Bild: ADOM
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Sein Spiel ist vor über zwei Jahrzehnten Jahren in einer ersten Version erschienen, Hunderttausende spielen es immer noch – wieder und wieder und wieder. Und dennoch kennen nur weniger den Namen jenes Mannes, dessen Werk in Kennerkreisen wahren Kultstatus besitzt: Thomas Biskup ist eine heimliche Legende. Der 44-jährige Deutsche hat mit "ADOM – Ancient Domains of Mystery" 1994 ein Fantasy-Rollenspiel veröffentlicht, das in seiner Nische zu den wenigen ganz Großen zählt. Vor wenigen Tagen, 21 Jahre nach Veröffentlichung der ersten Version, ist eine grafisch und in der Bedienung überarbeitete Fassung für Windows, Mac und Linux auf Steam erschienen.

Dass ein Spiel aus der mittleren Urzeit des Mediums auch im Jahr 2015 noch Spieler begeistern kann, hat mit seiner speziellen Nische zu tun: "ADOM" ist einer der berühmtesten Vertreter des Rogue-like-Genres, eines jener rundenbasierten Rollenspiele, die auf Zufallsgenerierung, spielerische Härte und enormen Wiederspielwert setzen. Grafik ist dabei seit jeher nebensächlich: Wie beim genrenamensgebenden Urvater "Rogue" aus dem Jahr 1980 (!) begnügen sich die meisten klassischen Rogue-likes traditionell mit dem ASCII-Zeichensatz anstelle von grafischen Elementen – die eigene Spielfigur ist ein @-Zeichen, Gegner, Gegenstände und Umgebung werden mit Buchstaben und Symbolen dargestellt. Weltweit sind Millionen Spieler dem sperrigen Charme dieser Spiele verfallen – auch weil sie auf so gut wie jedem System lauffähig sind. Für eine neue Version von "ADOM" etwa werden insgesamt 59 verschiedene Binaries erstellt, um möglichst viele Systeme und Konstellationen abzudecken.

Einzelkämpfer für Postkarten

"ADOM" gehört zu den komplexesten und vielfältigsten Rogue-likes, mit hochgradig unterschiedlichen Lösungsmöglichkeiten und einem im Genre ungewöhnlichen Fokus auf Story. Und es hat noch eine Besonderheit: Im Unterschied zu den meisten anderen seiner Verwandten ist es nicht Open Source, sondern wurde bis vor kurzem von Biskup alleine entwickelt – inzwischen nebenbei, denn als CEO des von ihm gegründeten IT-Spezialisten Quinscape in Dortmund betreut der promovierte Informatiker "ADOM" nur mehr in seiner Freizeit. Wie viel Zeit ist schon in dieses nur scheinbar kleine Spiel geflossen? "Buchstäblich Jahre. Bis 1998, während meines Studiums, habe ich sicher 20 bis 40 Stunden Minimum pro Woche mit ‘ADOM’ verbracht – in einigen Phasen auch deutlich mehr. Als ‘ADOM’ richtig bekannt wurde, mit hunderttausenden Spielern weltweit, kamen auch leicht mal 70 bis 90 Stunden pro Woche zusammen", sagt Biskup heute.

Mit seinem Spiel verdient hatte Biskup zu dieser Zeit – nichts. Wie die meisten Games dieser Gattung war und ist die Grundvariante von "ADOM" kostenlos – mit einer sympathischen Einschränkung: Biskup bat seine Spieler darum, ihm bei Gefallen eine Postkarte zuzuschicken – das früher verbreitete Konzept der "Postcardware". "Ich hab vermutlich tausende Postkarten bekommen – ich hab sie nie gezählt. Es gibt einige Kisten voll mit den Karten. Irgendwann werde ich die noch mal alle abfotografieren und veröffentlichen."

Auferstehung dank Crowdfunding

Zwischen 2001 und 2010 gab es eine Pause in der Weiterentwicklung, doch 2012 erfolgte eine beeindruckende Auferstehung: Durch eine Crowdfunding-Kampagne sammelte Biskup über 90.000 Dollar für die Weiterentwicklung seines "alten" Spiels – fast das Doppelte des erklärten Ziels. "Die 90 Tage der IndieGoGo-Kampagne waren eine einzige emotionale Berg- und Talbahn: von 50.000 Dollar, die jemand bereits nach drei Minuten spenden wollte – was dann an den Unzulänglichkeiten der Plattform gescheitert ist, die damals nicht auf so große Spenden vorbereitet war -, über eine lange Durststrecke in der Mitte der Kampagne bis hin zu einem wahnwitzigen Endspurt, bei dem in den letzten 48 Stunden teilweise Einzelspenden von 5.000 Dollar und mehr eingegangen sind. Das war der Hammer. Ein großes Kompliment und eine große Verantwortung, der wir gerecht werden wollen", so Biskup.

Doch der Kultstatus hat auch seine Schattenseiten. Regelmäßig musste Biskup etwa seine Entscheidung, den Source-Code seines Spiels nicht offenzulegen, emotional verteidigen. "Auch die Interaktion mit sehr unterschiedlichen Typen von Menschen da draußen kann fordernd sein", so der Entwickler. "Da ist wirklich alles dabei: von glühenden Fans, die um die halbe Welt reisen, um dich zu treffen (was großartig ist) – ohne sich vorher anzukündigen (was zu blöden Momenten führen kann, falls ich nicht da bin) – bis hin zu vermutlich mehr oder minder gestörten Menschen, die einen beleidigen, beschimpfen oder sogar mit Morddrohungen überschütten. Alles schon da gewesen. Das ist zuweilen emotional wie psychisch eine ganz schöne Herausforderung. Aber am Ende treiben mich die vielen großartigen Menschen, die ich durch ‘ADOM’ kennengelernt habe und denen ich auch etwas zu geben scheine, was weit über ein Spiel hinausgeht, dazu, auch nach 20 Jahren noch mit Begeisterung die nächsten 20 Jahre zu planen."

Ancient Domains Of Mystery

Die Rückkehr der Rogue-likes?

Dass diese Spiele aus der Frühzeit des Mediums gerade jetzt wieder populär werden, ist auch auf die Wiederentdeckung alter Tugenden zurückzuführen. Höchst erfolgreiche Indie-Bestseller wie "FTL", "Spelunky" oder "The Binding of Isaac" haben in den letzten Jahren Rogue-like-Konzepte wie Zufallsgenerierung, "Permadeath" und einen Fokus auf schier endlose Wiederspielbarkeit in die Gegenwart transferiert – und in prozeduraler Generierung sehen viele Experten gar die Zukunft des gesamten Mediums Videospiele.

So gesehen ist die Rückkehr von Kultspielen wie "ADOM" in grafisch verbesserter, kommerzieller Form mehr als nur Nostalgie. "Ich habe die Hoffnung, dass wir mit dem kommerziellen Release genug verdienen, um ‘ADOM’ noch viele Jahre weiterentwickeln zu können. Mittlerweile beschäftige ich ja einen Grafiker, einen Musiker und zwei weitere Programmierer – die müssen auch alle was essen und ihre Familien ernähren, so dass Geld leider mittlerweile wichtig geworden ist", so Biskup.

Lebensaufgabe und Berufung

Dem Spielkonzept aus der Vergangenheit traut Biskup noch einiges zu: "Ich glaube, dass eine echte Chance besteht, dass zunehmend mehr Menschen die besondere Faszination von Rogue-likes entdecken werden, auch wenn wir vermutlich noch lange eine Nische sein werden. Es gibt da schon eine sehr spannende Entwicklung, da ja im Moment Indie & Retro insgesamt als Themen rasant wachsen. Zumindest für den Indie-Bereich hat ‘Minecraft’ gezeigt, was möglich ist. Markus ‘Notch’ Persson – der ‘Minecraft’-Erfinder – ist übrigens auch ein alter ‘ADOM’-Fan, mit dem ich immer mal wieder Kontakt habe."

Mit dem kommerziellen Release seines über zwei Jahrzehnte alten Lebenswerks betritt nun sozusagen ein weiteres Kultspiel aus dem Untergrund die große Bühne. Wie sieht der auch abseits der Spielentwicklung erfolgreiche Geschäftsmann Biskup seine erneute Konzentration auf "sein" Spiel? "Definitiv als Berufung. Und irgendwie auch als Lebensaufgabe. Mein Traum wäre immer noch, ganz von der ‘ADOM’-Entwicklung leben zu können, da ich den Austausch mit der Community und die kontinuierliche Weiterentwicklung unfassbar inspirierend und spannend finde. Im Lauf der Jahre haben viele Spieler sogar Gedichte, Bilder oder Kurzgeschichten über ‘ADOM’ geschrieben. Das ist im Grunde das schönste Kompliment, das ich mir vorstellen kann." (Rainer Sigl, 29.11.2015)