Dan Carter verteilt die Bälle nun bei Racing 92. Das Debüt des neuseeländischen Weltmeisters verlief standesgemäß, im Europacup führte er Racing am 12. Dezember zu einem 33:3 über das englische Team aus Northampton.

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Stade Français kürte sich im Juni zum Champion des Top 14. Die in extravagantem Design gehaltenen Trikots sind seit Jahren Fan-Favoriten. Präsident Max Guazzini führte modernes Marketing und Merchandising auch im Rugby ein, 2005 lief sein Team erstmals in Pink auf.

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Mourad Boudjellal (55) ist der Macher beim RC Toulon. Der Mann, der ein Vermögen als Verleger von Comics machte, führte den schwächelnden Traditionsverein aus dem Heimathafen der französischen Mittelmeerflotte zurück an die Spitze. 2014 gewann Toulon die vierte Meisterschaft der Klubgeschichte.

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Als absehbar war, dass nach der herbstlichen Rugby-WM in England einige absolute Größen des Sports eine Neuorientierung im Sinn hatten, wurden Europas Vereinsbosse hellhörig. Stars aus Neuseeland oder Südafrika, die nach dem Turnier ihre Karrieren in den respektiven Nationalteams zu beenden gedachten, waren plötzlich greifbar. Prominentestes Beispiel: Dan Carter, der vermutlich beste Spielmacher (Fly-half) der Profi-Ära.

Es war dies eine außergewöhnliche Konstellation, da gerade die Neuseeländer mit einer besonders strikten Prohibitionspolitik ihren besten Spielern den Gang nach Übersee madig zu machen trachten. Nur jene, die im eigenen Land aktiv sind, werden in die nationale Auswahl, die berühmten "All Blacks", einberufen.

Dass der im siegreich verlaufenen WM-Endspiel gegen Australien als "Man of the Match" ausgezeichnete Carter seine neue Heimat bei Racing 92 in Frankreich fand, überraschte nicht. Die nationale Liga, Top 14 genannt, boomt, die gallischen Klubs haben das meiste Kleingeld zur Verfügung und somit im globalen Wettbewerb die Nase vorn. Eine bemerkenswerte Entwicklung in einem Land, das sonst nicht gerade als dynamisch verschrien ist.

Racing, der Traditionsklub aus der Pariser Peripherie, vergütet dem 33-jährigen Carter seine Dienste mit kolportierten 1,5 Millionen Euro pro Jahr, er ist damit der bestbezahlte Rugbyspieler aller Zeiten. Auch wenn dieser Superlativ im Vergleich mit Zahlen aus anderen Sportarten immer noch relativ mickrig erscheinen mag, die Gehälter in der Rugby-Union steigen. Stetig fließt mehr Geld in die Kanäle eines Sports, der zwischen fortschreitender Globalisierung und weiterhin gepflegter Bodenständigkeit einen dritten Weg zu beschreiten versucht.

Mike Ford, Trainer des englischen Premier-Ligisten Bath, warnte unlängst, man dürfe die Ausgaben für Spieler nicht zu hoch treiben. Und er bemühte ein Schreckgespenst kritischer Rugbyaner, möglichst danach zu trachten, die andernorts zu beobachtende Fehlentwicklungen wie die scheinbar unaufhaltsam aufgehende Schere zwischen Arm und Reich hintanzuhalten: "Wir müssen aufpassen, nicht ein Monster zu erschaffen. Sonst wird das noch wie Fußball."

Globale Sogwirkung

Neben altgedienten Recken wie Carters ehemaligen Nationalteamkollegen Conrad Smith und Ma'a Nonu (nunmehr Toulon) entscheiden sich mittlerweile auch Spieler am Zenit ihrer Fähigkeiten für eine Zukunft in Europa. Selbst Pau, der Aufsteiger in die Top 14, ist in der Lage, sich neben Weltmeister Smith mit dem vielseitigen Colin Slade (28) einen weiteren Topmann aus Neuseeland zu gönnen. Das hinsichtlich des Spielermanagements so fein austarierte System der Kiwis droht aus dem Gleichgewicht zu geraten.

Die französische Finanzkraft, die immer mehr namhafte Cracks aus allen Himmelsrichtungen absaugt, bringt aber auch Verbände wie Vereine anderer Länder unter Druck. Um den Rückstand auf die Rivalen von der anderen Seite des Kanals zu verringern, schraubt etwa die englische Premiership ihren Salary Cap von 7,5 Millionen Euro 2015/16 auf rund 9,6 Millionen in der Saison 2017/18 hinauf. Französische Klubs dürfen derzeit etwa 11,8 Millionen an Gehaltssumme in Umlauf bringen.

Insbesondere kleinere Unions wie etwa die walisische haben zu kämpfen, um heimische Stars im Land zu halten. Die Waliser haben zu diesem Zweck das Instrument der National Dual Contracts (NDC) geschaffen. Diese Verträge binden Spieler an die vier professionellen Regionalteams des Landes und werden von diesen gemeinsam mit dem Verband WRU finanziert. Allerdings kommt es immer wieder zu Unstimmigkeiten: Die Newport Gwent Dragons fielen im Oktober um eine möglicherweise sechsstellige Ablösesumme um, als Teamchef Warren Gatland gegen einen Transfer von Taulupe Faletau zu Bath ein Veto einlegte. Der Forward (52 Einsätze im Nationalteam) vollzieht den Wechsel nun zu Saisonende, sobald er in einen vertragslosen Zustand eintreten wird.

Doch die WRU ist gar nicht in der Lage, allen Kandidaten einen NDC zu offerieren. Da es an Geld fehlt, muss eine Auswahl getroffen werden. 17 Spieler sind es derzeit, die eine solche Vereinbarung unterschrieben haben. Nicht alle aus der Zielgruppe aber sind den Verlockungen der Summen abhold, welche in Frankreich oder neuerdings auch in England zu verdienen sind. Um eine allzu dramatische Schwächung der Nationalmannschaft hintanzuhalten, wurde daher eine Liste sogenannter Wild-Card-Spieler zusammengestellt. Aus diesem Pool an Legionären darf Gatland ab der Saison 2016/17 drei Mann in seinen Kader nominieren. Eine höchst unkomfortable Lage für einen Teamchef.

Doch zurück zur Top 14. Etwas mehr als 13.000 Zuschauer besuchten in der Saison 2014/15 im Schnitt die Matches, das ist im europäischen Vergleich unerreicht. Noch augenfälliger wird die Attraktivität des Bewerbs angesichts der Zahlen für die Halbfinal-Matches (je knapp 50.000) und das Endspiel: 79.000 verfolgten den 12:6-Triumph von Stade Français über Clermont im Stade de France. Der am eifrigsten unterstützte Verein war zuletzt Bordeaux Bègles, dessen Heimspiele 19.545 Fans anzogen. Die Budgets der Vereine haben ebenfalls eine respektable Größenordnung erreicht. Der Bogen spannt sich hier von rund 31 Millionen bei Rekordmeister Toulouse zu 11,6 Millionen bei Neuling Agen. Der Mittelwert der Liga liegt 2015/16 bei 21,5 Millionen.

Ein Präsident sieht rosa

So richtig Fahrt nahm der Aufschwung um das Jahr 2005 auf. In der von 16 auf 14 Teams zurückgestutzten Staffel traten drei Männer auf den Plan, die das französische Rugby grundlegend verändern sollten: die Präsidentenmäzene Max Guazzini, Jacky Lorenzetti und Mourad Boudjellal. Guazzini, in den 1980er-Jahren Gründer einer privaten Radiostation, transformierte den Pariser Verein Stade Français mit unternehmerischen Methoden. Marketing und Merchandising waren in Rugby-Zirkeln Fremdwörter, ehe Guazzini begann, genau auf diese Pferde zu setzen. Spiele von Stade sollten zum Spektakel werden, Cheerleader und musikalische Einlagen inklusive.

Für jede Saison neu designte Trikots entwickelten sich dank schreiender Farben und poppiger Sujets zu Bestsellern. Den Vogel schoss Guazzini, der seine Homosexualität offen lebt, ab, als seine Spieler in rosa Blümchen gewandet zur Tat schritten. Der bewusste Tabubruch verstörte zwar so manchen Traditionalisten, Stade jedoch war Gesprächsthema, Rugby in hauptstädtischen Kreisen sogar ein bisschen hip geworden. Günstig wirkte sich nun auch die zunehmende Rivalität mit dem lokalen Konkurrenten Racing aus, der unter der Ägide des Großgrundbesitzers Lorenzetti ebenfalls ambitionierte Ziele verfolgt. Boudjellal wiederum belebte den in der mediterranen Hafenstadt vor sich hin dümpelnden RC Toulon, den er 2006 übernahm. Nicht weniger als vier aus der Rangliste der aktuell neun bestbezahlten Spieler weltweit stehen im Sold Toulons. Keiner davon ist Franzose.

Das Match der schillernden Präsidentenfiguren erregte Aufsehen und in der Folge auch mediales Interesse. Rugby hatte sich zu einem Produkt entwickelt, mit dem Profite möglich schienen. Eine neue Dynamik kam in Gang, wie der Pariser Journalist Stefan Etcheverry dem STANDARD auseinandersetzte. Mit Fernsehrechten wurden von Jahr zu Jahr höhere Summen umgesetzt, Geld, das mittlerweile eine Haupteinnahmequelle der Vereine darstellt. 70 Millionen Euro fließen 2015, mehr als dreimal so viel wie noch 2010.

Die Leiden der Blauen

Doch nicht alles ist Gold, was da glänzt. Neben den bereits erwähnten Irritationen auf internationaler Ebene, erweist sich die Hausse der Top 14 auch für das französische Rugby selbst als zweischneidiges Schwert. Besonders einheimische Nachwuchsleute haben es immer schwerer, sich in der Liga zu etablieren. Daran konnte auch die Regelung noch nicht viel ändern, wonach 55 Prozent der im Saisonverlauf eingesetzten Spieler in Frankreich ausgebildet sein müssen. Gerade die Schlüsselpositionen sind bei den meisten Klubs mittlerweile durch Legionäre besetzt.

Und auch der Antagonismus zwischen Vereinen und der Nationalmannschaft ist so scharf ausgeprägt wie nie zuvor. Zu stark klaffen nationale und partikulare Interessen auseinander. Zu der von jeher starken Stellung der traditionsreichen, auf Autonomie bedachten Vereine gesellen sich in der neuen Zeit eben auch rein ökonomische Überlegungen. Das Ausbilden von zukünftigen Teamspielern, die während der Abstellungsphasen für "Les Bleus" ohnehin nicht zur Verfügung stehen, erscheint da beinahe schon als Handicap. Dass im Rugby der Meisterschaftsbetrieb parallel zu internationalen Verpflichtungen des Nationalteams ungebremst weiterläuft, verschärft den Widerspruch noch.

Ebenso wenig entspricht Rücksichtnahme hinsichtlich des Einsatzes spielerischer Ressourcen der klubinternen Logik. Soll man die teuren Stars schonen, um die Anforderungen der Doppelbelastung auszugleichen und damit dem Nationalteam Gutes tun? Kommt nicht infrage. Die Verhältnisse in Frankreich unterscheiden sich hier ganz deutlich von den viel stärker kooperativ ausgerichteten Rugby-Kulturen in Neuseeland, Irland oder (mit Abstrichen) Wales. Dort genießen die übergeordneten Belange einer konkurrenzfähigen nationalen Auswahl Priorität.

Hat diese Konstellation bereits Auswirkungen auf Wohl und Wehe von Frankreichs Blauen? Die Debatte wird geführt, die Meinungen gehen auseinander. Unbestritten ist: Das Team, immerhin dreifacher Vizeweltmeister, steckt seit Jahren in der Krise und scheint den Anschluss an die Weltspitze verloren zu haben. Erschreckend deutlich wurde dies beim schmachvollen 13:62-Debakel gegen Neuseeland im WM-Viertelfinale. Vielleicht noch schlimmer: Frankreich ist sein Stil abhanden gekommen. Unverwechselbar war einst die exquisite Mixtur aus Unvorhersehbarkeit, Wagemut und Tempo. Sie hat sich verflüchtigt.

Eine weitere fragwürdige Entwicklung der vergangenen Jahre ist die zunehmende Zahl von Teamspielern, die nicht in Frankreich geboren sind. Für Stiig Gabriel, Sportchef bei Österreichs Meister RU Donau, ist das kein gutes Zeichen: "Eine Liga, die solche Leute nicht mehr in ausreichender Zahl selbst produziert, kränkelt." (Michael Robausch, 28.12. 2015)