Wer kann schon wissen, was dieser Mann tatsächlich denkt: Joaquin Phoenix als "Irrational Man".

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Wien – Wenn Abe Lucas (Joaquin Phoenix) Philosophie unterrichtet, jongliert er nur mit großen Namen. Kant und Kierkegaard liefern die Vorlagen für seine Ausführungen über Ethik und Moral – und darüber, wohin das Leben einen führen kann. In seinem eigenen hat es Abe allenfalls zu einem Alkoholproblem und zu zweifelhaftem Ruhm sowie an ein College nach Newport gebracht.

Der Ruf, der ihm vorauseilt, ist immerhin so bedenklich, dass Abe schlagartig der interessanteste Mensch auf diesem langweiligen Campus ist. "Angst ist der Schwindel der Freiheit", zitiert er Kierkegaard, doch der war bekanntlich überzeugter Christ, während Abe bloß zweifelnder Philosoph ist – und möglicherweise ein ängstlicher Schwindler.

Seit mindestens zehn Jahren sieht sich Woody Allen mit einer Erwartungshaltung konfrontiert, die seine nach wie vor im Jahresabstand entstehenden Filme einem sogenannten Alterswerk zuordnen möchte. Das macht die Rezeption jedes neuen Films für Publikum und Kritik allerdings noch schwieriger als im Autorenkino allgemein üblich, und Allen bereitet es offensichtlich Vergnügen, den Tonfall jeder Arbeit um nur so viel zu verändern, dass sie für eine Überraschung gut ist – oder, um einen der bekanntesten Allen-Titel in abgewandelter Form zu bemühen: Was Sie schon immer über Woody Allen wissen wollten, Sie werden es auch in Irrational Man nicht erfahren.

Doppelbödig und unglaubwürdig

Denn die Geschichte von Abe Lucas – oder jene, die er über sich erzählt – ist derartig doppelbödig und unglaubwürdig, dass sich sofort die Frage aufdrängt: Kann Woody Allen es tatsächlich ernst meinen, einen am Boden zerstörten Professor der Philosophie wieder aufzurichten, indem er ihn einen Mordplan schmieden lässt?

Das Gespräch, das Abe und seine Studentin Jill (Emma Stone) zufällig im Café mit anhören, lässt jedenfalls Abes Lebensgeister wieder erwachen: Eine gute Frau droht wegen eines bösen Scheidungsrichters ihre Kinder an den Ehemann zu verlieren – was wäre also, wenn die Bösen auf der Welt um einen weniger würden? Ohne erkennbares Motiv? Wäre die Möglichkeit für eine solche Entscheidung, frei von Moral und Gewissen, nicht grandios?

Mörder mit Sexappeal

Jill erliegt der Faszination des nicht nur im Klassenzimmer mit ungewöhnlichen Ideen aufwartenden Professors, der ihre kleine Collegewelt mit großen Gedanken bereichert. Joaquin Phoenix trägt seinen Bauch so stolz vor sich her, wie Abe um seinen existenzialistischen Sexappeal Bescheid weiß. Doch die Liebesaffäre zwischen Abe und Jill interessiert Woody Allen nur am Rande.

Vielmehr nützt er die Idee des perfekten Mords, die schon Hitchcock in Cocktail für eine Leiche nur als Vorwand für ein Psychokammerspiel verwendete, für eine satirische Moritat. Irrational Man behauptet zwar, dass die Worte und die Taten – also der Plan für einen Mord und seine Ausführung – (noch) nichts miteinander zu tun haben müssen, erzählt aber gleichzeitig davon, wie der Tat das Wort vorausgeht. Wie so oft bei Woody Allen wird auch dieser innere Kampf mit der Sprache und dem buchstäblich letzten Wort ausgefochten, gibt es diesen ständigen Zwang, sich ausdrücken zu müssen – für Abe obendrein als Lehrer den Schülern gegenüber -, während das Leben irgendwo da draußen an einem vorbeizieht.

Wie Versuchspersonen

Selbstverständlich fehlt diesen Figuren – Parker Posey als ebenfalls in Abe verliebte Kollegin komplettiert das Ensemble – jedes psychologische Fundament, sie funktionieren für Woody Allen wie Versuchspersonen, mit denen er lustvoll experimentiert.

Sogar die tückische Korrektur, mit der am Ende in scheinheiliger Weise die moralische Ordnung wiederhergestellt werden soll, kommt als billiger Taschenspielertrick eines Filmemachers daher, der weiß, dass das Leben ohnehin eine Farce ist. (Michael Pekler, 11.11.2015)