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Tausende Menschen bejubeln in der ehemaligen Hauptstadt Rangun den Sieg der NLD – obwohl das Endergebnis noch nicht feststeht.

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Aung San Suu Kyi (re.) zeigt sich ihren Anhängern.

Foto: AP Photo/Mark Baker

STANDARD: Das Mehrheitswahlrecht und die starke Rolle der Armee, der ein Viertel der Parlamentssitze zustehen, machen klare Aussagen über das Endergebnis der Parlamentswahl in Burma schwierig. Kann Aung San Suu Kyi die Wahl noch verlieren?

Bannach: Das ist tatsächlich möglich, weil die Nationale Liga für Demokratie (NLD) zwei Drittel der Stimmen gewinnen muss, um die Mehrheit zu erlangen. Bis dato sind aber nur die Ergebnisse aus dem Zentrum des Landes bekannt, wo alle mit einem Wahlsieg der NLD gerechnet haben. Es wird sich noch herausstellen, wie die Gebiete der ethnischen Minderheiten wählen, die alle jeweils eigene Parteien haben. Aus manchen Gebieten dauert es mindestens eine Woche, bis die Wahlergebnisse überhaupt in die Hauptstadt transportiert sind. Wenn die NLD im Zentrum nicht einen haushohen Sieg davonträgt, sondern bei 70 Prozent stehen bleibt, kann sich das noch einmal ändern.

STANDARD: Präsidentin darf die Friedensnobelpreisträgerin ohnehin nicht werden. Wie will sie dann regieren?

Bannach: Viele Beobachter hier in Burma meinen, sie würde sich ein neues Amt schaffen wollen, was die Verfassung aber nicht zulässt. Ganz konkret wird es heißen, dass sie einen Präsidenten einsetzt, den sie im Tagesgeschäft entsprechend briefen wird, damit er die Geschicke des Landes in ihrem Sinne führt.

STANDARD: Gibt es schon Kandidaten?

Bannach: Nein, Suu Kyi hat sich in dieser Frage stets bedeckt gehalten. In der Hauptstadt kursieren die Namen einiger Geschäftsfrauen, die sich in der NLD engagiert haben, die man aber kaum kennt. Klar ist, dass der nächste Präsident eine relativ schwache Position haben wird, weil Suu Kyi schon deutlich gemacht hat, dass eigentlich sie das Land führen wird. Zudem hat sie in den vergangenen Jahren niemanden neben sich wirklich groß werden lassen.

STANDARD: Was wird sich ändern, wenn Suu Kyi oder einer ihrer Vertreter aus der NLD an der Macht ist?

Bannach: Das oberste Gebot, das sich die Partei auf die Fahne geschrieben hat, ist Rechtsstaatlichkeit. Die Menschen im Alltag, aber auch die Wirtschaft brauchen dringend verlässliche Regeln, an die man sich halten kann, weil sonst nur zählt, wen man kennt. Das Vertrauen in die Behörden und die Regierung ist gering, viele fühlen sich betrogen, hintergangen. Die Menschen erwarten sich von Suu Kyi aber auch mehr Jobs und bessere Bildung. Kurz gesagt sind die Erwartungen sehr hoch, und sie werden sehr schwierig zu erfüllen sein.

STANDARD: Wird die Armee einen Sieg Suu Kyis akzeptieren?

Bannach: Die Signale waren jüngst sehr positiv. Der Oberbefehlshaber hat immer wieder betont, dass er auch einen Sieg der NLD akzeptieren würde. Das Militär hat diese Wahl schließlich erst zugelassen, obwohl es im Vorfeld genügend Gründe gehabt hätte, sie zu verschieben, etwa wegen der Flutkatastrophe. Egal wie die Wahl ausgeht, wird die Armee das Land weiterhin nachhaltig politisch beeinflussen können. Laut Verfassung hat die Armee noch immer eine sehr starke Vetomacht im Parlament und besetzt die wichtigsten Ministerien, nämlich das Grenz-, das Innen- und das Außenministerium. Der mächtige Sicherheitsrat kann außerdem die Verfassung jederzeit wieder außer Kraft setzen. Die Hoffnung ist nun, dass die Armee sich auf diese Sicherheiten zurückzieht. Es gibt aber noch immer Grenzen, so wurden kürzlich kritische Studentenführer auf offener Straße verhaftet.

STANDARD: Ethnische Rebellengruppen bekämpfen die Zentralregierung seit Jahrzehnten. Wie könnte es unter einer neuen Regierung mit den Friedensverhandlungen weitergehen?

Bannach: Das Hauptprojekt des amtierenden Präsidenten Thein Sein war die Unterzeichnung eines nationalen Friedensabkommens, was ihm nur mittelmäßig gelungen ist, weil es nur von acht der 16 anerkannten Bevölkerungsgruppen getragen wird. Zudem ist es ein sehr schwaches Abkommen, das den Namen kaum verdient. Ein Grund für die Zurückhaltung mancher Gruppen ist wohl, dass man die neue Regierung abwarten will. Wenn jetzt Suu Kyi tatsächlich über die Regierung bestimmt, wird das für Unruhe sorgen, weil erstens das Vertrauen komplett neu aufgebaut werden muss und zweitens das Militär eingebunden werden muss, was der neuen Regierung schwerer fallen wird als der alten, die armeenah war. Indem der nationale Vertrag jetzt nicht unterzeichnet wurde, hat man eine Riesenchance verpasst. Die Zeichen für Frieden standen vor der Wahl so gut, wie es danach eigentlich nicht mehr sein kann. Ein möglicherweise schwacher Präsident unter Suu Kyi wird nicht die notwendigen Kontakte haben. Und eine neue Regierung dürfte nicht das Mandat zur Lösung der essenziellen Fragen über eine neue dezentrale Staatsstruktur haben.

STANDARD: Wie steht es um das Verhältnis von Buddhisten und Muslimen, das in der Vergangenheit sehr angespannt war?

Bannach: Einige radikalisierte Mönche haben im Wahlkampf starken Einfluss auf die Politik und die Gesetzgebung genommen. Ihre Organisation Ma Ba Tha wird das Land nachhaltig verändern. Selbst wenn die Wahl eine Partei an die Macht bringt, die diesen Leuten kritisch gegenübersteht, wird es schwer sein, diesen Geist wieder zurück in die Flasche zu verfrachten. Konkret hat sich keine Partei getraut, muslimische Kandidaten aufzustellen. Unter der alten Regierung hatten Muslime hingegen noch politische Vertreter.

STANDARD: Wie wird sich der Einfluss Chinas auf das weit kleinere Burma entwickeln, wenn dort eine neue Regierung an die Macht gelangt?

Bannach: Burma ist nicht der Vasall Pekings, als der es im Westen oft dargestellt wird. Natürlich hat das Regime während der westlichen Sanktionen in den 90er-Jahren China die Tür geöffnet, weil es der einzige Partner war, mit dem Burma große Projekte durchführen konnte. Einerseits ist Chinas Einfluss in den vergangenen zwanzig Jahren in allen Bereichen stark gestiegen, andererseits ist auch das Ressentiment der Bevölkerung gegenüber den manchmal rabiat agierenden Chinesen stark gewachsen. Es wird gemunkelt, dass die Öffnung der Regierung gegenüber dem Westen auch dem Wunsch entspringt, sich aus der chinesischen Einflusssphäre hinauszubewegen. (Florian Niederndorfer, 9.11.2015)