Tee? Immer gut! Heiß und braun ist die Brühe, weniger durchsichtig, als man das von Kräuter- und Blätteraufgüssen gewohnt wäre. Schmeckt ein bisschen erdig. Kaw U lacht, nimmt Erde vom Boden, zerreibt sie zwischen den Fingern, bis sie zu Staub zerfällt, und deutet mit einer rührenden Bewegung auf den Teekessel. Das sei Tradition bei den Ann, sagt sie. "Die Blätter sind gut für den Geschmack, und die Erde ist gut, um sich mit dem Boden zu verbinden."

Kaw U ist eine von rund 5.000 Ann, die heute noch in Burma leben. Das Bergvolk im äußersten Osten Burmas, im sogenannten Goldenen Dreieck zu den Ländern China, Laos und Thailand, ist eine der kleinsten Minderheiten im Land – mit eigener Sprache, eigener Kultur, eigenen Ritualen. Mittlerweile sind die Ann vom Aussterben bedroht. Das liegt nicht zuletzt an den strengen sozialen Regeln, die sie haben: etwa am Verbot, Frauen aus anderen Stämmen zu heiraten, oder an der Tradition, neugeborene Zwillinge zu töten, weil diese in ihrem animistischen Glauben Unglück bringen.

Die Frauen der Ann färben ihre Zähne schwarz.

"Mach ein Foto von den Ann, solange es sie noch gibt", sagt Reiseführer Sai Tint Zaw Tun im Scherz. Der 29-Jährige, der sich für die Touristen David nennt, ist ausgebildeter Maschinenbauingenieur. Nachdem er in der Region keinen Job kriegt, weil die burmesische Regierung den Shan-Staat im Osten des Landes seit Jahrzehnten aushungern lässt, ist er als Guide tätig. Er hat sich auf Führungen zu den Bergvölkern nördlich der Provinzhauptstadt Keng Tung spezialisiert, zu den Ann, Akha, Lahu und Loi.

Sich selbst überlassen

"Es ist nicht leicht, hier zu überleben", sagt Sai Tint. "Der ethnische Mix ist so heterogen und politisch so schwierig zu repräsentieren, dass man in der Hauptstadt Naypyidaw scheinbar beschlossen hat, die Minderheiten im Osten – da, wo der Opiumanbau floriert und die damit handelnden Nachbarstaaten nicht weit weg sind – der Kriminalität und sich selbst zu überlassen." Touristen verirren sich nicht oft hierher. Laut dem lokalen Tourismusbüro sind es pro Jahr nicht mehr als 1.000 bis 2.000 westliche Besucher, und das trotz eines unwiderstehlichen Lächelns der hier lebenden Damen.

Kaw U hat noch ein bisschen Tee gemacht. Kommt wieder zurück, diesmal in Festtagskluft aus schwarzem Leinen, magentafarbenen Ziernähten und einem Bündel Alu- und Textilschmuck in den Ohrlöchern. Jetzt, wo das geschmacksintensive Geheimnis gelüftet ist, muss man kurz in sich gehen und darüber sinnieren, ob man das Angebot ausschlagen darf oder nicht. Kaw U jedoch, die 43-jährige verheiratete Frau, weiß genau, wie sie ihre Reize einzusetzen hat: Sie kneift die Augen zusammen und betört die Gäste mit ihrem unwiderstehlichen schwarzen Gebiss.

Büffel sind selten geworden, seit die Chinesen sie aufzukaufen begonnen haben.
Foto: Wojciech Czaja

Sepia, man ahnt es bereits, ist hier oben auf 1.200 Meter Seehöhe ein rares Nahrungsmittel, und so verflüchtigt sich der Gedanke rasch, dass schwarzes Tintenfischsugo für die Färbung verantwortlich sei. Ob das vielleicht vom vielen Tee kommt? Der Ausflug ins kleine Bergdörfchen Wan Pyin, wo ein paar Dutzend Ann leben, wird immer rätselhafter. Maschinenspezialist und Kulturenübersetzer Sai Tint klärt auf: "Nein, das sind weder Tintenfische noch Schmieröl. Die schwarzen Zähne kommen vom regelmäßigen Einrußen, also vom Einreiben mit Fett und verkohlter Baumrinde."

Der Hund kommt in den Kochtopf – unter Umständen

Je nach Nachlassen der Schwärzung muss die Methode, die der Mundhygiene dient, alle paar Wochen wiederholt werden. Sie soll als Schutz gegen Keime dienen und unterscheidet die bereits verheirateten Frauen von den noch zu habenden. "Und von den Hunden", wie Kaw U ohne Scham anfügt. Was insofern eine praktische Unterscheidungsmaßnahme sei, als die Vierbeiner bei den Ann in den Kochtopf gesteckt werden, wenn die Hühner mal dürr und die Schweine bereits aufgegessen sind.

Die Hütten stehen auf Stelzen
Foto: Wojciech Czaja

"Tee?" Also, ja! Solange er nur vegetarisch ist. Kaw U gießt ein und freut sich. Jetzt hat der Geschmack richtig angezogen. "Die Ann sind absolute Selbstversorger", sagt Sai Tint. "Alles, was sie zum täglichen Leben brauchen, ist hier im Dorf." Fleisch, Gemüse, Reis. Von Letzterem gibt es eine Menge, denn die Berghänge rund um das kleine Dörfchen Wan Pyin sind voll von immergrünen Reisterrassen. Auf den terrassierten Feldern trifft man einander, Freunde und Angehörige vom eigenen Stamm, aber auch fremde Ethnien aus den Nachbartälern. Im Reisfeld sind alle Menschen gleich, sagt man.

Büffelausverkauf

Früher noch, erzählt der Guide, habe es in Keng Tung alle fünf Tage einen Wasserbüffelmarkt gegeben. In den meisten Reiseführern wird der Markt noch gelistet. "Doch seit die Chinesen vor ein paar Jahren gekommen sind und für die Büffel viel Geld auf den Tisch gelegt haben, weil sie sie selbst benötigen, sind fast alle Tiere drüben, keine 30 Kilometer von hier." Seitdem müssen die Ann und die benachbarten Akha ausschließlich mit der Hand arbeiten. Die Arbeit ist anstrengend, die Ausbeute gering.

Foto: Wojciech Czaja

Kaw U hat ausgetrunken und führt ins Haus hinein. Unter dem Blechdach hängen geräucherte Fleischstücke, die früher mal gegrunzt und gebellt haben, in Körben im Gebälk liegt Gemüse, auf dem Boden wird, ausgebreitet auf geflochtenen Matten, der Reis zum Trocknen gelagert. "Jetzt weißt du auch, warum die Holzhäuser hier alle auf Stelzen stehen", sagt Sai Tint. "Es ist wegen der Tiere. Am Abend klappen die Ann die Leitern hoch. So schützen sie ihre Nahrungsmittel vor ungebetenem Besuch."

Keine Überschüsse

Nur selten bleibt Essen übrig, seit die Büffel ausgewandert sind. "Früher sind die Ann und Akha einige Male pro Woche nach Keng Tung gefahren, um dort ihren überschüssigen Reis zu verkaufen. Aber heute? Wozu denn!" Die Ausflüge in die Stadt sind selten geworden. Die Motorräder stehen meist ungenutzt unter dem Holzhaus. Manchmal nur klettert ein Hahn, sofern er von vielen Kämpfen nicht schon völlig zerbissen und zerrupft ist, auf die Lenkstange und blickt hinunter ins Tal.

Foto: Wojciech Czaja

Mehr und mehr reißen die Kontakte zu den anderen Ethnien ab. Daran werde auch die Wahl nichts ändern, meint Sai Tint. "Die Bergvölker im Shan-Staat waren dem Militär damals wie heute ein Gräuel. Am liebsten wäre ihnen, wenn sie gar nicht mehr existierten." Auch Touristen sind im Shan-Staat nur bedingt willkommen.

Der Kontakt zu den Ann und Akha hier oben in den Bergen ist nur untertags gestattet. Abends muss man die Region wieder verlassen. Die Kontrollen sind streng. Offiziell, heißt es seitens der bisherigen Regierung, möchte man damit die Autonomie der Ethnien schützen. "Das ist ein Blödsinn. Die Einzige, die die Ethnien in Myanmar respektiert, ist Aung San Suu Kyi", sagt Sai Tint über die Wahlsiegerin.

Der Erdtee ist ausgetrunken. Ob wir noch zum Essen bleiben wollen? Kaw U weiß, was sie mit dieser Frage bewirkt. In ihrem Gesichtsausdruck liest man ein stummes "Wuff-wuff". Und da ist es wieder, dieses Zwinkern mit den Augen, dieses düstere Grinsen. Schwarzer Humor aus Burma. (Wojciech Czaja, RONDO, 15.11.2015)