Geschäfts- und gewerbsmäßige Sterbehilfe ist in Deutschland in Zukunft verboten. So beschloss es der Deutsche Bundestag Anfang November mit großer Stimmenmehrheit. Dabei ist davon auszugehen, dass die Aufregung über das neue Gesetz sich in Grenzen halten wird. Denn nicht nur der durchschnittliche deutsche, sondern auch der österreichische Staatsbürger will, solange er gesund ist, in seinem sozial abgesicherten Glück nicht von einem unangenehmen Thema wie dem Sterben belästigt werden.

Daher begrüßt er es in seiner Uninformiertheit, wenn ihm durch die marketinggerechte Gestaltung eines Gesetzestextes die Angst genommen wird, in Zukunft könnten Todesschwadronen in die heimischen Altersheime einfallen, um ihn zwecks Reduzierung staatlicher Gesundheitsausgaben oder auch im Auftrag geldgieriger Verwandter zu überreden, seinem Leben frühzeitig ein Ende zu bereiten.

Humanitäre Katastrophe

Erst auf den zweiten Blick nämlich erweist sich die neue Gesetzesregelung als humanitäre Katastrophe, auf die Gian Domenico Borasio in seinem Kommentar "Für mehr Menschlichkeit am Lebensende" (DER STANDARD, 12. November) hingewiesen hat.

Borasio ist nicht nur der Mitbegründer der Palliativmedizin in Deutschland, er tritt auch für eine breite palliativmedizinische Versorgung der Bevölkerung ein und hat sich durch seine gelassene Argumentationsweise große Verdienste erworben. Genau daran jedoch krankt die Argumentation in seinem Kommentar: Seine Kritik am neuen Gesetz des Deutschen Bundestages endet nämlich in einem Plädoyer für mehr Palliativmedizin, wodurch, abgesehen von seiner zu eleganten Diktion, die beiden wichtigsten Kritikpunkte – die massive Schlechterstellung Sterbender und ihrer Ärzte und der Einfluss der Kirchen – in den Hintergrund geraten. Damit jedoch werden all jene, die für die Nobilitierung tausendfacher Menschenrechtsverletzungen im Dienste einer totalitären Weltanschauung verantwortlich sind, schon wieder nicht vernehmbar in die Schranken gewiesen.

Professionelle Hilfe verboten

Um begreifen zu können, worin die humanitäre Katastrophe besteht, muss vorausgeschickt werden, wie gewerbs- und geschäftsmäßige Sterbehilfe vom deutschen Gesetzgeber definiert wird: Eine Gesetzesübertretung liegt nämlich dann vor, wenn ein Arzt – jemand also, der sein Gewerbe erlernt hat und davon lebt – in mehr als einem Fall, was Geschäftsmäßigkeit begründet, Sterbehilfe leistet. Bereits dafür kann er zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt werden. Das neue Gesetz verbietet also jede professionelle Hilfe, sein Leben selbstbestimmt zu beenden oder, was auch der Palliativpapst Borasio einräumt, jenen Qualen frühzeitig und freiwillig zu entgehen, derer auch eine noch so hochgerüstete Palliativmedizin, sofern sie überhaupt angeboten wird, nicht Herr werden kann.

In den Niederlanden, in denen Sterbehilfe parteiübergreifend als ethisch gerechtfertigt gilt, werden in diesem Jahr circa 6000 Personen Sterbehilfe in Anspruch nehmen. Dies bedeutet, dass Deutschland, umgerechnet auf seine Bevölkerung, mehr als 30.000 Personen das Menschenrecht verweigert, ihre Weltanschauung frei zu wählen, danach ihr Leben zu gestalten und für diese Gestaltung "gewerbs- und geschäftsmäßige" Hilfe, wie sie etwa ein Spital anbietet, in Anspruch zu nehmen. Umgerechnet auf Österreich bedeutet es, dass hierzulande über 3000 Personen nicht so sterben dürfen, wie sie nach reiflicher Überlegung sterben wollen. Dass eine solche Inhumanität überhaupt möglich ist, obgleich sie laut Umfragen von einer großen Mehrheit der Bevölkerung längst abgelehnt wird, hängt damit zusammen, dass, wie oben vermerkt, das Thema systematisch verdrängt wird und die betroffene Bevölkerungsgruppe der Sterbenden politisch nicht ins Gewicht fällt.

Christentum und Aufklärung

Höflich, zu höflich weist Borasio darauf hin, worin die Ursache zu suchen ist, weshalb die deutschen Parlamentarier so abstimmten, wie sie es taten. Es waren die Kirchen und konservative Medien, die erheblichen Druck ausübten und die unter dem Euphemismus "Euthanasie" durchgeführten Morde der Nationalsozialisten an Behinderten instrumentalisierten, um ihre von animistischem Seelenglauben bestimmte religiöse Weltsicht auf dem Rücken der Schwächsten der Schwachen durchzusetzen.

Daraus jedoch ergibt sich auch für Österreich die Frage, wie eine aufgeklärte Gesellschaft es mit dem Christentum, seinen totalitären Ambitionen und der Tatsache hält, dass eine Kirche, die nur noch auf sieben Prozent Kirchgänger verweisen kann, sich die Macht herausnimmt, ihre Mitbürger der letzten Freiheit des Lebens zu berauben? Bisher war dies wohl nur möglich, weil die meisten es sich aus Feigheit und Faulheit (Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?) gefallen ließen! Inzwischen ist es, um die schlimmste Form des Leids, das vermeidbare, zu verhindern, unumgänglich, die totalitären Ansprüche der Religion als mit dem Erkenntnisstand der Gegenwart unvereinbar zurückzuweisen und ihre inhumanen ethischen Forderungen politisch zu bekämpfen. (Alois Schöpf, 30.11.2015)