Gerade Frühjahrsblüher danken das In-Form-Bringen im Folgejahr mit einer gewaltigen Farbenpracht.

Illustration: Dennis Eriksson
Foto: derStandard.at

Der Gartler war gut unterwegs. Nach der kurzen Kältephase mit einigen wenigen Grad minus hat sich das Wetter bei ein paar Graden plus stabilisiert. Da macht auch das Garteln wieder Freude. Aber der Gartler mäandert zwischen Saubermachen und Stehenlassen hin und her.

Er steht vor seinem Flieder und ist froh, ein Drittel der Triebe gleich nach der Blüte anständig zurückgeschnitten zu haben. Er steht aber auch vor dem Fenchel und versteht nicht, warum der immer noch so unglaublich treibt, warum der immer noch ein frisches April-Grün zeigt. Umhacken, einarbeiten, den Würmern anbieten? Warum und wozu? Nur weil es unordentlich aussieht?

Dann möchte der Gartler endlich die meterlangen Brombeer- und Himbeerhaxen anständig zurückschneiden, liest nach im Wewewe, im World Wide Web, und erfährt, dass er die Sommerhimbeere Schönermann erst im Frühjahr zurückschneiden soll, die Brombeeren Navaho jedoch gleich nach der Fruchtung hätte bodennah abschneiden sollen. Wieder alles falsch gemacht.

Hinterm Zaun

Der Seufzer wird von der anderen Seite des Zauns erwidert. Die Gärtnerin möchte gerne ihre Beete freiräumen, so wie sie es vom Zusammenräumen ihres Schreibtischs gewohnt ist. Aber das Wetter leistet dem Unterfangen keinen Vorschub. Zu viele Pflanzen stehen noch im Saft, haben den kurzen Frost überlebt und zeigen sich nahezu frühjahrlich. Und trotzdem möchte sie Ordnung schaffen, bindet dazu die Ziergräser zu samuraiartigen Hipsterhaarknödeln zusammen und schneidet den Salbei bis auf das Holz zurück. Dessen Blätter trocknet sie langsam bei 60 Grad im Backrohr und gießt sich gelegentlich damit einen Tee oder ein Brathendl auf, das sie dann dem Gartler von der anderen Zaunseite anbietet.

Gegenseitige Gesten

Diese Gesten weckten einst das gegenseitige Interesse, das nun in einer spontanen Aktion seitens des Gartlers kulminiert. Der steht nämlich vor seiner Forsythie, bei der er wie jedes Jahr den richtigen Zeitpunkt des Schnitts verabsäumt hatte. Das wäre nach der Blüte gewesen. Jetzt sieht er sich mit endlos langen, elastischen Trieben konfrontiert, von denen im kommenden Frühjahr blühende Kurztriebe austreiben werden. Würde er die langen Triebe abschneiden, gäbe es nur ein bescheidenes Blühen im Frühjahr.

Romantisch motiviert legt der Gartler die Schere weg, greift sich die längsten Triebe, biegt sie von außen nach innen herab und verwindet sie ineinander. In diese beiden Loops windet er sämtliche andere lange Triebe und fixiert sie mit ein wenig Draht. So hat er ein zwei Meter hohes Herz aus Forsythientrieben geformt, das im Frühjahr der Nachbarin ein gelbes Feuer seiner heimlichen Zuneigung abbrennen wird. (Gregor Fauma, RONDO, 31.12.2015)