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Typ-1-Diabetiker, die ihre Insulindosis selbst anpassen, müssen mindestens viermal täglich ihren Blutzucker messen.

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Ein Chip an der Haut soll die Stiche ersetzen. Allerdings ist das neue System nicht gerade günstig: Ein Beginnerpaket mit Lesegrät und zwei Sensoren kostet 169,90 Euro.

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Wien – Ein Bild, das viele Beobachter zum Staunen bringen dürfte: Ein Mann um die 50 trägt am hinteren linken Oberarm einen Kunststoffknopf, groß wie eine Zwei-Euro-Münze. Kurz vor dem Essen schaltet der Typ-1-Diabetiker sein Zuckermessgerät ein und streift damit über dieses kreisrunde Stück, das fest an seiner Haut klebt – und schon wird sein aktueller Blutzuckerspiegel angezeigt.

Werden Zuckerkranke nun also zu Cyborgs? Kein Fingerstechen mehr? Keine Bluttropfen mehr, die man auf schmale Teststreifen auftragen muss? Was hier so verwendet wird, als wäre es die pure Selbstverständlichkeit, einen Chip an der Haut zu tragen, ist das Messsystem Freestyle Libre des US-amerikanischen Herstellers Abbott Diabetes Care. Es kam als das erste nichtinvasive Messsystem 2014 auf den Markt, das auch tatsächlich funktioniert.

Ohne Schmerzen

Das Unternehmen, das jedem Interessenten zur persönlichen Einschulung zur Österreich-Zentrale in Wien bittet, nennt die Technik "Flash Glucose Monitoring". Sie besteht aus einem Sensor, der nicht dicker als ein Haar ist und sich an der Unterseite des kreisrunden Kunststoffteils befindet, und dem Scanner im Messgerät. Der Sensor wird durch eine Stempelung in das Unterhautfettgewebe eingeführt und bleibt auch dort dank des an der Haut festgeklebten Kunststoffs – 14 Tage lang.

Dann muss die Prozedur mit neuem Sensor wiederholt werden, und zwar am zweiten Oberarm, damit sich die Haut des anderen erholen kann. Weder das Anbringen noch das Herunternehmen des Sensors verursacht Schmerzen. Hautreizungen treten nur selten auf. Auch Duschen sollte dem Sensor nichts anhaben.

Beim Sport schwitzt die Haut, wird feucht. Das dürfte vereinzelt schon dazu geführt haben, dass sich das gute Stück löst. Einige Diabetiker, die mit dem Freestyle schon Erfahrung haben, empfehlen Duschpflaster zu verwenden. Damit wäre man sozusagen auf der sicheren Seite. Die Rückseite des Oberarms ist übrigens die einzige zugelassene Stelle für das Messsystem, da in den Zulassungsstudien dort die Daten erfasst wurden.

Vergleiche sind möglich

Zucker messen, als stünde man an der Supermarktkassa: ein ungewohntes Gefühl. Der Sensor des Freestyle Libre funktioniert aber auch mit herkömmlichen Messstreifen. Man kann also die Werte vergleichen. Das dürfte besonders beim Umsteigen auf den Libre hilfreich sein, denn in der Gewebeflüssigkeit ist noch mehr Zucker enthalten als im Blut. Als Scanner kann das System also 200 Milligramm pro Deziliter anzeigen, während es als traditionelles Bluttropfenmessgerät verwendet nur mehr 150 Milligramm pro Deziliter auf dem Display stehen hat.

Hier hilft die Trendanzeige des Geräts: Ein Pfeil zeigt entweder nach oben, nach unten oder liegt waagrecht auf dem Bildschirm. Danach sollte man als Typ-1-Diabetiker seine Insulingaben berechnen – und wird nie in eine Unterzuckerung geraten. Typ-1-Diabetiker, die ein Leben lang künstliches Insulin spritzen müssen, weil ihre Bauchspeicheldrüse aufgehört hat, das lebenswichtige Hormon zu produzieren, dürften sich vermutlich über den Freestyle Libre freuen. Sie müssen mehrmals am Tag messen – und es gibt Situationen, in denen das Auftragen des Bluttropfens gar nicht passt: mitten in der U-Bahn etwa mit neugierigen Augen, die auf den Patienten gerichtet sind.

Typ-2-Diabetiker haben genug Insulin, nur wird es vom Muskelgewebe schlecht oder gar nicht aufgenommen: Sie werden mit Medikamenten auf einen "gesunden" Zuckerspiegel "eingestellt", um die gefürchteten Folgen eines zu hohen Blutzuckerspiegels nicht fürchten zu müssen: Herzinfarkt, Schlaganfall, Blindheit sind darunter. Aber auch bei diesen Zuckerkranken hat das Freestyle-System offenbar Erfolge gezeigt. Abbott berichtet von verbesserter Blutzuckerkontrolle durch die neue Technik.

Keine Kostenübernahme durch Krankenkasse

In einer zweiten Studie wurden aber auch kürzere Hypoglykämiezeiten (mit Schwindel, Verwirrung und Zittern verbundene Unterzuckerungen) bei Typ-1-Diabetikern nachgewiesen.

Nichtinvasive Zuckermesssysteme liegen offenbar im Trend. Google möchte mit Novartis eine Kontaktlinse mit Sensor entwickeln. Die Markteinführung wird nicht vor 2020 erwartet. Freilich handelt es sich dabei um Entwicklungen, durch die auch die Sozialversicherungen vor neuen Herausforderungen stehen.

Eine Rückvergütung des Freestyle Libre ist noch nicht flächendeckend erreicht – in Wien muss derzeit noch jeder Patient die Technologie aus der eigenen Tasche bezahlen, oder bei herkömmlichen Systemen bleiben. Für ein Beginnerpaket mit Lesegrät und zwei Sensoren gilt es da immerhin 169,90 Euro zu berappen, jeder weitere Sensor kostet 59,90 Euro. Derzeit wird über die Übernahme der Kosten verhandelt. Eine Einigung will man noch im heurigen Jahr erzielen. (Peter Illetschko, 10.11.2015)