Drei Jahre lang tüftelte Asics in Japan am neuen Schuh Metarun, vergangene Woche wurde er gleichzeitig in London, New York und Tokio präsentiert. Zu kaufen gibt es ihn allerdings nur für wenige

Wie das mit der Rückgabe funktioniere, fragte die Kollegin vom Wochenmagazin. Und erntete Staunen: Rückgabe? Na ja, meinte die junge Dame, es könne doch nicht sein, dass man das Zeug behalten könne. Laufoutfit, Schuhe: Das könne doch unmöglich in ihren Besitz übergehen. Weil: "Das könnte ich mir privat derzeit nicht leisten. Und dann Flüge und Hotel: Das kann doch so nicht funktionieren."

Tut es aber. Das erklärten der Kollegin auf der Fahrt von Heathrow ins Hotel mehrere Journalisten. Die Dame staunte weiter, als sie im Hotel Tische und Sessel zählte: Für fast 100 Köpfe war eingedeckt. Und die Gastgeber betonten immer wieder, dass die auf jedem Fuzzi Papier angeführte Sperrfrist "absolut ernst" gemeint sei: Weil – zeitversetzt – die gleiche Veranstaltung auch in Tokio und New York stattfinde. Und es in einer vernetzten Welt zu den Spielregeln gehöre, dass niemand vorpresche.

Foto: Thomas Rottenberg

Es war die allererste Pressereise der Kollegin. Mit Fitness und Laufen, gab sie zu, habe sie nur am Rande zu tun: Sie schreibe über Ernährung und Gesundheit. Bisher sei ein Kochbuch ihre größte "Beute" gewesen. Sie wundere sich aber über noch etwas: "Da steht, dass die Vorstellung des Schuhs zwei Stunden dauert. Kann man über einen Laufschuh wirklich so lange reden?"

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Man kann. Locker. Und in einer von betriebsblinden Menschen bevölkerten Welt ist es segensreich erdend, wenn einer – oder eine – die Rolle des kleinen Kindes im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern übernimmt. Nur: Das geht genau einmal. Am Ende der Veranstaltung hatte sich die Kollegin akklimatisiert: Sie kannte die Codes, tat cool. Und sorgte sich lediglich darum, ob sich Schuhe und Laufgewand im Handgepäck ausgehen würden. Weil: "Der Schuh ist geil, und das Outfit auch." So einfach geht das.

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Aber vielleicht sollte diese Geschichte dort beginnen, wo sie begann: bei der Einladung nach London. Es gelte, den neuesten Schuh zu präsentieren und Probe zu laufen, schrieb die Agentur von Asics. Die Japaner hätten eine Sensation parat. Definierten Laufen neu. Der Schuh könne Dinge, die bislang kein Laufschuh gekonnt habe. Setze Standards.

Klar bin ich da neugierig. Und natürlich ist mir klar, dass solche Einladungen nicht nach Sympathie, sondern mit Kalkül verteilt werden. Und problematisch sind, will man sich nicht als tumber PR-Botschafter einspannen lassen. Andererseits: Kein Medium – weder hier noch sonstwo – könnte Reise-, Lifestyle- und Autoseiten, aber auch Kultur und Co füllen, ohne Einladungen, Freikartenkontingente oder Ähnliches anzunehmen. Die Frage ist, wie transparent man das spielt. Und ob man – in der Hoffnung auf Folgeeinladungen – zum Claqueur wird.

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Asics also. Nach eigenen Zählungen Schuhmarktführer im Laufsport. Ob 50 oder mehr Prozent Schuhe des 1949 in Kobe gegründeten Konzerns tragen, hängt von der Zählweise ab: Bei großen Events zählen die Hersteller. Und Asics sagt: Ganz vorne, in der Elite und bei den ganz Schnellen, ist der Markenmix groß. Weil da jeder den individuellen Spezialschuh sucht. Aber im Hauptfeld gelte: Asics führt.

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In Zahlen: Im globalen Sportschuhmarkt liegt Asics "nur" auf Rang fünf. Doch allein vom Kayano – Asics' bekanntestem gestütztem Laufschuh (der aber nur die zweitgrößte Linie hinter der Asics-GT-Serie ist)— verkauft man jährlich mehr als zwei Millionen Paar.

Der Kayano ist derzeit als Version 22 auf dem Markt. Er gilt als verlässliches Allroundmodell, strahlt aber – ähnlich wie alle "großen" Modelle – für die Masse genau das nicht aus, was man braucht, um das Image als "vorne dabei" immer wieder aufzupolieren: innovativ, mutig, frech oder gar sexy? Weder mit dem Kayano noch mit den GT-Schuhen strahlt man das aus. In Autos gesprochen: Ford. Oder Opel.

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Das ist normal – und ein Problem. Man kann an eingeführten, erfolgreichen Modellen ja nicht beliebig herumexperimentieren. Das Risiko, durch echte spürbare Veränderungen die Stammklientel zu verschrecken, ist zu groß. Bleibt nur eines: etwas Neues. Noch besser: die Revolution.

Normalerweise liegt bei einem Laufschuh zwischen den ersten Studien und der Markteinführung etwa ein Jahr. Entwicklungs- und Produktionskosten sind abgesteckt, ebenso Erwartungen und Zielvorgaben. Doch wenn man das Rad neu erfinden will, muss man weiter ausholen.

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Also bekam, so die offizielle Legende, Tsuoishi Nikiwaki, der Chef des Asics Institute of Sport Science (die Forschungsabteilung des Konzerns in Kobe), eine "Carte blanche": Geld, Zeit, Mitarbeiter, Ressourcen? Kein Thema. Der Traum jedes Entwicklers. Dass Nikiwaki fast drei Jahre tüftelte, wird offen kommuniziert. Wie hoch die Kosten waren, nicht. Aber dass im nun präsentierten Schuh vier neue Patente, zehn substanzielle Verbesserungen und fünf neue Technologien stecken, wurde – selbstredend – in London ausführlich berichtet.

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Das Ergebnis, den Metarun, stellte der Konzern mit den "Tigerstripes" eben vergangene Woche an drei Orten vor: London, Tokio und New York. Das Setting war startrekkig. Der Mediamix zeigte, wer Kernzielgruppe der "neuen Benchmark im Laufsport" sein soll: Jedermann- und Jederfrau-Läufer.

Jene Gruppe, in der man mit einem "Meta" irgendwann Meter machen will. Mainstreammedien also. Doch auch bei denen gebe es, hieß es im Off, Unterschiede: In Mittel- und Nordeuropa komme es bei Fitness auf Technik und Wirkung an, bei Südeuropäern zähle der Fashion-Faktor. Unabhängig vom Geschlecht.

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Die Fach-Schurnos hatten aber eine Funktion: Ihre Aufregung sollte anstecken. Ihre Expertise den Beweis liefern, dass man tatsächlich zwei Stunden über einen Schuh reden kann. Oder noch länger. Viel länger.

Thomas Rottenberg

Das Fachvolk lauschte dann auch tatsächlich ergriffen den Ausführungen von Tsuoishi Nikiwaki und Asics CEO für Europa, den Nahen Osten und Afrika, Alistair Cameron, zu den neuen Maßstäben, die der Metarun in den Kategorien Leichtigkeit, Stabilität, Passform und Dämpfung setzen soll.

Der Mix aus Fachvokabeln und Komponentensprech ("Flytefoam", "Adaptruss", Metaclutch", "Memory-Foam" und "X-Gel-Hybrid-Formel") klang gewaltig. Die dazu präsentierten Zahlen – etwa Gewichtsreduktion bestimmter Segmente um bis zu 55 Prozent, Erhöhung der Stabilität im Hinterfuß um fast ein Drittel und Steigerung der Fersendämpfung um 18 Prozent – gaben ja auch totalen Laien das Gefühl, eines zu verstehen: Hier kommt die Zukunft. Mehr Performance im besseren Schuh.

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Dann wurde natürlich probiert.

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Und zum individuellen Testlauf gebeten. Auf dem gleich neben dem Präsentationsort, einer Londoner Elitesportuniversität, gelegenen Sportplatz.

Foto: Thomas Rottenberg

Das Wetter war britisch. Nach ein paar Aufwärmrunden und ein bisserl Dehnen mit Mara Yamauchi, der zweitschnellsten britischen Marathonläuferin aller Zeiten, liefen wir ein bisserl im Kreis.

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Auf der Laufbahn. Das irritierte nicht nur mich: Dass der Schuh deutlich leichter als meine "gemütlichen" – also satt gedämpften – Laufschlapfen ist, hatte ich schon vor dem Probieren gespürt.

Dass mein Fuß dennoch stabil und gut fixiert, aber nicht gefesselt stand, hatte ich auf den 250 Metern Fußweg zur Bahn festgestellt. Aber ob Dämpfung und Stabilität tatsächlich konnten, was man uns versprochen hatte, konnte ich – und auch sonst niemand – hier unmöglich auch nur ansatzweise überprüfen.

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Wir liefen schließlich auf einer Bahn. Und die war so weich, dass ich vermutlich sogar in Holzpantoffeln elastisch und – gefühlt – impactlos dahingefedert wäre. Es hat einen Grund, dass Sprinter und andere Bahnläufer (abgesehen von Spikes) kaum etwas zwischen Fuß und Bahn haben. Der Metarun ist als Langstreckenschuh (wobei "lang" sehr subjektiv ist) für den Durchschnitts- und Hobbyläufer konzipiert. Also für Leute, die so gut wie nie auf der Bahn laufen.

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Auch ob das intelligente Innenleben des Schuhs – wie angepriesen – seine Stütze nicht nur der Pronation (laienhaft: dem Einknicken im Sprunggelenk) anpasst, sondern im Zuge eines Laufes bei der Veränderung von Laufstil und Fußstellung auch mitdenkt und – bis zu einem gewissen Punkt – auch Ermüdungs- und andere Fehlstellungen abschwächt, lässt sich in 20 Minuten nicht überprüfen.

Ich trage bei längeren und schnelleren Läufen trotz heftiger Fehlstellungen meist wenig bis kaum gedämpfte Schuhe. Darüber kann man diskutieren. Ich weiß aber mittlerweile, wann und wie meine Füße und Sprunggelenke "arbeiten". Und auch in diesem kurzen Training glaubte ich zu spüren, dass mir weniger Leistung als sonst abverlangt wurde. Erst recht bei höherem Tempo. Nur: Ich laufe auf diesem Boden und auf Tempo sonst eben anders.

Foto: Thomas Rottenberg

Die Frage nach Stütze, Führung und Dämpfung beantwortete ich mir tags darauf. Als ich den ganzen Tag durch London spazierte. Die Füße fühlten sich im Metarun dabei recht wohl. Aber: Gehen ist halt nicht Laufen.

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Erst danach, zurück in Wien, konnte ich die neuen Patschen – auch nicht wirklich lange – ausführen: ein paar Schönbrunn-Runden plus einmal quer durch die Stadt. Lockeres Tempo. Also zwölf Kilometer auf Asphalt und Schotter. An der Performance des Schuhs gab es nichts zu mäkeln. Das "fehlende" Gewicht sah ich in den Tempo- und Anstrengungsparametern. Oder bildete es mir, kraft des Marketings, ein. Das typische Schotter-Scheuer-Geräusch, das mich beim Laufen mit stark gedämpften Schuhen sonst gerne begleitet, sobald ich nach ein paar Kilometern ins unsaubere Laufen kippe, fehlte zur Gänze.

Nur: Ich laufe eben selten so gedämpft und geführt – und wenn, dann nur, um meinen Füßen Erholung zu gönnen. Bei Läufen mit gemütlichen Schuhen bedankt sich mein Fuß nachher für die Wellnessbehandlung. Wie viel mehr der Metarun da tatsächlich bringt? Kann ich echt nicht sagen.

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Bleibt noch eine Frage: ob ich ihn auch kaufen würde. Doch die stellt sich zum Glück nicht. Weniger, weil wir die Schuhe (und das verschwitzte Gewand: "Was sollen wir damit? Waschen und verkaufen? Das fänden Sie als Kunde eher ungut, oder?") behalten durften.

Sondern weil man den Schuh de facto kaum bekommen wird: Asics bringt weltweit nur 60.000 Paar in die Läden. In Österreich erhalten zwei Shops (Toni auf der Praterstraße, Laufsport Münzer in Villach) je zwölf Paar. Und der Preis hat sich gewaschen: 250 Euro halte ich für jenseits der Schmerzgrenze. Speziell in der Kernzielgruppe Hobbyläufer.

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Von einer Amortisation von Entwicklungs- und Herstellungskosten kann aber auch bei höheren Stückzahlen keine Rede sein. Das wissen auch die Asics-Leute. Aber sie wissen noch etwas: In einem so breiten Markt wie dem der Laufwelt, geht es nicht ausschließlich um das, was ein Produkt tatsächlich kann – sondern vor allem um das, welche Botschaft man transportiert. Um Image. Um Begehrlichkeiten.

Um Aufmerksamkeit. Und auf diesem Feld "performt" der Metarun sogar dann perfekt, wenn man ihn nie zwischen die Finger – oder an die Füße – bekommt. (Thomas Rottenberg, 19.11.2015)

Anmerkung im Sinne der redaktionellen Richtlinien: Die Reise erfolgte auf Einladung von Asics.

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