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Die Netzaktivisten von Anonymous wollen gegen den IS vorgehen, dabei ist aber einiges schief gelaufen.

Screenshot via Reuters

Anonymous kritisiert Anonymous.

Accounts distanzieren sich von anderen.

Mit #OPIsis und #OPPariswollten Netzaktivisten von Anonymous ihren Beitrag im Kampf gegen die islamistische Terrormiliz IS leisten. Mit einer Liste im Netz sollen zigtausende einschlägige Konten von Mitgliedern und Sympathisanten der Terrormiliz gelöscht worden sein. Doch die Aktion scheint nach hinten loszugehen und ruft auch Kritiker innerhalb von Anonymous auf den Plan.

Unbeteiligte Twitter-Profile erwischt

Sicherheitsexperten haben bereits zuvor gewarnt, dass das Zwischenfunken der Netzaktivisten die Ermittlungen der Geheimdienste gegen Terroristen behindern könnte. Andererseits erwischen die Aktionen der Hacker auch Unbeteiligte. So dürften zahlreiche Twitter-Konten, die von Anonymous ins Visier genommen wurden, gar nichts mit dem IS zu tun haben, wie Recherchen von Ars Technica ergeben haben. Offenbar wurden unter anderem auch arabische Accounts gelistet, die keinen terroristischen Hintergrund haben. Sowie Journalisten und Akademiker, die über den IS schreiben.

Gegenüber The Daily Dot sagte ein Twitter-Mitarbeiter bereits vor einigen Tagen, dass die Angaben von Anonymous nicht korrekt seien. So hatten die Netzaktivisten behauptet, dass Twitter die von ihren erstellten Listen mit IS-Accounts genutzt habe um Konten zu sperren. Davon könne aber nicht die Rede sein. Twitter setze auf den üblichen Prozess, bei dem Nutzer Profile melden können. Diese würden dann einzeln überprüft.

Videobotschaft von Anonymous
Anonymous Official

Falschinformationen und rechte Hetze

Für Verwirrung hat ein Account namens OpParisIntel gesorgt, der Informationen über mutmaßlich geplante Anschläge verbreitet hatte. In einer Liste wurde angebliche Anschlagszielen veröffentlicht, über die einigen Medien berichtet hatten. Gegenüber der International Business Times sagte ein FBI-Sprecher allerdings, dass es keinerlei Hinweise auf Anschläge gegen Ziele in der Liste gebe. Der Twitter-Account GroupAnon, dem 290.000 Nutzer folgen, spricht inzwischen von "Ruhmhuren" im Umfeld von #OPIsis. Es gehe nicht um Retweets und Follower, sondern um die Wahrheit. Der ebenfalls populäre Account YourAnonNews distanzierte sich von OpParisIntel, man habe keine Ahnung woher die Informationen stammen.

Ein Problem liegt in der Natur des Netzkollektivs Anonymous selbst. Es handelt sich dabei um keine homogene, hierarchische Gruppe mit Anführer und fixen Mitgliedern. Jeder kann unter dem Deckmantel von Anonymous agieren. So gibt es eine deutschsprachige Facebook-Gruppe, die rechte Propaganda verbreitet und sich Begrifflichkeiten wie "links-grün versifften Gutmensch-Mob" und "Lügenpresse" bedient, gegen Flüchtlinge hetzt und Journalisten als "Schmutzliteraten" beschimpft. Typische Themen der Netzaktivisten wie der Einsatz gegen Terrorismus oder den Kampf für Datenschutz findet man hier nicht. Von einigen Tausend Likes gibt es inzwischen über 1,4 Millionen Nutzer, denen sie gefällt.

Auch positive Stimmen

Grundsätzlich gab es aber auch positive Stimmen zu der Aktion. Zwar sei sie "nicht sehr nachhaltig", aber ein "ganz ordentlicher Erfolg", sagte etwa der Islamwissenschafter Rüdiger Lohlker auf der Tagung des Austrian Center for Intelligence, Propaganda and Security Studies (ACIPSS) am vergangenen Freitag in Wien. Auf die Frage, welche Möglichkeiten es gebe, jihadistische Propaganda im Internet wirksam zu bekämpfen, so Lohlker: "Es ist praktisch ein andauernder Wettlauf."

Benötigt werde unter anderem "die Präsentation eines alternativen Islams", der dem etwas entgegensetze, was die Jihadistenmiliz an Ideen aufbaue. Also ein toleranter Islam als Gegenbild zum Religionsverständnis des IS, der auf Totalitarismus, Unterdrückung von Frauen und die absolute Notwendigkeit von Gewalt setzt.

Telegram ersetzt Facebook

Wenn sich Aktionen wie die von Anonymous auf die Twitter-Konten des IS konzentrieren, gehen sie inzwischen ohnehin etwas am Kern vorbei. Der IS hat schnell erkannt, wie man auf sozialen Medien Jugendliche erreichen kann. Potenzielle Sympathisanten werden über Facebook, Foren und Blogs rekrutiert, wo sie in Kontakt mit Terroristen treten können. Viele IS-Anhänger aus Österreich sind auf der Frage-Antwort-Plattform ask.fm aktiv. Dort tauscht man sich über das Kalifat des IS aus und redet zeitgleich über Dinge, die Teenager beschäftigen – etwa über die erste Liebe oder das Hausschuhverbot in der Schule. Dabei melden sich auffällig oft junge Frauen aus Wien zu Wort.

In den letzten Monaten hat sich die Messenger-App Telegram zum Hauptkommunikationskanal gemausert. Über die kürzlich eingeführten Telegram-Kanäle können ähnlich wie bei Twitter große Mengen von Abonnenten erreicht werden. Nach den Anschlägen in Paris wurden zwar einige diese Kommunikationskanäle von der Firma hinter Telegram abgedreht, aber fast zeitgleich wurden in Windeseile neue angelegt. Es ist zwar schwieriger geworden, sie zu finden, aber sie sind noch immer da. (Birgit Riegler/Markus Sulzbacher, 24.11.2015)