Helmut Schmidt 2015 bei Sandra Maischberger.

Menschen bei Maischberger

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Helmut Schmidt bei einem Treffen mit dem chinesischen Premierminister Li Keqiang in Berlin 2013.

Foto: ap

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Helmut Schmidt im August 2012 im ausverkauften Münchner Volkstheater.

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Kanzler Helmut Schmidt mit US-Präsident Ronald Reagan und dem Westberliner Bürgermeister Richard von Weizsäcker 1982 in Berlin.

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Helmut Schmidt 1982 mit seiner Frau Hannelore "Loki" Schmidt. Sie starb im Oktober 2010.

Foto: APA/EPA/WULF PFEIFFER

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Helmut Schmidt 1975 in Bonn.

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1975 in Bonn beim Besuch von US-Präsident Gerald Ford.

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Schmidt 1974 mit dem französischen Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing.

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Interview mit Helmut Schmidt aus dem Jahr 1966.

Leonard Dietrich

Eingemischt hat er sich bis ins hohe Alter. Aber kaum jemand nahm es Helmut Schmidt übel, nicht einmal die Sozialdemokraten, an deren Politik er gelegentlich auch etwas auszusetzen hatte. Im Gegenteil: Kein Altkanzler hat in Deutschland so große Verehrung genossen wie "Schmidt-Schnauze", wie er seit vielen Jahren wegen seiner pointierten Sprüche genannt wurde. Zum Schluss wagte auch keiner mehr zu widersprechen, denn es war ja keiner mehr da, der so viel miterlebt hatte wie der nun 96-jährig Verstorbene.

Auf die Welt kam Schmidt am 23. Dezember 1918 in Hamburg. Er zählte noch zu den deutschen Politikern, die die Front während des Zweiten Weltkriegs nicht nur aus Berichten kannten. Schmidt war an der Ostfront an der Leningrader Blockade beteiligt. Nach dem Krieg studierte er in seiner Heimatstadt Hamburg Volkswirtschaftslehre und war danach in der Wirtschaftsbehörde der Stadt Hamburg tätig.

Geprägt vom Krieg

Antrieb für seinen politischen Werdegang waren die Schrecken des Nationalsozialismus. "Wir kamen aus dem Kriege, wir haben viel Elend und Scheiße erlebt im Kriege, und wir waren alle entschlossen, einen Beitrag dazu zu leisten, dass all diese grauenhaften Dinge sich niemals wiederholen sollten in Deutschland", sagte er einmal.

Im Winter 1962 – er war gerade Innensenator in Hamburg – wurde Schmidt über Nacht deutschlandweit bekannt. Von der Sturmflut an der deutschen Nordseeküste war auch Hamburg massiv betroffen, immer größere Wassermassen wurden in die Hansestadt gedrückt. Schmidt koordinierte den Rettungs- und Katastropheneinsatz, er rief eigenmächtig die Bundeswehr zu Hilfe, diese rettete viele Menschen vor dem Ertrinken und Erfrieren.

Wunschnachfolger Brandts

Danach war klar, dass einer wie Schmidt auch für höhere Ämter qualifiziert ist. Er ging nach Bonn, wurde SPD-Fraktionschef (1966 bis 1969), danach unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) Minister (Verteidigung, später Wirtschaft und Finanzen). 1974 musste Brandt, zu dem Schmidt ein distanziertes Verhältnis hatte, zurücktreten, weil aufflog, dass einer seiner engsten Mitarbeiter, Günter Guillaume, ein ostdeutscher Spion war. "Der Helmut muss das machen", erklärte Brandt bezüglich seiner Nachfolge. Und Schmidt gestand Jahre später: "Ich war tief erschrocken." Er traute sich das Amt des Bundeskanzlers nicht zu, willigte aber ein, als sich Brandt bereiterklärte, weiter SPD-Chef zu sein. Gemeinsam mit Fraktionschef Herbert Wehner bildeten sie die legendäre SPD-Troika. Jahre später beklagte Schmidt, die Trennung der Ämter (Kanzler, Parteichef) sei ein Fehler gewesen. Immer wieder geriet er mit Brandt aneinander. Während dem Visionär Brandt eine große linke Volkspartei vorschwebte, wollte Pragmatiker Schmidt die Wähler der Mitte nicht vergessen und trat für einen deutlich wirtschaftsfreundlicheren Kurs ein.

Die sozialliberale Koalition Schmidts, die bis 1982 hielt, hatte von Beginn an mit den Folgen der damaligen Weltwirtschaftskrise zu kämpfen. Schmidt setzte auf eine bessere internationale Zusammenarbeit in der Wirtschafts- und Währungspolitik, das Verhältnis zu Frankreich war während seiner Kanzlerschaft sehr eng.

RAF-Terror

Untrennbar bleibt Schmidts Name aber mit dem Terror der Rote Armee Fraktion (RAF) und dem "Deutschen Herbst" 1977 verbunden. Die RAF versuchte die Bundesrepublik zu erpressen, wollte den entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer gegen elf inhaftierte RAF-Terroristen tauschen. Wieder war Schmidt als Krisenmanager gefragt. Er blieb hart, verweigerte den Austausch – und Schleyer wurde daraufhin ermordet. Als Schmidt davon erfuhr, brach er in Tränen aus, erklärte aber einen Tag später im Bundestag, ein Staat dürfe sich nicht erpressen lassen: "Zu dieser Verantwortung stehen wir auch in Zukunft. Gott helfe uns!"

Von jener Beliebtheit, die Schmidt im hohen Alter entgegengebracht wurde, war er während seiner Kanzlerschaft übrigens weit entfernt. Umstritten war nicht nur sein atomenergiefreundlicher Kurs, sondern auch sein Bemühen um den Nato-Doppelbeschluss. Schmidt war überzeugt: Als die Sowjets Mitte der 70er-Jahre ihre auf Westeuropa gerichteten atomaren Mittelstreckenwaffen durch moderne SS-20-Raketen ersetzten, war das Gleichgewicht in Europa in Gefahr. Er machte sich für die Aufrüstung der Nato stark – und trug damit wesentlich zum Entstehen und Erstarken der Grünen bei.

Einsilbiger Nachfolger

Auch in der SPD-FDP-Koalition wurden die Differenzen immer größer. 1982 traten die FDP-Minister (darunter Otto Graf Lambsdorff) zurück, durch ein konstruktives Misstrauensvotum wurde Helmut Kohl (CDU) zum neuen Kanzler gewählt, er regierte bis 1998 mit der FDP. "Adenauer hatte noch vier Silben, Kiesinger noch drei. Inzwischen werden die Bundeskanzler immer einsilbiger", ätzte der weltgewandte Schmidt über seinen Nachfolger.

Nach dem Ende seiner Kanzlerschaft zog er sich nicht völlig zurück, sondern wurde Mitherausgeber der "Zeit". Bis hoch in seine 90er-Jahre nahm er regelmäßig an Redaktionskonferenzen teil – natürlich nicht ohne seine geliebten Mentholzigaretten. Schmidt war der einzige Bürger, der in Hamburg auch im Rathaus rauchen durfte, in TV-Studios und bei SPD-Parteitagen, wo er umjubelt wurde, sowieso. Nicht nur diese Leidenschaft teilte er mit seiner Frau Hannelore, genannt Loki. Mit ihr war Schmidt 68 Jahre lang verheiratet, sie starb 2010. Im März 2015 gestand er, sie während der langen Ehe betrogen zu haben. Die Deutschen verziehen ihm auch das.

Der Altkanzler war Anfang September in Hamburg wegen eines Blutgerinnsels am Bein operiert worden. Nach gut zwei Wochen verließ er das Krankenhaus und kehrte in sein Haus in Hamburg-Langenhorn zurück. "Die Entlassung erfolgte auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten", hatte die Asklepios-Klinik St. Georg damals erklärt. (Birgit Baumann, 10.11.2015)