawandel oder Homo-Ehe diskutieren. Vor und nach der Debatte wurden ihre Einstellungen gemessen. Das Ergebnis: Bei Diskussionen in politisch gleichgesinnten Gruppen nähern sich die Einstellungen jedes Mitglieds dem Extrem an. Die vielbeschworene "bürgerliche Mitte" entstünde laut Sunstein also durch die permanente Konfrontation mit Andersdenkenden und durch lebhaften, aber respektvollen Diskurs. Durch "Filterblasen" und die Verunglimpfung der Massenmedien als "Lügenpresse" ist dieser gesellschaftliche Konsens in Gefahr.

Die sozialen Medien funktionieren also in beide Richtungen – als Instrument von Demokratiebewegungen wie etwa im Arabischen Frühling. Und umgekehrt auch als Verstärker von extremen Meinungen, Gerüchten und Hasspropaganda, die derzeit in Europa von der Rechten getragen werden. (Hans Rauscher, Fabian Schmid, 7.11.2015)