Letzter Kampf für ein Mädchen, das zum Mythos wurde: Jennifer Lawrence muss in "Die Tribute von Panem: Mockingjay" als Katniss auch Gewissheit über die eigenen Gefühle erlangen.


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vipmagazin

Wien – "Mein Name ist Katniss Everdeen." Kaum von der engen Halsmanschette befreit, die ihr fast die Kehle zuschnürt, beginnt die junge Frau zu sprechen. Mühsam und mit heiserer Stimme, denn jedes Wort bereitet ihr Qualen. Ein bezeichnender erster Satz in diesem Film, denn er dient ausschließlich der Selbstbehauptung: Namen haben in diesem Krieg, den Katniss Everdeen ausgelöst hat, eine besondere Bedeutung. Der ihrige wurde zu einem Symbol des Widerstands, so wie der Spotttölpel, ein unscheinbarer Vogel, zum Zeichen der Rebellion.

Im letzten Teil von The Hunger Games (Die Tribute von Panem) geht dieser Aufstand über in einen offenen Krieg, die Menschen aus den geknechteten Distrikten des Landes ziehen in die finale Schlacht gegen die Hauptstadt – und Katniss Everdeen macht diesen Kampf zu ihrem eigenen.

Dass die dreibändige Vorlage der Jugendbuchautorin Suzanne Collins keineswegs nur aus marktstrategischem Kalkül auf vier Filme ausgeweitet wurde, sondern diese Streckung durchaus der Kompaktheit der Erzählung geschuldet ist, zeigt sich besonders an Mockingjay – Teil 2, mit dem eine der erfolgreichsten Blockbusterserien der vergangenen Jahre – wieder in der Regie von Francis Lawrence – nun ihr Ende findet.

Politische Symbolfigur

Der Erfolg beim Zielpublikum basiert zwar auf einer Geschichte, im Laufe derer ein überaltertes System hauptsächlich von jungen Menschen zu Fall gebracht wird; er ist aber nicht weniger seiner ambivalenten, mit Pfeil und Bogen bewehrten Heldin geschuldet, deren Gefühlswelt sich eben nicht vor einem ausbreitet wie ein offenes Jugendbuch. Aus der Retterin, die zu Beginn nur die kleine Schwester vor dem sicheren Tod beschützen will, wird wider Willen eine politische Symbolfigur, die sich alsbald vor allem in einem Krieg der Bilder wiederfindet.

Vom Mädchen zum Mythos – diesen Wandel muss Katniss Everdeen vor allem selbst erkennen, und es ist eine der größten Stärken dieser Filmserie, dass sie dessen Fragwürdigkeit und seine Konsequenzen stets mitdenkt und dieser Entwicklung entsprechend Zeit gewährt. Zum Auftakt des Finales sind die Zeiten der Hungerspiele, zu denen die Distrikte ihre Gladiatoren, auch Tribute genannt, zur Unterhaltung des Kapitols in die Arena schicken mussten, zwar vorbei. Doch Katniss, die mit ihrem Sieg den Stein des Aufstands ins Rollen brachte, ist damit keineswegs am Ziel angekommen: Sie muss den Tyrannen eigenhändig zur Strecke bringen, um endlich jenen Frieden zu finden, den ihr der nahende Triumph der Rebellen nicht bringen kann.

Diese Mission steht im Mittelpunkt des Films, und sie funktioniert ein wenig wie eine Reise ins Herz der Finsternis. Einerseits ein Palast, in dem Donald Sutherland als dekadenter Herrscher ohne Reich den eigenen Untergang zelebriert, ist es auch ein Ort, an dem die Heldin Gewissheit über die eigenen Gefühle erlangen muss – die Entscheidung zwischen dem traumatisierten Peeta (Josh Hutcherson) und dem kämpferischen Gale (Liam Hemsworth) steht an.

Das geht nicht ohne Selbstvergewisserung. Denn was Everdeen in den zerbombten Straßenschluchten und in den Katakomben des Kapitols lernt, ist, dass Politik und das Private nicht zu trennen sind. Sie erkennt, nicht länger Spielfigur der neuen Präsidentin Coin (Julianne Moore) sein zu dürfen, und wie Liebe und Loyalität in Zeiten des Krieges einander widersprechen können.

Schlacht und Schachzug

"Das Land wird seinen Frieden finden, ich hoffe, du findest deinen", meint der Stratege der Rebellen (ein wehmütiges Wiedersehen mit Philip Seymour Hoffman in seiner letzten Rolle) und drückt damit auch aus, was The Hunger Games von anderen vergleichbaren Jugendbuchverfilmungen (The Maze Runner, Chroniken der Unterwelt) unterscheidet: das perfekte Zusammentreffen von äußeren und inneren Kämpfen, eine für das Blockbusterkino maßgeschneiderte Romantrilogie, von des sich das Drehbuch wohlweislich kaum entfernt, und mit Jennifer Lawrence ein weiblicher Star mit hohen Sympathiewerten.

Wenn die letzte Schlacht vor dem Palast des Diktators, der das Kapitol in eine heimtückische Arena voller Fallen und Mutanten verwandelt hat, geschlagen ist; wenn diese Schlacht plötzlich gar nur noch ein perfide abgekarteter Schachzug ist, dann lässt auch Hunger Games seine Heldin eine Entscheidung treffen. Sie trifft sie nicht nur allein, sondern für sich. (Michael Pekler, 19.11.2015)