Nicht überall fühlen sich Mütter in die Schulbildung so eingebunden wie in Österreich oder Deutschland.

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In der Türkei ist das Sichverlassen auf die Schule stärker, so Helga Kotthoff.

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STANDARD: Sie forschen aktuell über die Kommunikation zwischen Eltern und Lehrpersonal – und fokussierten sehr schnell auf die Mütter. Warum?

Kotthoff: Es stellte sich in den Gesprächsaufnahmen heraus, dass es fast nur Mütter sind, die diese Gespräche mit Lehrerinnen und Lehrern führen. Mütter erzählen mit einem unglaublichen Detailreichtum, was mit den Kindern zu Hause verhandelt wird, und es zeigt sich, dass Mütter sehr stark eine Identität der Co-Lehrerin haben – und sie sind auch Co-Lehrerinnen! Die Pädagogin Heidi Schrodt hat mir bestätigt, dass unsere Schulsysteme, das deutsche genauso wie das österreichische, voll mit dem Einsatz der Eltern, im Klartext der Mütter, rechnen. Das ist ein halbbewusstes Wissen: Die Mütter wissen, dass sie in der Schule diese Identität zum Anschlag bringen müssen. Migrierte Mütter machen das hingegen nicht, erstens weil sie nicht immer die Deutschkenntnisse haben und zweitens weil sie diese schulischen Realitäten gar nicht so durchschauen können.

STANDARD: Wie kamen Sie auf die Untersuchung der Gespräche zwischen Eltern und Lehrpersonen?

Kotthoff: Es gibt zu dieser Gesprächsform im deutschsprachigen Raum kaum Literatur, und sie ist völlig unerforscht. In anderen Ländern mit anderen Schulsystemen gibt es diese Co-Lehrerinnen-Identität viel weniger, z. B. in Frankreich, wo die Schule erst um fünf endet. Bei uns haben die Kinder zum Beispiel die Hausaufgabe, eine Powerpoint-Präsentation zu machen, was in der Schule nicht vorbereitet wurde. Und dann setzen sich die akademischen Eltern hin und machen das mit ihnen. Doch was machen die Eltern, die selbst noch nie eine Powerpoint-Präsentation gemacht haben? Die Schule spiegelt diese Seite von sich selber. Es gibt eine Verbindung von Mikro und Makro: Wir wissen aus der soziologischen Makroebene, dass sich in den deutschsprachigen Gesellschaften die Herkunft im Bildungssystem extrem durchschlägt. Kinder aus gebildeten Haushalten kommen hochprozentig ans Gymnasium, die anderen nicht. Und diese Identitäten führen die Mütter auf der Mikroebene vor.

STANDARD: Die starke soziale Selektion des Bildungssystems wird durch das implizite Wissen der Mütter, Co-Lehrerin sein zu müssen, verstärkt?

Kotthoff: Ja, einerseits können das nicht alle, doch wenn es eine Mutter kann, wirkt das auf Lehrer und Lehrerinnen sehr kompetent. Bis vor kurzem waren in Deutschland die Empfehlungen der Lehrer und Lehrerinnen für den weiterführenden Schulweg noch bindend. Und in meinen Interviews mit Lehrpersonen sagen diese: Ja klar, wenn die Mutter Akademikerin ist, dann bringt die ihre Tochter schon durchs Gymnasium. Heidi Schrodt macht in ihrem Buch Sehr gut oder Nicht genügend? Schule und Migration in Österreich klar, dass etwa auch türkischstämmige Eltern sehr bildungsorientiert sind, aber sie trauen sich oft nicht in die Schule und zu den Elternsprechtagen. Sie wissen oft nicht, wie sie sich verhalten sollen, und sprechen womöglich gebrochenes Deutsch. Und sie haben auch dieses implizite Wissen über ihre Rolle nicht. In der Türkei gibt es etwa dieses Sichverlassen darauf, dass das Elternhaus ausgleichend wirken muss, nicht. Das Sichverlassen auf die Schule ist viel stärker.

STANDARD: Wechseln wir zu einem anderen großen Forschungsgebiet von Ihnen, dem Humor. Vor Jahren haben Sie unter anderem festgestellt, dass Männer die Witze reißen und Frauen darüber lachen. Gilt das noch?

Kotthoff: Das war ein Forschungsergebnis aus den 1980er-Jahren und gilt nur noch für sehr wenige Kontexte, konkret für sehr hierarchische. Es geht auch nicht nur darum, dass Männer Witze machen, sondern sehr statushohe Männer. In vielen Krankenhäusern gibt es zum Beispiel steile Hierarchien, in solchen Kontexten werden witzige Bemerkungen auch über anwesende rangniedrigere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gemacht. So etwas können sich nur Menschen in sehr hohen Positionen leisten, und da sind nun einmal nicht viele Frauen.

STANDARD: Das heißt, soziale Hierarchien entscheiden darüber, wer welche Witze machen darf?

Kotthoff: Es geht nicht nur um Männlichkeit, sondern das Auftreten in Gesprächen ist immer mit anderen Faktoren verbunden. Ich spreche lieber von Scherzkommunikation, weil Humor vor allem im Deutschen stark eine psychologische Lesart hat; etwa man hat Sinn für Humor oder nicht. Wenn zum Lachen eingeladen wird, dann ist das im weitesten Sinne Scherzkommunikation. Bei grober oder missratener Scherzkommunikation würden Laien vielleicht sagen, das ist für mich gar kein Humor. Neutrale Begriffe zu verwenden ist auch für die Forschung wichtig, die im englischen Sprachraum im Übrigen viel stärker verankert ist. Vor allem in Deutschland liegt das daran, dass man durch die Beschäftigung mit nicht seriöser Kommunikation selbst schon im Bereich des Nichtseriösen ist. Das ist ziemlich verklemmt.

STANDARD: Bei Scherzkommunikation ist oft ein Riesenthema: Was darf man? Was geht nicht mehr?

Kotthoff: Grundsätzlich gilt, dass es einen ganz großen Unterschied macht, ob innerhalb oder außerhalb der Gruppe gescherzt wird. Innerhalb der "Ingroup" geht mehr oder weniger alles. Zum Beispiel, wenn eine Gruppe von behinderten Menschen miteinander lebt oder viel Zeit miteinander verbringt, dann dürfen die auch über die Behinderungen Witze machen. Das ist Binnenhumor, und der ist Außenstehenden nicht gestattet. Dass Blondinen in Witzen immer als doof hingestellt werden, dagegen müssen wir uns aus der Außenperspektive wehren. Aber wenn eine Gruppe blonder Mädchen sich solche Witze erzählt und sich so von diesem Typus abgrenzt, dann hat das eine andere Funktion, als wenn im Herrenklub Blondinenwitze gemacht werden – das ist dann klar diskriminierender Humor. Doch auch innerhalb jeder Gruppe gelten persönliche Geschmacks- und Empfindlichkeitsgrenzen. Insofern muss es grundsätzlich akzeptiert werden, wenn jemand diese Scherze ablehnt.

STANDARD: Auf Hinweise, dass ein Witz verletzend war, folgt selten Verständnis. Warum?

Kotthoff: Weil jeder Scherz Performance-Qualitäten hat und die, die diese Scherze machen, sehr empfindlich sind, wenn die Performance nicht ankommt. Insofern ist es immer auch eine persönliche Zurückweisung. Das zeigt auch, wie extrem dicht diese Form der Kommunikation ist, sie hat immer eine kognitive Seite, eine soziale – also was trägt sie zum Gruppenzusammenhalt bei, unterläuft oder bestätigt sie Hierarchien? Und dann hat sie auch eine psychische Seite, die helfen kann, mit bestimmten Defiziten umzugehen. (Beate Hausbichler, 11.11.2015)